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Landkarte mit Lebensstationen Paul Schneiders
Deutsches Reich in den Grenzen von 1937
Teil I
Teil I beginnt mit dem Text des Originals von Margarete Schneider. Dieser ist jeweils eingerückt. Die ergänzenden Teile sind in anderem Schrifttyp und breitem Format gesetzt.
Heimat und Kindheit
»Der ist in tiefster Seele treu, der die Heimat liebt wie du.«
Theodor Fontane
Paul Schneider nannte sich einen »einfachen, bäuerlichen Pfarrerssohn«, er war seinem Wesen nach dem Bauerntum verbunden. Seine Kindheit im Pfarrdorf seines Vaters, in Pferdsfeld, Kreis Kreuznach, hat die Liebe zur Natur, zu Tieren und bäuerlichen Menschen tief in seine empfindsame Seele eingedrückt. Hier war sein »Kindheitsparadies«. In einem Gemeindebrief »aus dem Urlaub« schreibt er 1931: »Wie wohl wir daran tun, die Heimaterinnerungen, die Heimatkunde und die Heimatliebe zu pflegen, merke ich in diesen Tagen sonderlich, da ich in dem Lande weile, wo meine Wiege gestanden hat und das mir die Eindrücke der Kindheit vermittelt hat. Das Dörflein, hoch im Wiesengrund des beginnenden Hoxtbachtales gebettet, der machtvoll aufgebaute Soonwald im nahen Blickfeld, die alten, niedrigen Häuschen, die Winkel und Ecken des Dorfes, die Leute, zum Teil noch die alten Gestalten der Kindheit, der plätschernde Röhrenbrunnen jetzt wie einst: wie nimmt das alles die Seele in einer guten und starken Liebe gefangen, wie ruht da Leib und Seele so gern aus im Schoße der Heimat.« 1925 schreibt er in sein Tagebuch: »Heimatluft ist halt Heimatluft, und diese Naturgebundenheit können wir wohl überwinden, aber nie verlieren.«
Pauls Vater, der Pfarrer Gustav Adolf Schneider, geboren am 13. Januar 1858, stammte aus Kaufmannsfamilien, die zur Elberfelder Kirchengemeinde gehörten. Früh verlor Gustav Adolf seine Mutter; deshalb wuchs er im großelterlichen Haus auf, wo seine Tante, die Lehrerin an der Höheren Mädchenschule war, ihm Erzieherin und geistliche Führerin wurde. Durch sie kam er unter den Einfluss Kohlbrügges, doch wurde er von Pastor D. Krummacher1 in der reformierten Gemeinde konfirmiert. – Während des Theologiestudiums hatte er den größten Gewinn von Prof. Tobias Beck in Tübingen. Aber trotz guter wissenschaftlicher und theologischer Bildung war er durch seine Schwerfälligkeit oft in seinem Amt gehemmt. Der Tod seiner Frau im Jahre 1914 machte ihn vollends zum in sich gekehrten Einsamen. Die Erschütterung über den nationalen Zusammenbruch im Jahre 1918 verwand er nie. Nur selten konnten wir einen Blick in seinen inneren Reichtum und seine verhaltene Güte tun. Ich staunte als junges Mädchen über seine praktische Textauslegung. Predigte er aber nicht mehr Gesetz als Evangelium? Das mag auf sich beruhen. Ich hörte Paul stets mit Ehrerbietung und verständnisvoller Nachsicht über seinen Vater reden. Es war ihm wichtig, ein gehorsamer Sohn zu sein; umso mehr hat ihm ein Ereignis im Pferdsfelder Pfarrgarten innerlich zu schaffen gemacht.2 In einer Zeit tiefster Angefochtenheit – in Glaubens- und Berufsnot – kam er im Jahre 1925 in seinem Tagebuch darauf zurück, sodass wir in sein empfindsames Gemüt hineinsehen können.
Da Paul Schneider selbst – das wird in einem seiner beiden Tagebücher deutlich – sich während seiner Studienzeit darum bemüht hat, etwas über seine familiäre Herkunft herauszufinden, bringe ich, Paul Dieterich, hier, ergänzend zu dem im obigen Text Berichteten, einige zusätzliche Informationen. Ich erfuhr sie von Margarete Schneider, genannt Gretel, 3 im Oktober 1979 in von mir damals protokollierten Gesprächen. Die Schneiders stammen aus dem Westerwald. Ein Vorfahre war in der Ortschaft Hachenburg bei Altenkirchen Landwirt und Pferdehändler. Sein Sohn, Johann Peter Schneider, geb. 1754 – der Ururgroßvater von Paul Schneider – war zuerst Hauslehrer bei den Düsseldorfer Freiherren von Bodelschwingh, dann Lehrer in Ratingen bei Düsseldorf. Er heiratete Anna Gertraud, die Tochter der Gutsbesitzer Reinhard und Anna Maria vom Bovert. Das Anwesen derer vom Bovert brannte in einer Nacht im April 1783 ab, die Eltern der Anna Gertraud Schneider erlitten dabei so schwere Verletzungen, dass sie kurz darauf starben. Johann Peter Schneider wurde 1796 Lehrer, Organist und Küster an der Marienkirche in Duisburg. Seine große Liebe zur Musik hat ihm über manche schlaflose Nachtstunde hinweggeholfen. Fünf Kinder hatten Johann Peter und Anna Gertraud Schneider. Das zweite von ihnen, Friedrich Carl Gottlob Schneider, P. S.s Urgroßvater, hat die Befreiungskriege gegen Napoleon 1813/14 als freiwilliger Jäger mitgemacht; er war später Regierungskanzlist in Duisburg. Der erste Sohn aus seiner Ehe mit Catharina Simon aus Duisburg, Johann Ludwig Friedrich Wilhelm Schneider, geb. 1818 – P. S.s Großvater – verlebte eine glückliche Jugend in Duisburg, Cleve und Düsseldorf und widmete sich nach einjährigem Militärdienst dem Kaufmannsberuf. Er war dann Buchhalter in einem Barmer Bankgeschäft. Seine erste Frau starb, sechs Jahre nach der Hochzeit, im Dezember 1855 in Elberfeld an der Schwindsucht. Seiner zweiten Ehe, die er mit Hulda Greiff, der Tochter eines Bankhauskassierers in Elberfeld, einging, war eine noch kürzere Dauer beschieden. Hulda starb nach einem Jahr Ehe, kurz nach der Geburt ihres Sohnes Gustav Adolf.
Gustav Adolf Schneider, geb. am 13. Januar 1858 in Elberfeld, der Vater Paul Schneiders, wurde, da sein Vater bald nach dem Tode seiner zweiten Frau noch einmal geheiratet hatte, bei den Großeltern Greiff und seiner Tante, Maria Greiff, erzogen. Sie war Lehrerin an der Höheren Töchterschule in Elberfeld. Die Großeltern Greiff samt ihrer Tochter Maria lebten gottesfürchtig und reformiert. Besonders gern gingen sie mit Gustav Adolf zu den Predigten des bedeutenden reformierten Theologen Hermann Friedrich Kohlbrügge (1803–1875), der in Elberfeld und weit darüber hinaus eine rastlose Predigttätigkeit entfaltete.4
Der oben genannte D. Krummacher, Gustav Adolfs Konfirmator in Elberfeld, dürfte der reformierte Superintendent Karl Krummacher (1831–1899) gewesen sein, der Enkel des legendären Friedrich Adolf Krummacher, von dem das bekannte Lied »Stern, auf den ich schaue« stammt. Karl Krummacher war besonders im Aufbau von Jünglingsvereinen führend.
Wir können davon ausgehen, dass Gustav Adolf Schneider in seiner Kindheit und Jugend von einem lebhaften reformierten Christentum geprägt wurde und dass die Einflüsse Kohlbrügges und Krummachers dazu beitrugen, dass er evangelische Theologie studiert hat.
Leipzig, Bonn und Tübingen waren seine Studienorte. Dass er von Johann Tobias Beck in Tübingen die nachhaltigsten Eindrücke empfangen hat, das verband ihn später mit dem Schwiegervater seines Sohnes Paul, Karl Dieterich. Johann Tobias Beck (1804–1878) lehrte seit 1843 Systematische Theologie in Tübingen. Stark hat J. T. Beck das Sittliche am Christentum betont. Nach Becks Auffassung wird der Mensch durch Gottes Gnade nicht nur »gerechtfertigt« sondern er wird durch den Geist Gottes wirksam verwandelt. Es ist denkbar, dass G. A. Schneiders Betonung des Sittlichen in seinem Pfarrdienst eine Wirkung J. T. Becks ist. Und man kann auch vermuten, dass sein Sohn Paul in seiner Jugend dadurch mitgeprägt wurde.
Zwischen G. A. Schneider und den Pietisten im Ort habe eine latente Spannung bestanden, so Gretel Schneider. Dass seine Verlobung mit der Tochter eines Liebenzeller Gemeinschaftspredigers kurz vor der Hochzeit geplatzt sei, habe dazu beigetragen. »Die Pietisten sind zwar meine besten Kirchgänger«, habe er gelegentlich gesagt, »aber die Organisation!« Von ihr hat er offenbar nichts Gutes erwartet. Er habe wohl gefürchtet, die Pietisten kämen mehr aus Achtung vor der kirchlichen Sitte zu ihm in den Gottesdienst. Ihre »Seelenspeise« jedoch würden sie sich bei ihrem pietistischen Prediger holen. Die Predigten ihres Schwiegervaters seien aber ebenso biblisch wie inhaltsreich gewesen, sagte Gretel Schneider. Nur eben nicht sonderlich ansprechend.
Von Gustav Adolf Schneider wurde gelegentlich ein Bild gezeichnet, das M. S. so nicht richtig fand. Aus der Szene im Pfarrgarten von Pferdsfeld, in der