Teil 4:Das Parlament kann für Rechtsübernahmen aufgewertet werden, indem es durch Beteiligung an der Gestaltung der Aussenpolitik seinen Einfluss in die Vorbereitung vorverlegt. Das Parlament und der Bundesrat können durch bestmögliches Zusammenwirken für die Schweiz insgesamt gewinnen. Das Parlament kann als Mittler zwischen der Vorbereitung durch den Bundesrat und den Entscheiden des Volks arbeiten. Dazu kann das Parlament gegenüber dem Bundesrat mitwirken. Die interparlamentarische Zusammenarbeit kann ergänzen. Vorbereitend können hauptsächlich die Kommissionen arbeiten, indem sie den Bundesrat in den EU-Gesetzgebungsverfahren begleiten. Sie können dazu beitragen, vertragskonforme und mehrheitsfähige Parlamentsentscheide zu erarbeiten, bei der Vorbereitung der Rechtsübernahmeentscheide durch den Bundesrat betreffend z.B. Landverkehr, Personenfreizügigkeit usw. Wenn das Parlament selbst die Rechtsübernahme ablehnt bzw. einen Staatsvertrag mit der EU nicht genehmigt, ist die Sache insoweit erledigt. Wenn das Parlament der Rechtsübernahme zustimmt, kann ein Referendum ergriffen werden. Im Hinblick darauf sind der Bundesrat und das Parlament mit seinen Kommissionen gefordert, alles zu unternehmen, dass das Volk nicht nur über Ja und Nein entscheiden kann. Die Stimmberechtigten werden an der Urne zwischen Ja oder Nein wählen, wenn sie überzeugt sind oder überzeugt werden können, dass sie über einen dem Rahmenabkommen und ihrem Willen entsprechenden Inhalt zur Rechtsübernahme entscheiden dürfen. Dann ist der Volksentscheid keine inhaltslose Formalität und wird die Demokratie nicht ausgehöhlt.
Anschliessend werden Fragen zur Information des Parlaments, zur Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere zum Verhältnis zwischen Kommissionsvertraulichkeit und EU-Offenheit, ferner zur Organisation der Kommissionen und zu den Ressourcen sowie zur Mitwirkung der Kantone behandelt. Es folgen Überlegungen zur Notwendigkeit von weiteren Abklärungen und einzelnen Gesetzesänderungen.
Teil 5: Zum Schluss werden die Souveränitätsproblematik skizziert und die Rolle von Parlament und Volk zusammengefasst: Das Parlament hätte zur Entscheidvorbereitung stets ein gewichtiges Wort zu sagen und wäre befugt, Rechtsübernahmen abzulehnen. Zur Weiterführung des bilateralen Weges dagegen hätte das Volk das letzte Wort. Es darf die Weiterführung immer ablehnen. Die Schweiz muss dann freilich die Folgen tragen, die sie im Rahmenabkommen mit der EU für solche Fälle vereinbart hat. Der Beitrag des Parlaments hängt stark von seinem politischen Willen und Engagement ab.
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Öffnung des EU-Binnenmarkts zu Drittstaaten mit paralleler Vorbereitung der Rechtsübernahmen in der EU und in den Drittstaaten
Das Rezept heisst, die Binnenmarktbeteiligung mit der Wahrung der Eigenständigkeit von Drittstaaten zu kombinieren, wie dies seit langem im EWR geschieht. Die Brücke zwischen der EU und dem Drittstaat schlägt ein Beschluss des gemischten Ausschusses bzw. ein Staatsvertrag. Dessen Erarbeitung ermöglicht, dass die EU die Rechtsübernahmen mit einem Drittstaat parallel, möglichst zeitgleich vorbereitet. Der Drittstaat soll zur Wahrung seiner Interessen am EU-Gesetzgebungsverfahren (hinten Anhang 1) teilnehmen (mitwirken) dürfen, als Nicht-EU-Mitglied ohne Stimmrecht.
Beteiligung von Drittstaaten am Binnenmarkt
Ausweitung der Binnenmarktteilnahme auf Drittstaaten im Spannungsfeld von Homogenität und Eigenständigkeit
Das Rahmenabkommen soll in diesem Sinne die Binnenmarktbeteiligung mit der Wahrung der Eigenständigkeit der Schweiz kombinieren[1]. Ein Eckpfeiler der europäischen Integration ist der Binnenmarkt der EU[2]. Der Binnenmarkt funktioniert auf Dauer durch Homogenität, gesichert durch einheitliches Recht, durch eine einheitliche Rechtsetzung und Rechtsanwendung[3]. Damit die Binnenmarktbeteiligung allen, auch den Interessen eines Drittstaates, seiner Menschen und Unternehmen dient, muss dieses Recht überall, im ganzen Gebiet der EU und der mit dem Binnenmarkt verbundenen Drittstaaten gleich, diskriminierungsfrei und eben rechtssicher wirken. Da die EU ihr Recht laufend weiterentwickelt, gelingt das auf Dauer nur, wenn die Drittstaaten ihre Abkommen der EU regelmässig anpassen.[4]
Von ihrem ursprünglich einheitlichen Organisationsmodell hat sich die EU längst entfernt. In Reaktion auf die Ansprüche von (neuen) Mitgliedstaaten und die Krisen des letzten Jahrzehnte hat sich die EU zu einer differenzierten Ordnung entwickelt[5]. Sie gewährt ihren Mitgliedern Sonderregelungen. Die EU differenziert noch weiter, indem sie denBinnenmarkt für besondere und privilegierte Beziehungen mit Drittstaaten öffnet und sie daran teilhaben lässt[6]. Dieser Ansatz ist für Staaten gedacht, die zwar für eine EU‑Mitgliedschaft qualifiziert wären, dennoch der EU aber nicht beitreten wollen oder können.
Diese Öffnung des Binnenmarkts für solche Drittstaaten verlangt, Spannungen zwischen mehrfachen Zielen der EU und der Drittstaaten zu überwinden (Delors-Initiative 1988[7]). Das erste Spannungsfeld bezieht sich auf die Weiterentwicklung des Binnenmarktrechts. Die EU muss den Binnenmarkt autonom und ungehindert weiterentwickeln und die Homogenität bewahren dürfen. Deshalb müssen sich die Abkommen mit am Binnenmarkt beteiligten Drittstaaten regelmässig undparallel an das sich weiter entwickelnde EU-Binnenmarktrecht anpassen. Dies liegt im Interesse der EU und der Drittstaaten. So können die gleichen Bedingungen garantiert werden. Wenn der Drittstaat das Recht der EU übernimmt, erspart er seinen Unternehmen Kosten und Risiken. Das zweite Spannungsfeld bezieht sich auf die Eigenständigkeit der Drittstaaten. Sie müssen an der Ausarbeitung der für den EU‑Binnenmarkts massgebenden EU-Rechtsakte im EU-Gesetzgebungsverfahren in gewissem Masse teilnehmen dürfen (hinten Ziffer 3.2; Anhang 1). Nach der Ausarbeitung dieser Regeln müssen die Drittstaaten autonom entscheiden dürfen, ob sie einer Rechtsübernahme zustimmen oder sie ablehnen. Natürlich kann eine Ablehnung vereinbarte Folgen nach sich ziehen (hinten Ziffer 7).
Notwendigkeit eines (Staats-)Vertrags
Die Überwindung der Spannungen und die Begründung dieser Verbindung zwischen der EU und dem Drittstaat ist selbstverständlich durch einen völkerrechtlichen Vertrag – landesintern meist Staatsvertrag[8] genannt – zwischen der EU und dem Drittstaat zu organisieren. Gewöhnlich wird über das Verhältnis des Drittstaates zur EU in einem gemischten Ausschuss verhandelt und beschlossen.
Für diese Beziehungen zwischen EU und Drittstaat haben sich verschiedene Formen der Verbindung entwickelt[9]. Die EU spricht von «Assoziierung» oder von «Assoziierungsabkommen» (so in Art. 217 AEUV), auch betreffend die Schweiz[10]. Ausserdem kann ein Drittstaat von sich aus seine (landeseigene) Rechtsordnung dem EU‑Recht angleichen. Man nennt diese Form in der Schweiz (hinten Ziffer 6.1.1) gemeinhin «autonomer Nachvollzug»; damit kann indessen kein Zugang zum Binnenmarkt erwirkt werden.
Der EWR als wichtigstes Beispiel
Der EWR[11] (hinten Anhang 2) ist die binnenmarktähnlichste Verbindung, welche die EU mit Drittstaaten kennt. Heute besteht der EWR aus den EU‑Mitgliedstaaten sowie aus Island, Liechtenstein[12] und Norwegen. Sie sind die drei EWR/EFTA-Staaten. Trotz EWR bleiben sie EFTA-Mitglieder, wie es die Schweiz ist. Die Beziehungen zu ihnen sind für die Schweiz bedeutungsvoll. Die EFTA[13] ermöglicht ihr, an deren Freihandelsaktivität teilzunehmen und die Verbindung mit den EWR/EFTA-Staaten besonders zu pflegen. Das EWR-Abkommen setzt sich zusammen aus dem Grundvertrag (mit 129 Artikeln), 22 Anhängen und 50 Protokollen sowie den relevanten EU‑Rechtsakten (EU‑Richtlinien, EU‑Verordnungen, Entscheidungen usw.), auf die darin verwiesen wird. Der EWR enthält einen Mechanismus zur regelmässigen Übernahme der einschlägigen EU‑Rechtsakte, mithin eine Rechtsübernahmepflicht. Angepasst werden bei den Rechtsübernahmen meist die Anhänge. Das Muster des EWR ist anspruchsvoll[14]. Immerhin funktioniert der EWR nun seit mehr als 25 Jahren. Er wird von den EWR/EFTA-Staaten als Erfolg dargestellt[15]. Allerdings wird auch auf politische Mängel an Einfluss und Kontrolle, auf Parlaments- und Demokratiedefizite,