Roy Palmer

Seewölfe Paket 26


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hoch.

      „Das weiß ich nicht. Wir dürfen die Nachricht nicht an Dritte weitergeben, nur an den zuständigen Beamten in der Residenz. Aber soviel kann ich sagen“, er beugte sich vor und senkte die Stimme zum Flüsterton, „es handelt sich um eine wichtige Nachricht über den stellvertretenden Gouverneur.“

      „Don Diego de Campos“, hauchte Cisca ehrfürchtig, „der Generalkapitän?“

      „Genau der“, erwiderte der Gardist.

      „Was hat er denn mitzuteilen?“ fragte Graciela. „Es heißt, daß er im Einsatz gegen englisches Piratengesindel sei. War er erfolgreich?“

      Der Gardist hob den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei er sich das erhabene Äußere eines Mannes gab, der mehr wußte als andere.

      „Ich sagte, eine Nachricht über den stellvertretenden Gouverneur, nicht von ihm.“

      Die beiden Mädchen sahen ihn mit großen Augen an.

      „Was bedeutet denn das?“ fragte Cisca.

      Er schüttelte den Kopf.

      „Vielleicht verrate ich es euch heute abend, zu späterer Stunde. Aber wahrscheinlich wird es sich sowieso sehr schnell herumsprechen.“

       2.

      Der Offizier führte den anderen Gardisten aus Santiago de Cuba in jenen Flügel des Palastes, in dem sich die Administrationsbüros befanden. In einem kahlen Vorraum, der lediglich mit ein paar einfachen Stühlen und einem Tisch ausgestattet war, mußte der Gardist eine Viertelstunde warten, bis die Tür zum Nebenraum geöffnet wurde.

      Ein buckliger Schreiber forderte ihn mit näselnder Stimme auf, einzutreten.

      Erstaunt blieb der Gardist stehen, als er das große Büro betrat. Es war prunkvoll eingerichtet, mit schweren Vorhängen aus Samt und Brokat, mit dicken Teppichen und einem blattgoldverzierten Kamin. Die Möbel hatten ebenfalls Verzierungen aus Blattgold.

      Der kleine Mann, dem das alles zu gehören schien, wirkte fast verloren in der Pracht des Raumes.

      Er war ein dürres Männchen mit Puderlocken und einem Gesicht, das man nicht anders als füchsisch bezeichnen konnte. Mit einer herrischen Handbewegung forderte er den reitenden Boten auf, näherzutreten.

      „Sie sind Señor Corda?“ fragte der Gardist sicherheitshalber. „Sie führen die Gouverneursgeschäfte in Abwesenheit von Don Diego de Campos in Ihrer Eigenschaft als Sekretär? Sie waren auch Sekretär von Don Antonio de Quintanilla und seinem Nachfolger Alonzo de Escobedo?“

      Corda trommelte mit dürren Fingern auf dem Schreibtisch.

      „Wenn Sie Ihre Befragung beendet haben, sagen Sie nur Bescheid“, entgegnete er in gespielt geduldigem Ton.

      Der Gardist straffte seine Haltung.

      „Verzeihung, Señor Sekretär, aber mein Vorgesetzter hat mich ausdrücklich angewiesen, mich zu vergewissern, wem ich die Nachricht überbringe. Es handelt sich nämlich um eine Nachricht von größter Wichtigkeit, die nur für den rechtmäßigen Stellvertreter des Gouverneurs bestimmt ist.“

      Corda runzelte die Stirn.

      „Wo befindet sich de Campos, wenn er diese Nachricht nicht entgegennehmen kann?“

      „Er ist im Kampf gegen den berüchtigten Seewolf gefallen“, erwiderte der Gardist. „Eben das ist die Nachricht, die ich zu überbringen habe. Señor de Campos starb im Gefecht um die Hafenfestung von Santiago de Cuba. Den Engländern gelang es, anzugreifen und unseren Reihen große Verluste zuzufügen.“

      Corda ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken. Er brachte nicht sofort eine Antwort hervor und starrte den Boten nur fassungslos an.

      „De Campos gefallen“, murmelte er tonlos, als müsse er die Worte wiederholen, um ihre Bedeutung richtig zu begreifen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Dann schob er die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte. Er faltete die Hände, stützte das Kinn mit beiden Daumen und senkte sinnierend den Blick.

      Minutenlang stand der Gardist da, ohne auch nur beachtet zu werden.

      Plötzlich hob Corda wieder den Kopf. Mit gefurchter Stirn sah er den Boten an.

      „Haben Sie ein Dokument?“ herrschte er ihn an. „Können Sie sich ausweisen?“

      Der Gardist holte tief Luft, um seine Empörung nicht zu zeigen.

      „Mit Verlaub, Señor, das habe ich bereits bei der Palastwache getan. Sonst wäre ich sicherlich nicht vorgelassen worden. Aber ich werde mich natürlich auch Ihnen gegenüber ausweisen, wenn Sie es verlangen.“

      „Ich bitte darum“, sagte Corda schroff.

      „Wie Sie wünschen, Señor.“ Der Gardist zog seine Legitimation unter dem Wams hervor, faltete das Papier auseinander und reichte es über den Schreibtisch.

      Corda studierte das Geschriebene Wort für Wort. Dann hielt er das Siegel dicht vor die Nase, um es genau zu prüfen. Schließlich ließ er das Dokument sinken, und sein Blick richtete sich ins Leere. Alles stimmte. Dieser Mann war tatsächlich vom Generalkapitän in Santiago de Cuba geschickt und autorisiert worden, eine mündliche Nachricht zu überbringen, die aus Geheimhaltungsgründen nicht schriftlich fixiert worden war.

      „De Campos gefallen“, sagte Corda noch einmal. „Dann ist es also wirklich wahr.“

      „Verzeihen Sie, Señor“, sagte der Gardist standhaft, „welchen Grund sollte ich wohl haben, Ihnen eine Falschmeldung zu überbringen?“

      Corda hob den Kopf und sah ihn mit seinem füchsischen Lächeln an.

      „Junger Freund, ich zweifle nicht an Ihrer Ehrlichkeit und Dienstauffassung. Aber Sie ahnen nicht, mit welchen Listen in höheren Kreisen gelegentlich operiert wird. Und Ihnen dürfte klar sein, daß die Nachricht vom Tod des stellvertretenden Gouverneurs ein beträchtliches politisches Gewicht hat.“

      „Selbstverständlich, Señor“, antwortete der Gardist mit einer angedeuteten Verbeugung.

      Corda winkte ab.

      „In Ordnung. Sie können jetzt gehen. Aber vergessen Sie nicht, daß die Geheimhaltungspflicht nach wie vor gilt.“

      „Ich werde mich daran halten, Señor. Darauf können Sie sich verlassen.“ Der Gardist zögerte und räusperte sich schließlich.

      Corda, bereits völlig in Gedanken versunken, blickte irritiert auf.

      „Gut, gut, in Ordnung. Sie können gehen.“

      „Wenn Sie erlauben, Señor, mein Dokument …“

      Corda starrte das Papier an, als bemerkte er erst jetzt, daß er es noch immer in der Hand hielt. Mit einer ärgerlichen Miene, als verscheuche er eine lästige Fliege, stieß er es über die Schreibtischplatte. Der Gardist fing es auf, faltete es zusammen und verstaute es unter seinem Wams. Dann salutierte er, vollführte eine Kehrtwendung und marschierte mit harten Schritten hinaus.

      Der bucklige Schreiber streckte den Kopf durch die noch offene Tür. Fragend sah er den Sekretär des Gouverneurs an.

      Corda wedelte unwillig mit der Hand.

      „Ich will jetzt nicht gestört werden, Lope. Von niemandem! Verstanden?“

      „Si, Señor, wie Sie wünschen.“ Der Schreiber dienerte und zog die Tür hinter sich zu.

      Corda beobachtete die sich schließende Tür, als handele es sich um einen äußerst interessanten Vorgang. Dann stemmte er sich aus dem Stuhl hoch und ging steifbeinig zu dem Schrank, in dem er einen kleinen Getränkevorrat für gelegentliche Besucher aufbewahrte.

      Er goß Rum in ein Kristallglastrank einen Schluck und ging mit dem Glas zum Schreibtisch zurück. Wie flüssiges Feuer brannte sich das Getränk seinen Weg von der Kehle bis