Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter

Die Evolution der Seele und Natur


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ihre gegenwärtigen Bestandteile aufgebaut haben, und weiß, worauf sie sich durch Entwicklung in einer ununterbrochenen Zukunft zubewegt. Das ist der wahre dynamische Glaube an die Wiedergeburt und auch da hört das Spiel des fragenden Intellekts auf; die Vision der Seele und die Erinnerung der Seele sind alles. Gewiss bleibt die Frage nach dem Mechanismus der Entwicklung und nach den Gesetzen der Wiedergeburt, wo der Intellekt und seine Untersuchungen und Verallgemeinerungen immer noch etwas Spielraum haben können. Und je mehr man hier denkt und erfährt, von desto zweifelhafterem Wert scheint die gewöhnliche, einfache, verkürzte und trockene Darstellung der Reinkarnation zu sein. Hier begegnen wir mit Sicherheit einer größeren Komplexität, einem Gesetz, das sich mit schwierigerem Gang und komplizierterer Harmonie aus den Möglichkeiten des Unendlichen herausentwickelte. Doch dies ist eine Frage, die eine lange und ausführliche Betrachtung erfordert; denn „fein ist das Gesetz davon“. Anur hyesa dharmah.

      * * *

      Kapitel 2

      Die reinkarnierende Seele

      Worte Sri Aurobindos

      Menschliches Denken ist bei den meisten Menschen nicht mehr als eine ungefähre und undurchdachte Annahme ungeprüfter Gedanken. Unser mentaler Geist ist ein verschlafener Wachposten, der alles die Tore passieren lässt, was einigermaßen anständig daherkommt oder ein gewinnendes Äußeres hat oder etwas murmeln kann, das einer bekannten Losung gleicht. Dies ist besonders bei subtileren Dingen der Fall, die der konkreten Wirklichkeit unseres physischen Lebens und unserer physischen Umwelt fernliegen. Sogar Menschen, die normalerweise sorgfältig und scharf argumentieren und denen Wachsamkeit gegenüber Fehlern als eine intellektuelle oder fachliche Pflicht gilt, geben sich doch, wenn sie auf höheren und schwierigeren Grund geraten, mit dem unachtsamsten Straucheln zufrieden. Wo Exaktheit und feinsinniges Denken am meisten benötigt werden, sind sie höchst ungeduldig und der Mühe abhold, die von ihnen verlangt wird. Die Menschen bringen scharfsinnige Gedanken über greifbare Dinge zustande, aber subtil über das Subtile nachzudenken, ist eine zu große Anstrengung für die Derbheit unseres Intellekts. So begnügen wir uns mit einem Klecks auf der Wahrheit wie der Maler, der seinen Pinsel auf sein Bild warf, als ihm der gewünschte Effekt nicht gelang. Wir halten den so entstandenen Fleck irrtümlich für die vollkommene Form einer Wahrheit.

      Es ist daher nicht überraschend, dass die Menschen sich mit unreifen Gedanken über eine Materie wie die Wiedergeburt zufriedengeben. Diejenigen, die sie akzeptieren, nehmen sie gewöhnlich fertig „von der Stange“, entweder als schablonenhafte Lehre oder als grobes Dogma. Die Seele wird in einem neuen Körper wiedergeboren – diese verschwommene und fast nichtssagende Behauptung genügt ihnen. Doch was ist die Seele und was kann möglicherweise mit der Wiedergeburt einer Seele gemeint sein? Nun, es bedeutet Wiederverkörperung; die Seele, was immer das sein mag, war aus dem Gehäuse eines Körpers herausgekommen und kommt nun in das Gehäuse eines anderen Körpers hinein. Es klingt einfach – sagen wir, es ist wie beim Djinn im arabischen Märchen, der seiner Flasche entstieg, sich ausbreitete und sich dann wieder in sie hineinpresste, oder wie etwa bei einem Kissen, das aus einem Kissenbezug herausgezogen und in einen anderen hineingestopft wird. Oder die Seele bildet sich einen Körper im Mutterleib und nimmt ihn dann in Besitz, oder aber, so können wir sagen, sie legt das Gewand eines Körpers ab und zieht ein anderes an. Doch was „verlässt“ so den einen Körper und „betritt“ einen anderen? Ist es ein anderer, ein seelischer Körper und eine subtile Form, die in die grobe Körperform eintritt – vielleicht der Purusha der alten Vorstellung, nicht größer als ein Menschendaumen –, oder ist es etwas in sich selbst Formloses und Ungreifbares, das sich insofern verkörpert, als es eine für die Sinne greifbare Gestalt von Fleisch und Knochen wird oder annimmt?

      In der normalen volkstümlichen Vorstellung gibt es überhaupt keine Geburt einer Seele, sondern nur die Geburt eines neuen Körpers in die Welt, in Besitz genommen von einer alten Persönlichkeit, die sich nicht von der unterscheidet, die einmal eine jetzt abgelegte physische Gestalt verlassen hat. John Robinson verließ die Gestalt aus Fleisch, die er einmal innehatte, und derselbe John Robinson verkörpert sich morgen oder nach einigen Jahrhunderten in einer anderen Gestalt aus Fleisch wieder und nimmt den Gang seiner irdischen Erfahrungen unter anderem Namen und in einer anderen Umgebung wieder auf. Nehmen wir einmal an, Achilles wird als Alexander, Sohn Philipps von Mazedonien, wiedergeboren, er ist Sieger nicht über Rektor, sondern über Darius, mit einem größeren Horizont, mit höherer Bestimmung; aber es ist noch Achilles, es ist dieselbe Persönlichkeit, die wiedergeboren wird, nur die körperlichen Verhältnisse sind anders. Dieses Weiterleben der identischen Persönlichkeit zieht den europäischen Geist heute in seiner Theorie über die Reinkarnation an. Denn die Auslöschung oder Auflösung der Persönlichkeit, dieses Mental-Nerven-Körper-Kompositums, das ich „mein Ich“ nenne, ist für einen in das Leben Verliebten schwer zu ertragen, und das Versprechen, dass sie weiterlebt und physisch wieder erscheint, ist der große Köder. Der einzige Einwand, der seiner Annahme wirklich im Weg steht, ist das offensichtliche Nicht-Weiterleben der Erinnerung. Der Mensch ist Erinnerung, sagt der moderne Psychologe, und was nützt das Weiterleben meiner Persönlichkeit, wenn ich mich nicht an meine Vergangenheit erinnere, wenn ich auch nicht merke, dass ich immer und ewig dieselbe Person bin? Was ist der Nutzen? Wo liegt der Genuss?

      Die alten indischen Denker – ich spreche nicht von dem volkstümlichen Glauben, der ziemlich roh war und überhaupt nicht über die Sache nachdachte –, die alten buddhistischen und vedischen Denker betrachteten den ganzen Bereich von einem völlig anderen Standpunkt aus. Sie hingen nicht am Weiterleben der Persönlichkeit; sie gaben diesem Weiterleben nicht den erhabenen Namen Unsterblichkeit. Sie sahen diese Persönlichkeit so, wie sie ist, eine sich ständig verändernde Mischung, das Weiterleben einer identischen Persönlichkeit war Unsinn, ein Widerspruch in sich selbst. Sie nahmen in der Tat wahr, dass es eine Kontinuität gibt, und sie suchten zu entdecken, wodurch diese Kontinuität bestimmt wird und ob das Gefühl der Identität in ihr eine Illusion ist oder eine Tatsache, eine wirkliche Wahrheit, und wenn dies der Fall ist, was für eine Wahrheit das sein mag. Der Buddhist leugnete eine wirkliche Identität. Es gibt, sagte er, kein Selbst, keine Person. Es gibt nur einen ununterbrochenen Energiestrom in Tätigkeit wie das unaufhörliche Fließen eines Flusses oder das unaufhörliche Brennen einer Flamme. Diese Kontinuität schafft im Mental das falsche Gefühl der Identität. Ich bin jetzt nicht dieselbe Person, die ich vor einem Jahr war, nicht einmal dieselbe Person, die ich einen Augenblick zuvor war, genauso wenig wie das Wasser, das an jener Wassertreppe vorbeifließt, dasselbe ist wie das vor einigen Sekunden vorbeigeflossene; durch das beharrliche Fließen im selben Flussbett erhält sich das falsche Erscheinungsbild der Identität. Offensichtlich gibt es dann auch keine reinkarnierende Seele, sondern nur das Karma, das beharrlich andauernd im scheinbar ununterbrochenen Flussbett hinabfließt. Das Karma ist es, das sich verkörpert; das Karma erschafft die Form einer sich ständig verändernden Mentalität und sich ständig wandelnde physische Körper, die, so können wir vermuten, das Ergebnis dieser sich verändernden Mischung von Vorstellungen und Empfindungen sind, die wir „Ich“ nennen. Das identische „Ich“ ist nicht, war nicht, wird nie sein. Solange der Irrtum der Persönlichkeit währt, besteht praktisch kein großer Unterschied, und ich kann in der Sprache der Unwissenheit sagen, dass ich in einem neuen Körper wiedergeboren bin; praktisch muss ich auf der Grundlage dieses Irrtums vorgehen. Aber es gibt diesen wichtigen Gewinnpunkt, dass alles ein Irrtum ist, und ein Irrtum, der aufhören kann; das Gemisch kann für immer ohne Neubildung aufgelöst werden, die Flamme kann ausgelöscht, das Flussbett, das sich Fluss nannte, zerstört werden. Und dann ist Nicht-Sein, Stillstand, die Befreiung des Irrtums von sich selbst.

      Der vedische Seher kommt zu einem anderen Schluss. Er nimmt ein Identisches an, ein Selbst, eine fortwährende unwandelbare Wirklichkeit – die aber etwas anderes ist als meine Persönlichkeit, etwas anderes als diese Mischung, die ich