Henryk Sienkiewicz

Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski)


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er darf nicht Kamaldulenser werden, und sollte ich auch mit Gewalt auf den Mons Regius und ihn davonführen! Bei Gott, morgen will ich zu ihm, vielleicht läßt er sich durch meine Worte gewinnen, wo nicht, so gehe ich zum Primas, zu dem General der Kamaldulenser, — und wenn ich bis nach Rom reisen sollte, ich tu's! Ich will den Ruhm Gottes nicht schmälern, aber was kann er für ein Kamaldulenser sein? Ihm wächst ja nicht einmal ein Haar am Kinn. Er ist glatt wie meine Faust, so wahr ich Gott liebe. Er kann ja im Leben keine Messe absingen, und wenn er singen sollte, so werden die Mäuse aus dem Kloster entfliehen, denn sie werden glauben, daß der Kater miaut und Hochzeit hält. Verzeiht, ihr Herren, daß ich so hinspreche, was mir der Schmerz auf die Zunge legt; — wenn ich einen Sohn hätte, ich liebte ihn nicht mehr, als ich diesen Braven liebe. Behüt' ihn Gott, behüt' ihn Gott! Wenn er wenigstens Bernhardiner geworden wäre — aber Kamaldulenser! Daraus darf nichts werden, so wahr ich hier lebendig sitze! Gleich morgen will ich zum Primas gehen, er soll mir Briefe an den Prior geben.«

      »Das Gelübde kann er doch noch nicht geleistet haben,« warf der Herr Marschall ein; »aber drängt nicht in ihn, damit er nicht schwankend werde; und auch damit müßt Ihr rechnen, ob nicht in seiner Absicht Gottes Wille sich offenbart.«

      »Gottes Wille? Gottes Wille kommt nicht plötzlich; wie schon unser altes Sprichwort sagt, was plötzlich kommt, kommt von der Hölle. Wäre es Gottes Wille gewesen, so hätte ich längst in ihm eine Neigung dazu gefunden; er aber war kein Geistlicher, er war ein Dragoner. Hätte er im Besitze seines vollen Verstandes in Ruhe und mit Überlegung einen solchen Entschluß gefaßt — ich hätte nichts gesagt. Aber Gottes Wille kommt nicht über den Menschen in der Verzweiflung, wie der Blaufuß über die Kriekente. Ich will nicht in ihn drängen. Bevor ich zu ihm gehe, werde ich mir zurechtlegen, was ich ihm sagen will, um ihn nicht abzuschrecken; aber ich hoffe zu Gott. Der brave Rittersmann hat stets meinem Witz mehr getraut als seinem, und ich denke, es wird auch jetzt so sein, sonst müßte er sich ganz verändert haben.«

      Am folgenden Tage zog Sagloba die Glocke an der Klosterpforte des Mons Regius. Er hatte sich mit Briefen des Primas versehen und den ganzen Plan mit Ketling entworfen. Das Herz schlug ihm mächtig bei dem Gedanken, wie ihn Wolodyjowski empfangen würde, und obgleich er sich vorher zurechtgelegt hatte, was er sagen wollte, sah er doch selbst ein, daß viel davon abhängen würde, wie er aufgenommen wurde. Mit diesem Gedanken beschäftigt, zog er das zweitemal die Glocke, und als der Schlüssel im Schloß knarrte und die Pforte ein wenig geöffnet wurde, drang er schnell, sogar ein wenig gewaltsam durch dieselbe ein und sagte zu dem jungen Mönch, der verwirrt dastand:

      »Ich weiß, daß man eine besondere Erlaubnis haben muß, um hier einzutreten, aber ich habe einen Brief vom Herrn Erzbischof, den Ihr, lieber Bruder, dem Herrn Prior übergeben wollet.«

      »Es soll nach Eurem Willen geschehen,« antwortete der Pförtner und verneigte sich beim Anblick des Siegels des Herrn Primas. Bei diesen Worten zog er den Riemen, der am Klöpfel befestigt war, und schlug zweimal an, um jemand herbeizurufen, denn er hatte nicht das Recht, sich von der Pforte zu entfernen. Bei dem Glockenschlag erschien ein zweiter Mönch, nahm den Brief und entfernte sich schweigsam; Sagloba aber legte ein Bündel, das er mit sich hatte, auf der Bank nieder; dann setzte er sich und begann laut zu keuchen.

      »Bruder,« sagte er endlich, »wie lange seid Ihr im Kloster?«

      »Das fünfte Jahr,« antwortete der Pförtner.

      »So jung und schon das fünfte Jahr! So wäre es, wenn Ihr auch Lust hättet, fortzugehen, schon zu spät, und Ihr müßt wohl manchmal Sehnsucht empfinden nach der Welt, denn, Freundchen, der eine sehnt sich nach dem Krieg, der andere nach Lebensfreuden, der dritte nach den Weibern.«

      »Apage,« sagte der Mönch und bekreuzigte sich fromm.

      »Wie, hat Euch nie die Versuchung angewandelt?« wiederholte Sagloba.

      Der Mönch aber sah den Abgesandten des Bischofs, der so seltsame Reden führte, mit Mißtrauen an und erwiderte:

      »Hinter wem sich die Tür hier schließt, der kommt nicht wieder heraus.«

      »Das wollen wir noch sehen. Was geht denn mit Herrn Wolodyjowski vor? Ist er gesund?«

      »Wir haben hier niemand, der also heißt.«

      »Bruder Michael?« fragte Sagloba zur Probe, »der frühere Dragonerhauptmann, der unlängst hier eingetreten ist.«

      »Den nennen wir Bruder Georg; aber er hat bisher das Gelübde noch nicht geleistet, und kann es vor dem Termin nicht leisten.«

      »Und wird es auch sicher nicht leisten, denn Ihr glaubt nicht, Bruder, was das für ein Schürzenjäger war, einen zweiten, der so der Weibertugend feind war wie er, findet Ihr nicht in sämtlichen Klö ..., ich wollte sagen in sämtlichen Regimentern der gesamten Linie ...«

      »Es ziemt mir nicht, das anzuhören,« erwiderte mit wachsendem Erstaunen und Mißachten der Mönch.

      »Hört, Bruder, ich weiß nicht, wo es bei Euch Sitte ist, zu empfangen; wenn hier, so rate ich Euch, wenn Bruder Georg kommt, so geht lieber davon, geht dort in das Zimmer bei der Pforte, denn wir werden hier von sehr weltlichen Dingen sprechen.«

      »Ich will lieber gleich fortgehen,« sagte der Mönch.

      Inzwischen war Wolodyjowski erschienen, oder richtiger Bruder Georg, aber Sagloba erkannte den Heranschreitenden nicht, denn Michael hatte sich sehr verändert.

      Erstens erschien er in dem langen, weißen Mönchshabit größer als im Dragonerkollett, zweitens hatte er jetzt die Enden seines Bartes, die früher in die Höhe starrten, herunterhängen und seinen Kinnbart stehen lassen, der zwei gelbe Zöpfchen bildete, nicht länger als einen halben Finger; endlich war er mager und elend geworden, und seine Augen hatten den alten Glanz verloren. Er kam langsam heran, die Hände auf der Brust unter dem Habit und das Haupt gesenkt.

      Sagloba hatte ihn nicht erkannt und dachte, daß der Prior selbst käme; darum stand er auf und begann:

      »Laudetur ...«

      Plötzlich blickte er näher hin, öffnete die Arme und rief: »Michael, Michael!«

      Bruder Georg ließ sich in seine Arme reißen, etwas wie Schluchzen erschütterte ihn, aber seine Augen blieben trocken. Sagloba umarmte ihn lange, endlich begann er:

      »Du hast nicht allein dein Unglück beweint, auch ich habe es beweint, die Skrzetuskis und die Kmizizs haben es beweint. Möge dich der Vater der Barmherzigkeit trösten, belohnen ...! Du hast wohlgetan, daß du auf einige Zeit diese Mauern zum Ruheort gewählt hast, nichts Besseres gibt es im Unglück als Gebet und fromme Beschaulichkeit. Komm, laß dich noch einmal umarmen! Ich kann dich durch meine Tränen kaum sehen.«

      Und Sagloba weinte wirklich, von Wolodyjowskis Anblick ergriffen, endlich fuhr er fort:

      »Verzeih, daß ich deine Andacht unterbrochen habe, aber ich konnte nicht anders, und du wirst mir selbst recht geben, wenn ich dir meine Gründe anführe. Ei, Michael, viel Gutes und Böses haben wir miteinander erlebt! Hast du hinter diesem Gitter Trost gefunden?«

      »Ich habe ihn gefunden,« antwortete Michael, »in den Worten, die ich hier täglich höre, und die ich bis an meinen Tod wiederholen will: memento mori. Im Tode ist mein Trost.«

      »Hm, den Tod findet man leichter auf dem Schlachtfeld als im Kloster, wo das Leben sich so hinzieht, als wickle man langsam den Faden von der Spule.«

      »Hier gibt es kein Leben, denn es gibt keine irdischen Dinge, und ehe die Seele den Körper verläßt, lebt sie schon wie in jener Welt.«

      »Wenn dem so ist, will ich dir nicht mehr sagen, daß die Horde von Bialogrod in großer Macht gegen die Republik auszieht, denn was kann dich das noch kümmern?«

      Herr Michael verzog plötzlich die Lippen und griff unwillkürlich mit der Rechten an seine linke Seite: da er aber das Schwert nicht fand, zog er gleich beide Hände unter das Habit zurück, senkte den Kopf und sagte:

      »Memento