„böswilligen Absichten“ schienen ihr sehr willkommen, und das Gesäusel von Engelsmilde, Güte, Liebeshoheit und Geistesglanz zeigte ihre Verliebtheit. Damit anheim gingen die Bereitschaft: „überall begleit ich Dich hin, und geh vor Dir, und folg Dir nach“7 und der Wunsch: „Könnt ich Dir die Wege doch all ebnen und glätten und alles wegräumen, was hindernd Dir entgegentreten sollte. Aber das ist nun einmal nicht unser Loos, daß wir auch mit in des Schicksals Räder thatkräftig eingreifen sollten. Wir sind vom Sündenfall // von Madame Eva’s Verstoß her, zur Passivität verurtheilt, unser Loos ist das Warten, hoffen, dulden, leiden.“8 Trotz aller Ironie: Jenny von Westphalen akzeptierte das gesellschaftlich diktierte Los der Frau. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich Jenny von Westphalen nicht für Karl Marx entschieden hätte, wenn sie auf die Rolle der Hausfrau reduziert worden wäre – und sie vertraute ihm wohl auch, dass er dies später, wenn sie ihm ausgeliefert war, nicht einfordern würde. Und Karl Marx hätte eine ungebildete, zu allem ja-sagende Frau kaum ertragen. Das war aber nicht gleichbedeutend mit einer Forderung nach oder Förderung der Emanzipation der Frau, und für Jenny waren später immer die Pflichten der Mutter, Hausfrau und Privatsekretärin vorrangig. Die von ihr angeführte traditionelle, geschlechtsspezifische Aufgabenteilung nach dem Motto: „höchstens wird uns der Strickstrumpf, die Nadel, der Schlüssel anvertraut, und was darüber ist vom übel“9 erweiterte sie nur um den winzigen, entscheidenden Punkt, nämlich „wenn es darauf ankommt den Druckort der Deutschen Jahrbücher zu bestimmen, dann mischt sich ein weiblich Veto mit ein, und spielt unsichtbar ein Hauptröllchen.“10 Auf Einfluss und Mitbestimmung wollte Fräulein von Westphalen nicht verzichten. Im überschwange der Gefühle drohte sie: „Hast Du Dich auf dem Dampfer gut gehalten oder war wieder eine Madame Hermann am Borde. Du böser Schelm. Ich will Dir das mal vertreiben. Immer auf den Dampfschiffen. Dergl. Irrfahrten laß ich im contrat social, in unserem Heirathsakt gleich mit Interdikt belegen und werden solche Abnormitäten verbaliter bestraft. Ich laß alle Fälle specificiren und mit Bußen belegen und schaff ein zweites hochnothpeinliches Landrechtähnliches Eherecht.“11 Fast auftrumpfend sprach die Baronesse von Interdikt und Eherecht, wollte Gleichstellung dokumentieren, und Karl Marx lächelte über dieses Ansinnen, weil es ihn nicht wirklich tangierte. Seine künftige Frau war für ihn – trotz ihres adligen Standes – eine gleichberechtigte Partnerin.
An Weihnachten 1842 legten die Turteltauben den Heiratstermin für den Wonnemonat Mai fest, und die Braut malte sich schon ihr aufregendes Leben an der Seite des einflussreichen Chefredakteurs in Köln aus. Es kam anders als geplant. Mit Bestürzung und Empörung verfolgte Jenny die Pressepolitik der preußischen Regierung. Am 20. Januar 1843 wurde ein Verbot der „Rheinischen Zeitung“ zum 1. April verfügt, kein Aprilscherz. Die „Hure am Rhein“, wie Friedrich Wilhelm IV. das Blatt nannte, war nicht wie erhofft auf natürlichem Wege wegen Mangels an Lesern eingegangen, im Gegenteil: Zwischen August 1842 und Januar 1843 war ihre Abonnentenzahl von 885 auf 3.400 gestiegen – weil oder obwohl die Tendenz der Zeitung im Verlaufe der letzten Monate unter der Redaktionsleitung des Herrn Dr. Marx immer kritischer geworden war. Seine Berichte über die katastrophale Lage der Winzer im Moselgebiet, für die die preußische Regierung verantwortlich zeichnete, und die Anprangerung des russischen Wirtschaftsprotektionismus´ hatten Missmut erregt. Zum Verbot der Zeitung führte angeblich ein Artikel, „der gegen die servile Abhängigkeit Preußens von Russland polemisierte.“12 Der Zar soll ob der Kritik getobt haben und Friedrich Wilhelm IV., König der jüngsten und kleinsten Großmacht Europas und dynastisch eng mit dem russischen Herrscherhaus verbunden, wurde angehalten zu handeln. Die preußischen Zensoren entzogen der „Rheinischen Zeitung“ auf Anweisung von oben die Druckerlaubnis „wegen Zügellosigkeit des Ausdrucks und der Gesinnung“. Marx, in die Redaktion zunächst wegen seiner Sachlichkeit und ausgleichenden Kraft aufgenommen, war durch seinen zunehmend schärferen, polemischen Stil zu einem „Totengräber“ der Zeitung geworden. Auf Beschluss der Aktionäre, die ihre Zeitung retten wollten, wurde Marx entlassen, aber das Verbot blieb. Karl Marx sah sich als Opfer der staatlichen Willkür und verfolgte von nun an noch entschiedener seinen Weg, von dem ihn nichts und niemand mehr abbringen konnte. Jenny spürte seine Entschlossenheit und warnte ihn: „Nun mengelierst Du Dich noch gar in die Politik. Das ist ja das Halsbrecherischste.“13 „Es ist schlimm, Knechtsdienste selbst für die Freiheit zu verrichten und mit Nadeln statt mit Kolben zu fechten. Ich bin der Heuchelei, der Dummheit, der rohen Autorität und unseres Schmiegens, Biegens, Rückendrehens und Wortklauberei müde gewesen. Also die Regierung hat mich wieder in die Freiheit gesetzt“14, brachte Karl Marx seine Befindlichkeit bei Arnold Ruge auf den Punkt und beschloss sein Heimatland zu verlassen, denn „in Deutschland kann ich nichts mehr gewinnen. Man verfälscht sich hier selbst.“15 Zuvor beabsichtige er, weil er „ohne alle Romantik … von Kopf bis Fuß und zwar allen Ernstes liebe“16, in Kreuznach zu heiraten. Der Schritt war überfällig. „Ich bin schon über 7 Jahre verlobt und meine Braut hat die härtesten, ihre Gesundheit fast untergrabenden Kämpfe für mich gekämpft, theils mit ihren pietistisch-aristokratischen Verwandten, denen ,der Herr im Himmel’ und der ,Herr in Berlin’ gleiche Cultusobjekte sind, theils mit meiner eignen Familie, in der einige Pfaffen und andre Feinde von mir sich eingenistet haben. Ich und meine Braut // haben daher mehr unnöthige und angreifende Conflikte Jahrelang durchgekämpft, als manch andre, die dreimal älter sind und beständig von ihrer ,Lebenserfahrung’ (Lieblingswort unseres Juste–milieu) sprechen.“17 Diese Aussage Ruge gegenüber war übertrieben. Natürlich stieß die Verbindung auf Vorbehalte; die Eltern beider Partner jedoch hatten ihren Segen gegeben.
Jenny von Westphalen wurde nicht die Ehefrau eines Chefredakteurs in Köln, aber das Paar war nicht perspektivlos. Arnold Ruge hatte Marx das Angebot gemacht, die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ mither-auszugeben, und es lag nach Recherchen des Historikers Elsner angeblich eine andere Offerte vor: „Der geheime Oberrevisionsrat J.P.Esser aus Berlin, ein Freund von Heinrich Marx aus Trierer Tagen und von Karl Marx auf Bitten seines Vaters während seines Berliner Studiums aufgesucht, übermittelte Marx das Anerbieten der preußischen Regierung, als Redakteur der ,Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung’ … zu arbeiten.“18 Man wollte den genialen Geist ködern, aber Karl Marx lehnte ab. Das machte ihn verdächtig, und der preußische Geheimdienst behielt ihn vorsichtshalber im Auge und brachte in Erfahrung, Dr. Marx sei entschlossen, Preußen zu verlassen, nachdem er in Trier seine Braut heimgeführt habe. Der Wohnortwechsel der Braut war den Observierenden unbekannt geblieben.
Sieben unendlich lange Jahre hatte Jenny von Westphalen sehnsüchtig ausgeharrt, bis sie endlich die notwendigen Schritte für die Heirat einleiten durfte. Sie hatte genaue Vorstellungen, wie sie an ihrem Festtag aussehen wollte. „Ich war heut Morgen raus und hab beim Kaufmann Wolf viele neue Spitzen gesehen. … – bitte Herzchen laß das Kaufen jetzt. Auch mit dem Blumenguirlandchen. Ich fürcht’ du musst zu viel geben. … gehst du nicht von Blumen ab, so nimm sie in rosa. Das paßt am besten zu meinem grünen Kleide“19, lautete eine der Anweisungen für den zukünftigen Ehemann. Wichtiger als rosafarbene Blümchen waren Dokumente. Aus Salzwedel, Jennys Geburtsstadt, und aus Trier trafen die Kopien der Geburtsurkunden fristgerecht ein. Das erste Aufgebot in Kreuznach erfolgte am Sonntag, dem 21. Mai, das zweite eine Woche später. Am 30. oder 31., einem Dienstag oder Mittwoch, sollte im Standesamt das Eheversprechen gegeben werden. Alles war vorbereitet, die Trauzeugen informiert, das Hochzeitsessen bestellt, die Blumen geordert und die Garderobe ausgewählt, als unerwartete