Jens Oberheide

Menschliches Maß und Königliche Kunst


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Ereignis. Meister Tassaert schickte seinen jungen Schüler Schadow zum Ort des Geschehens, damit er die Ruine zeichnerisch erfasse. Er tat das von einem Fester des französischen Komödienhauses aus und hielt detailgenau fest, was er sah. Das Blatt wurde vielfach reproduziert und publiziert und fand höchste Aufmerksamkeit, so etwa, wie es heute mit einem aktuellen weitverbreiteten Pressefoto geschehen würde.

       Johann Gottfried Schadow: Selbstbildnis als 17-jähriger Zeichner, Radierung, 1781

      Diese aktuelle Prominenz, seine künstlerische Vielseitigkeit, sein sprachgewandtes Auftreten und seine Lebensart führten bald zu Einladungen in die damals so beliebten «Salons». Ab 1781 war Schadow gern gesehener Gast im Haus von Marcus und Henriette Herz. Da war er 17 Jahre jung.

      Der gesellschaftlich angesehene Preuße jüdischen Glaubens, Marcus Herz (1747–1803), war Mediziner, aber auch Philosoph der Aufklärung mit vielfältigen Verbindungen zu Persönlichkeiten der Zeit. Er hatte u. a. bei Kant in Königsberg studiert, und Kant hatte ihm ein Empfehlungsschreiben an den Philosophen Moses Mendelssohn mitgegeben, bei dem er in Berlin seine Studien fortsetzte und schließlich mit Promotion und Professur reüssierte. Herz hatte auch Verbindung zu Gotthold Ephraim Lessing, den er sehr verehrte.

      Die Salonnière Henriette Herz (1764–1847), gleichaltrig mit Johann Gottfried Schadow, war nach jüdischem Brauch als Zwölfjährige mit Marcus Herz verlobt worden und hatte diesen als Fünfzehnjährige geheiratet. Henriette Herz saß Schadow für eine Porträtbüste Modell. Er gestaltete das Bildnis einer der schönsten Frauen Berlins – sein plastisches Erstlingswerk. «Die nach dem Leben modellierte Büste der Henriette Herz offenbart, dass Schadow nicht einem Schönheitskanon folgte, sondern den Ausgleich zwischen Natur und Ideal sucht» (Götz Eckardt: «Johann Gottfried Schadow», Leipzig,1990).

      Und den Hofrat Herz zeichnete er für seine «Profile nach dem Leben». Daneben entstand eine Fülle grafischer Arbeiten. Physiognomiestudien, Porträts, Karikaturen, Spottbilder, Satiren. Feder-, Kreide-, Rötelzeichnungen, Aquarelle, aber auch weit verbreitete Auflagen als Radierungen und Kupferstiche, später auch Lithografien.

       Marcus Herz, 1795, Gemälde von Johann Friedrich Weitsch

       Johann Gottfried Schadow: Henriette Herz, Zeichnung, 1783

      Aus dem Berliner Salon der hochgebildeten Henriette Herz entwickelte sich der intellektuelle Mittelpunkt Berlins. «Freimaurerische und pietistische Einflüsse» hatten dazu geführt (Ingeborg Drewitz: «Herz, Henriette» in Deutsche Biografie 8, 1969). Auf Anregung der Brüder Humboldt, die zu den Stammgästen zählten, nannte sich die Gruppe, die sich regelmäßig im Salon traf «Tugendbund zur Übung werktätiger Liebe». Henriette Herz sagte gern «Verbündung» dazu.

      Der Salon war überkonfessionell und aufklärerisch gesinnt, und entsprechend waren die Gäste. Man diskutierte über Ideal und Wirklichkeit, Lebensqualität und Sinn und las gemeinsam einschlägige Literatur. «Der Tugendbund, der sich als eine Art Loge wie in der Freimaurerei verstand, hatte hohe Ziele» (Udo Quak: «Glückliche Stunden hatte ich», Berlin, 2014). Als Ziele nannte Henriette Herz selbst «gegenseitige sittliche und geistige Heranbildung».

       Johann Gottfried Schadow: Salon der Henriette Herz: literarisch, musikalisch, gesellschaftlich, Federzeichnung um 1800

      Wilhelm von Humboldt an Henriette Herz: «Weil der Zweck der Loge Beglückung durch Liebe ist» und diese im «Verhältnis mit dem Grade moralischer Vollkommenheit … steht, so ist moralische Bildung das, wonach jeder Verbündete am eifrigsten strebt …» (in einem Brief vom 11. November 1787).

      Die Teilnehmer gaben sich gewisse Rituale, die sich bei jedem Treffen wiederholten. So kreiste beispielsweise ein Zirkel, über den man im Sinne von Bezugspunkten und Gedankenkreisen nachdachte, und es gab ein Symbol für den Zirkelschlag: Einen Kreis mit einem Mittelpunkt, eine Art «Logo» des Salons. »Die Mitglieder nannten sich Brüder und Schwestern» (Udo Quak, ebd.) und verstanden sich als gleichberechtigt und gleichgesinnt, verbunden durch Dichtung, Kunst, Wissenschaft, Ethik und Moral. So war Freimaurerei durchaus ein «salonfähiges» Thema, vor allem aber deren Ideale vom besseren Miteinander für eine bessere Welt.

      Auch Henriettes Mann Marcus hing diesen Idealen nach. Das führte ihn in die Berliner «Loge zur Toleranz». Diese «sollte auch aufgeklärten Juden offenstehen, die einen hohen Grad kultureller und moralischer Reife erlangt haben» (Anne Purschwitz: «Jude oder preußischer Bürger», Göttingen, 2018). Das ist deswegen so hervorgehoben, weil damals den Juden in beschämender Weise der Zutritt zu den überwiegend christlich orientierten preußischen Logen verwehrt war.

      «Innerhalb der Gemeinschaft der Freimaurer wurde diese Loge (zur Toleranz) jedoch isoliert und konnte keine Vorbildfunktion entwickeln» (Anne Purschwitz, ebd.), obwohl die «Loge zur Toleranz» erklärtermaßen offen war für alle freien Geister und auf dem Boden der «Alten Pflichten» von 1723 stand. «In ihr fanden» auch «Isaak Daniel Itzig und Marcus Herz Aufnahme» (Anne Purschwitz, ebd.).

      Karlheinz Gerlach («Die Loge zur Toleranz …», in: «Zeitschrift für Internationale Freimaurerforschung», Heft 2, 1999) kommentiert einen Aufsatz von 1790 mit dem Titel «Bekenntnis zur Loge der Toleranz» : «Es ist ein Dokument der Berliner Aufklärung. Die klare Gedankenführung spricht für die Autorenschaft des Lessing-Verehrers Marcus Herz.»

      Freimaurerei ist für den Autor «Verbindungsmittel aller Künste, Wissenschaften, Stände, Religionen, Systeme und Regierungsformen». Das freimaurerische Geheimnis bestehe in nichts anderem als im «Verbinden allen Wissens und Denkens der verschiedenen Menschen …, das durch die vereinigten Kräfte einer stets tätigen Gesellschaft bewirkt werden» könne. Wesentliche Eigenschaften eines Freimaurers seien «gerader Sinn und gerades Herz …, um richtig wahrzunehmen und unparteilich zu handeln». Idealistisches Ziel: «… wenn wir ohne alles Dunkel im vollen Lichte und ganzer Wahrheit die reine Glückseligkeit genießen und in ihr unzerrüttbare Menschen sein werden». Marcus Herz fungierte als Redner der «Loge zur Toleranz». Seine Worte stehen auch dafür, dass für die aufgeklärten Kreise in Berlin die Freimaurerei ein durchaus attraktives Thema war.

      Sie sollte auch eins für Johann Gottfried Schadow werden. Im Hause Herz wurden freimaurerische Gedanken thematisiert, und Schadow nahm lebhaften Anteil: «Einigen seiner Bekannten aus dem Hause Herz ist Schadow später, ab 1790, unter den Freimaurern wieder begegnet. Auch die Freimaurerlogen des 18. Jahrhunderts wollten über alle Zufälligkeiten des Lebens – wie Geburt, Stand, Glauben – hinweg wohlgesinnte Menschen zusammenbringen.» (Angelika Wesenberg: «Zwischen Aufklärung und Frühromantik», in «Johann Gottfried Schadow und die Kunst seiner Zeit», Köln, 1994)

      4

      Begegnungen mit Folgen

       Streben nach allem Wahren, Guten, Schönen …

      Logenordnung

      Im März des Jahres 1785 war «die schöne Jüdin aus Wien», Marianne (Mattel) Devidels, zum Salon-Kreis der Henriette Herz gestoßen. Sie war eine junge Frau «mit Vergangenheit». Sie hatte ein uneheliches Kind. Der Kindesvater hatte sie schmählich sitzenlassen. Aus Gram und Scham war sie ins Kloster gegangen. Dafür musste sie jedoch vom Judentum zum Christentum konvertieren