Henryk Sienkiewicz

Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski)


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ich habe es nicht bemerkt,« versetzte der kleine Ritter.

      »Als ob ihr ein Schiff untergegangen sei.«

      »Gute Nacht!« wiederholte Wolodyjowski und ging schnell in sein Zimmer.

      Sagloba hatte auf das ungestüme Wesen des kleinen Ritters gezählt, er hatte sich aber ein wenig verrechnet; auch hatte er überhaupt nicht geschickt gehandelt, als er von Christinens Erregung sprach, denn Michael ward bald so davon ergriffen, daß es ihm die Kehle zusammenschnürte.

      »Ich werde ihr schon ihre Freundlichkeit lohnen, ich werde es ihr lohnen, daß sie mich wie eine Schwester in der Trübsal getröstet hat,« sagte er zu sich. — »Bah, was habe ich ihr denn Böses getan?« dachte er nach einer Weile der Überlegung, »was habe ich getan? Ich habe sie drei Tage hindurch zurückgesetzt, was nicht einmal höflich war; ich habe das süße Mädchen, das geliebte Geschöpf zurückgesetzt; dafür, daß sie meine Wunden heilen wollte, habe ich sie mit Undankbarkeit genährt. Wenn ich doch verstände,« fuhr er fort, »Maß zu halten und, die gefährliche Freundschaft zügelnd, sie nicht zurückzusetzen; aber mein Witz ist dafür zu stumpf ...«

      Und Michael war böse auf sich selber, und ein großes Mitleid wurde laut in seiner Brust. Unwillkürlich begann er an Christine zu denken, wie an ein geliebtes, wie an ein beleidigtes Wesen; der Zorn gegen sich selbst wuchs in ihm mit jedem Augenblick.

      »Ein Barbarus bin ich, ein Barbarus!« wiederholte er.

      Und Christine überragte Bärbchen ganz in seinen Gedanken.

      »Nehme, wer will, dies Mühlrad, diese Plaudertasche!« sagte er zu sich selber, »Nowowiejski oder der Teufel — mir ist's gleich.«

      Der Zorn gegen die unschuldige, ahnungslose Barbara wurde mächtig in ihm, aber nicht einen Augenblick kam es ihm in den Sinn, daß er sie durch diesen Zorn vielleicht mehr kränke, als Christinen durch die erzwungene Gleichgültigkeit.

      Christine hatte mit dem Instinkt der Frau sofort erraten, daß in Herrn Michael eine Veränderung vorgehe; es stimmte sie gleichzeitig sehr traurig, daß der kleine Ritter ihr auszuweichen schien, und doch verstand sie, daß irgend etwas zwischen ihnen das Übergewicht gewinnen müsse, und daß sie nicht, wie bisher, in Freundschaft leben könnten, sondern entweder weit mehr als das, oder ganz und gar nicht.

      Es ergriff sie daher eine Unruhe, die immer größer wurde bei dem Gedanken an die bevorstehende Abreise Michaels. In Christinens Herz war die Liebe noch nicht. Noch hatte das Mädchen sich's nicht gestanden, aber in ihrem Herzen und in ihrem Blute war eine große Neigung, zu lieben. Vielleicht empfand sie auch schon eine leichte Erregung des Kopfes. Wolodyjowski umgab der Ruhm des ersten Soldaten der Republik, der Mund aller Ritter wiederholte seinen Namen mit Ehrfurcht. Die Schwester erhob seine Sitten in den Himmel, der Reiz des Unglücks umgab ihn, und überdies hatte sich das junge Mädchen, das mit ihm unter einem Dache wohnte, an seine äußere Erscheinung gewöhnt.

      In Christinens Natur lag es, daß sie gern geliebt war. Als also in den letzten Tagen Michael anfing, gleichgültig gegen sie zu werden, litt ihre Eigenliebe sehr; da sie aber von Natur ein gutes Herz hatte, beschloß sie, ihm weder ein zürnendes Gesicht noch Unwillen zu zeigen und ihn durch Güte wieder auszusöhnen. Es wurde ihr dies um so leichter, als Michael am folgenden Tage die Miene der Demut zeigte, und nicht nur Christinens Blicken nicht auswich, sondern ihr in die Augen sah, als wollte er sagen:

      »Gestern habe ich dich zurückgesetzt, heute bitte ich dich um Verzeihung.«

      Und so sagte er soviel mit den Augen, daß unter dem Eindruck dieser Blicke dem Mädchen das Blut ins Gesicht stieg, und ihre Unruhe noch wuchs wie im Vorgefühl, daß sehr bald etwas Wichtiges eintreten müsse. Und es trat auch ein. Nachmittag reiste Frau Truchseß mit Bärbchen zu einer Verwandten, der Frau Kämmerer von Lemberg, die sich in Warschau aufhielt; Christine aber tat absichtlich so, als quälte sie der Kopfschmerz, denn die Neugier hatte sie ergriffen, zu erfahren, was ihr wohl Herr Michael sagen würde, wenn sie unter vier Augen zurückblieben.

      Sagloba war zwar auch nicht zur Frau Kämmerer gereist, aber er hatte die Gewohnheit, nach Tisch zu schlafen, bisweilen sogar viele Stunden, denn er behauptete, daß dies die Schwerfälligkeit von ihm fernhalte und ihm für den Abend einen angenehmen Witz gäbe. In der Tat ging er, nachdem er noch eine halbe Stunde Schalkspossen getrieben, in sein Zimmer. Christinen schlug das Herz mächtig.

      Aber welche Enttäuschung harrte ihrer! Michael sprang auf und verließ mit ihm zusammen das Zimmer.

      Er wird bald wiederkommen, dachte Christine, und sie griff zu dem Stickrahmen, und begann ein goldenes Kästchen zu sticken, welches sie Herrn Michael für die Reise schenken wollte. Aber immer wieder hob sie ihre Augen von der Arbeit auf und ließ sie bis zu der Danziger Uhr hinschweifen, die in der Ecke von Ketlings Wohnzimmer stand und mit gemessenem Ernste tickte.

      Aber eine Stunde um die andere verging, und Michael ließ sich nicht sehen.

      Das Mädchen legte ihre Arbeit in den Schoß, kreuzte die Arme und sagte leise: »Er fürchtet sich; aber ehe er Mut faßt, können sie wieder hier sein, und wir haben uns nichts gesagt, oder Herr Sagloba erwacht ...«

      In diesem Augenblick schien es ihr, als hätten sie wirklich über eine ernste Angelegenheit zu sprechen, die durch Wolodyjowskis Schuld verzögert werden könnte.

      Endlich wurden Schritte in dem Nachbarzimmer vernehmbar. »Er geht hin und her,« sagte das Mädchen und begann wieder fleißig zu sticken.

      Wolodyjowski ging wirklich hin und her; er schritt das Zimmer auf und ab und wagte nicht einzutreten. Unterdessen rötete sich die Sonne immer mehr und neigte sich zum Untergang.

      »Herr Michael!« rief plötzlich Christine.

      Er trat ein und traf sie bei der Arbeit.

      »Ihr habt mich gerufen, Fräulein?«

      »Ich wollte nur wissen, ob nicht ein Fremder dort herumgeht ... Ich bin seit zwei Stunden hier allein.«

      Wolodyjowski rückte einen Stuhl heran und setzte sich auf den Rand desselben. Es ging eine lange Zeit vorüber; er schwieg, rückte nur ein wenig mit den Füßen und näherte sich immer mehr dem Tische. Christine hörte auf zu sticken und erhob die Augen zu ihm. Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich ließen beide die Augen sinken.

      Als Wolodyjowski sie wieder emporrichtete, fielen auf Christinens Gesicht die letzten Sonnenstrahlen; sie war schön in deren Glanze. Ihre Haare blitzten wie goldig.

      »In einigen Tagen werdet Ihr abreisen,« sagte sie so leise, daß Michael es kaum hören konnte.

      »Es kann nicht anders sein.«

      Und wieder trat ein Schweigen ein, das Christine endlich brach.

      »Ich habe in den letzten Tagen gedacht, daß Ihr mir böse seid!«

      »O Gott,« rief Wolodyjowski, »ich wäre nicht würdig, einen Blick von Euch zu empfangen, wenn ich dies getan hätte. Aber nicht das war es.«

      »Was war es denn?« fragte Christine und richtete wieder ihre Augen auf ihn.

      »Ich will aufrichtig sprechen, denn ich denke, die Aufrichtigkeit ist immer mehr wert als die Verstellung. Aber ... aber das vermag ich nicht auszusprechen, wieviel Trost Ihr mir ins Herz gegossen habt, und wieviel Dankbarkeit ich für Euch empfunden habe!«

      »O, daß es doch immer so bliebe!« antwortete Christine, indem sie über der Arbeit die Hände kreuzte.

      Und Michael erwiderte in tiefer Traurigkeit:

      »O, wenn es doch, wenn es doch so bliebe! Aber mir hat Herr Sagloba gesagt — ich spreche zu Euch wie zu einem Priester — mir hat Sagloba gesagt, daß die Freundschaft mit Frauen ein gefährlich Ding ist, denn leicht, wie die Glut unter der Asche, kann sich ein heißeres Gefühl darunter verbergen. Ich aber habe gedacht, Sagloba könne recht haben und — verzeiht, Fräulein, einem schlichten Soldaten, ein anderer würde es vielleicht feiner sagen können — mir, mir blutet