Alfred Bekker

Reilly und Sunfrost: Chronik der Sternenkrieger 8 Romane


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      Du brauchst nur an jenen Moment zu denken und das Gefühl ist wieder da!, durchfuhr es Willard Reilly. Ein unerklärliches Unbehagen, gemischt mit dem Wissen, dass da ein Geheimnis war…

      Ein Geheimnis, dessen wahre Natur Willard nicht einmal zu erahnen vermochte.

      „Du denkst an den Mann, von dem du annimmst, dass er uns beide als Kinder beobachtet hat, als wir draußen spielten.“ Es war eine Feststellung, die da gelassen über Dan Reillys Lippen ging und keine Frage.

      Willard musste unwillkürlich schlucken.

      „Ja“, gab er zu. „Du erinnerst dich wirklich nicht an ihn?“

      „Nein, ich war zu klein.“

      „Ich habe dir den Mann nach der Einsegnungsfeier beschrieben.“

      „Ja, ich weiß. Eine markante Erscheinung.“

      „Du hast inzwischen seinen Namen herausgefunden?“

      „Was hat das für eine Bedeutung, Willard?“

      „Man könnte ihn fragen, weshalb er uns damals beobachtete. Er trug keine Kutte, aber ich bin mir sicher, dass…“

      „Das Bewusstsein spielt einem manchmal schon eigenartige Streiche“, unterbrach Dan seinen älteren Bruder.

      Warum tut er das?, fragte sich Willard. Ist das seine Art, mir auf besonders diplomatische Weise klar zu machen, dass er darüber nicht sprechen will? Vermutlich… Aber wo steht geschrieben, dass ich so sensibel und feinfühlig sein muss wie er?

      „Der Mann trug damals keine Kutte, sondern eine ganz gewöhnliche, zivile Kombination!“

      „Unsere Kutte gehört ebenfalls zur Zivilkleidung“, sagte Dan. „Und wenn du genau hinschaust, dann wirst du sehen, dass sie sich keineswegs wie ein Ei dem anderen gleichen, so wie eure Uniformen.“

      Er will mich von diesem Thema ablenken!, dachte Willard. Aber in dieser Hinsicht wollte er Dan diesmal nicht auf den Leim gehen. Nein, diesmal nicht!

      „Ich habe dich das nie gefragt, aber kann es sein, dass der Orden seine Mitglieder aussucht und sie vielleicht schon in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung beobachtet?“

      „Es wird viel über unseren Orden erzählt“ erwiderte Dan. „Manches davon ist wahr, anderes nichts als eine Legende.“

      „Und wie ist es in diesem Fall?“

      Die Erinnerung stieg erneut in Willard J. Reilly empor.

       Dieser Blick, mit dem der grauhaarige Mann uns damals musterte!

      „Ich verstehe dein Interesse“, sagte Dan schließlich. „Dieser Mann – wer immer er auch gewesen sein mag – hat uns beide angesehen. Aber ich wurde schließlich ein Ordensbruder und jetzt fragst du dich, was ich dir voraushaben könnte. Aber das ist eine destruktive Sichtweise, die nur innere Zweifel daran nährt, den richtigen Weg gegangen zu sein.“

      Willard hatte den Mund bereits geöffnet, um etwas zu erwidern. Aber kein einziges Wort kam ihm über die Lippen. Er bemerkte die Schritte, sah aus den Augenwinkeln heraus, wie sich eine Tür geöffnet hatte und die Gestalten zweier Menschen eintraten.

      Eric Reilly I. und seine Frau Jarmila Reilly hatten den Raum betreten und das Gespräch der Brüder erstarb.

      Vielleicht hat unser Bruder Eric II. am klügsten gehandelt, in dem er einfach zu diesem Anlass keinen Flug von Genet zur Erde gebucht hat!, überlegte Willard.

      1

      Zwei Tage später befand sich Willard Reilly auf dem Orbitalflug nach Spacedock 1, wo die STERNENKRIEGER angedockt hatte. An Bord des Orbitalshuttles D-332 waren ansonsten vor allem Techniker, die sich auf dem Weg zu der Raumwerft des Space Army Corps befanden.

      Diese Crews waren nicht Teil der Space Army Corps Hierarchie, sondern wurden aus der zivilen Raumfahrtindustrie abgeworben. Der Bedarf an Produktions- und Wartungstechnikern im Bereich der Raumfahrt war enorm groß, seit die Humanen Welten mit ihrem Flottenprogramm begonnen und vor allem Leichte Kreuzer in großer Stückzahl zu produzieren begonnen hatten. Die STERNENKRIEGER war einer der beiden Prototypen dieser neuen, im Gegensatz zu den großen Dreadnought-Schlachtschiffen oder den Zerstörern, sehr viel kleineren Schiffsklasse, die inzwischen die offizielle Bezeichnung „Scout“ trug.

      Gedanken verloren blickte Commander Willard J. Reilly aus einem der Sichtfenster, die es in der geräumigen Passagierkabine des Shuttles gab.

      Die Fähre hatte inzwischen die Stratosphäre erreicht. Die Sterne glitzerten und es gab alle möglichen Orbitalobjekte zu bewundern.

      Nicht mehr viel Platz im erdnahen Weltraum, dachte Reilly, während er sich zurücklehnte und einen Syntho-Drink zum Mund führte. Er hatte eine Geschmacksrichtung in den Getränkespender an Bord des Shuttles eingegeben, die sich Cola nannte und sich auf ein antikes Gebräu bezog, das sich bis weit ins zweiundzwanzigste Jahrhundert großer Beliebtheit erfreut hatte.

      Inzwischen waren Getränke mit einem vergleichbar hohen Zuckergehalt auf den meisten Planeten der Humanen Welten verboten, seit man das Suchtpotential hoher Zuckerkonzentrationen in Lebensmitteln erkannt hatte.

      Willard J. Reilly verzog nach dem ersten Schluck den Mund.

      „Für das Echte gibt es keinen Ersatz, was?“, meinte der breitschultrige Mann, der Willard Reilly gegenüber saß. Das Emblem an seiner schlichten, hellblauen Kombination wies ihn als einen Angehörigen des Technikerstabes aus, der dort rund im die Uhr im Mehrschichtverfahren seinen Dienst tat.

      Commander Reilly lächelte matt, nachdem die Stimme des Technikers ihn aus seiner Gedankenwelt grob hinaus katapultiert hatte.

      „Sie sehen nicht so alt aus, dass Sie die Zeit vor der Zucker-Prohibition noch erlebt hätten!“, stellte Reilly fest.

      „Ich komme von der Wega“, sagte er, so als würde dies irgendetwas erklären.

      Commander Reilly beugte sich etwas vor. Sein Blick wirkte ziemlich unschlüssig und es dauerte eine Weile, bis sein Gegenüber mitbekam, dass er noch auf eine Erklärung wartete.

      „Auf den Wega-Planeten wurden die diesbezüglichen Bestimmungen der Humanen Welten niemals ratifiziert“, erklärte er schließlich. Er lachte dabei, schien sich irgendetwas vorzustellen, das diesen Ausbruch an Lebensfreude rechtfertigte und wandte sich schließlich an Reilly. „Wussten Sie das nicht? Auf den Wega-Welten herrscht noch die Freiheit, sich durch ungesunde Lebensweise vorzeitig in ein kühles Grab zu verabschieden!“

      „Auch das ist Freiheit!“, erwiderte Reilly sarkastisch.

      „Wohin führt Sie Ihr Marschbefehl?“, fragte der Techniker. Dann biss er sich auf die Lippe und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Oh, ich verstehe, das ist wahrscheinlich hoch geheim!“ Er kicherte. „Und dabei weiß doch jeder, dass unsere neueren Schiffe der Scout Klasse eigentlich immer zwei Ziele haben!“

      Commander Reilly schmunzelte.

      „Ich sehe, Sie sind gut informiert“, stellte er fest. „Offenbar nehmen Sie regelmäßig an Sitzungen des Obersten Stabes des Space Army Corps of Space Defence teil und gegebenenfalls konferieren Sie sogar mit dem Vorsitzenden des Humanen Rates, um mit ihm die aktuellen Probleme im Hinblick auf eine angemessene Verteidigung des 50 Lichtjahre Radius um die Erde diskutieren…“

      Der Techniker ging auf den Witz ein und lachte. „Ehrlich gesagt, habe ich noch ein paar Karrierestufen vor mir, ehe es soweit ist“, meinte er. „Allerdings braucht auch niemand an irgendeiner Stabssitzung oder sonst irgendeiner Konferenz teilzunehmen, um zu wissen, wohin die ganzen Leichten Kreuzer der Scout-Klasse fliegen.“

      „So?“

      Er beugte sich etwas vor. Sein Tonfall klang nun deutlich ernsthafter, als er fort fuhr: „Geben Sie es zu, Sie fliegen