Finch“, sagte er.
Eine Kette wurde ausgehängt, die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. In ihm zeigte sich ein attraktives Mädchengesicht. Bount hatte es bereits auf dem Farbfoto gesehen. „Ich bin Mrs. Finch“, sagte die Grünäugige. „Worum geht es?“
„Um den Tod von Jessica Thorpe“, sagte er.
Die junge Frau starrte ihm ins Gesicht. „Ich habe davon gehört“, meinte sie nach kurzer Pause. „Deshalb bin ich nicht bereit, zu dieser Stunde noch Besuch zu empfangen. Warum haben Sie sich nicht telefonisch avisiert?“
„Sie kannten Jessica Thorpe?“ „Flüchtig. Hier kennt jeder jeden. Können Sie sich ausweisen?“ „Pardon, ich hätte selbst daran denken sollen“, entschuldigte er sich und reichte der jungen Frau seine Lizenzkarte durch den Türspalt.
„Ich bin allein zu Hause, wissen Sie. Mein Mann ist geschäftlich unterwegs“, sagte sie zögernd und drehte die von Zelluloid ummantelte Karte hin und her. „So ein Ding könnte gefälscht sein, nicht wahr?“ „Ohne Zweifel“, bestätigte Bount, „aber diese ist echt.“
Die junge Frau gab ihm die Karte zurück, hängte die Kette aus und öffnete die Tür. „Kommen Sie in Gottes Namen herein“, seufzte sie. „Jessicas Tod hat mich wirklich geschockt. Sie war so jung, so attraktiv ...“
Bount fiel auf, dass sie es versäumte, die Kette hinter ihm einzuhängen. Sie gingen durch die kleine, elegante Diele in ein mittelgroßes, nicht minder elegant möbliertes Wohnzimmer. Die Häuser am Battery Park kannten keine Weitläufigkeit, sie waren eher nach dem Prinzip ´klein aber fein' erbaut worden und machten den Mangel an Raum durch eine Anhäufung kostbarer Bilder, Teppiche und Möbel wett.
Mrs. Finch war groß und schlank, sie trug einen weitschwingenden, beigefarbigen Leinenrock mit einer buntbedruckten Seidenbluse, die am Hals durch eine Schleife abgeschlossen wurde. Die junge Frau war nicht älter als 24 und zeigte trotz ihrer eingestandenen Angst das gleiche Selbstbewusstsein, das Bount bei einigen anderen Bewohnern der Straße gefunden hatte: bei Jessica Thorpe, Leslie Harper und Mrs. Barkley.
Die Polstergarnitur bildete vor dem Kamin ein bronzefarbiges ,U'. Auf dem niedrigen Klubtisch standen Gläser und Flaschen. Bount wartete, bis die junge Frau sich gesetzt hatte, dann nahm er gleichfalls Platz. „Zigaretten, etwas zu trinken?“, fragte sie.
„Danke, nein. Haben Sie eine Erklärung für Jessica Thorpes Tod?“
„Wie sollte ich? Erlauben Sie bitte, dass ich mir einen Cognac genehmige. Ich muss mich beruhigen. Woher sollte ich eine solche Erklärung nehmen? So gut habe ich Jessica nicht gekannt. Gewiss, wir haben uns hin und wieder getroffen, wir haben sogar eine Zeitlang dem gleichen Bridgezirkel angehört, aber was heißt das schon? Es ist wirklich entsetzlich. Es gibt heute Abend in der Straße kein anderes Thema. Mit ihm ist die Furcht eingezogen, die Angst vor einer Wiederholung dieser Tragödie ...“
Aus dem oberen Stockwerk ertönte ein kurzes, hartes Geräusch.
„Was war das?“, fragte Bount und hob das Kinn.
„Was war was?“
„Sagten Sie nicht. Sie seien allein? Da ist jemand im Obergeschoss.“
„Ausgeschlossen. Ich kenne das schon. Dies ist ein altes Haus mit viel Holz. Es knackt und ächzt, aber wir haben uns längst daran gewöhnt.“
Bount stand auf. „Darf ich mal nachsehen?“
Er sah die jähe Blässe in Mrs. Finchs Gesicht. „Bitte“, sagte sie. „Soll ich mitkommen? Sie kennen sich im Hause nicht aus ...“
Er befand sich bereits auf dem Wege zur Tür. „Es ist besser, Sie bleiben“, entschied er. Aus der Diele führte eine läuferbelegte Treppe nach oben. Die Stufen knarrten unter seinem Gewicht. Im Haus war es jetzt totenstill, nur das Ticken einer in der Diele stehenden Fayence Uhr war zu hören.
Bount betrat die Galerie und öffnete die Tür des Zimmers, das direkt über dem Wohnraum lag und aus dem das verdächtige Geräusch gekommen sein musste.
Es war ein Schlafzimmer.
Der reichlich und luxuriös bestückte Toilettentisch und die betont feminine Einrichtung machten klar, dass hier Mrs. Finch zu schlafen pflegte. Ihr Einzelbett demonstrierte, dass das Ehepaar auf getrennte Schlafzimmer Wert legte.
Bount knipste das Licht an. Der Raum war nicht übermäßig groß. Eine offenstehende Balkontür wies in den kleinen, atriumähnlichen Hofgarten. Vor der Tür bauschten sich die Gardinen im Abendwind. Draußen verwandelte sich die Dämmerung allmählich in Dunkelheit. Man hörte das Plätschern eines kleinen Springbrunnens.
Der Raum besaß eine zweite Tür. Sie war geschlossen und führte entweder in Mr. Finchs Schlafgemach oder in ein Badezimmer. Im Raum herrschte peinliche Ordnung, nur die Flaschen, Dosen und Flakons auf dem Toilettentisch zeigten ein sympathisches Durcheinander.
Bount bewegte sich auf die zweite Tür zu. Er hatte bis jetzt nicht viel mehr als das Knacken des Lichtschalters laut werden lassen; seine Schritte wurden von dem dicken Spannteppich mühelos geschluckt.
Er riss die Tür auf und zuckte zurück, als ihn ein harter, scharfer Sprühnebel traf, eine ätzende Flüssigkeit, die ihm den Atem raubte und den Blick trübte.
Er sah nur die Konturen eines Mannes vor sich und riss instinktiv die Arme hoch. Die Rechte benutzte er zum Kontern, die Linke als Abwehr.
Er schlug ins Leere und setzte nach. Diesmal traf er.
Seine Augen tränten und ihm war zumute, als müsste er ersticken. Er kannte diese Gassprühdosen, er hatte sie schon manchen Klienten als Defensivwaffe empfohlen, aber es geschah zum ersten Male, dass er damit attackiert wurde.
Irgendetwas landete knallhart in seiner Magengrube und trug dazu bei, seine Luftzufuhr einzuengen. Er schlug wild um sich und war bemüht, den Gegner auszumachen, aber er war wie blind, er sah nichts mehr.
Ein Handkantenschlag landete auf seinem Hals und holte ihn von den Beinen. Bount sackte in die Knie, würgende Übelkeit und brennenden Zorn im Bauch. Er hatte nachgerade genug von diesem Tag und seiner Eigenschaft, ihn zum Prügelknaben zu degradieren.
Er hustete, versuchte nach seinem Gegner zu greifen und nahm erneut einen Schlag hin. Diesmal auf den Kopf. Seine Augen schmerzten, als würden sie verbrennen. Er gab es auf, kämpfen zu wollen, er musste erst diese Schmerzen loswerden, diese totale Unfähigkeit, sich zu orientieren und mit Luft und Sicht zu versorgen.
Er hörte, wie sich rasche Schritte entfernten und die Treppe hinabeilten, dann ertönte ein langgezogener, hysterisch anmutender Schrei. Er stammte von Mrs. Finch.
Bount quälte sich auf die Beine und tastete sich mit ausgestreckten Armen vorwärts. Er berührte ein Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf, füllte seine Hände mit kühlendem Nass und spülte sich Gesicht und Augen. Irgendwo klappte eine Tür.
„Sind Sie okay?“, brüllte Bount.
Er hörte ein Wimmern aus dem Erdgeschoss, sonst nichts. Er fuhr fort, seine Augen zu spülen. Der Schmerz ließ nach, sein Blick fokussierte sich, er konnte wieder sehen und sein Gesicht plötzlich im Spiegel erkennen. Bount griff nach einem Handtuch und rieb sich flüchtig trocken, dann machte er kehrt, rannte ins Schlafzimmer und von hier nach unten ins Erdgeschoss.
Mrs. Finch lag am Fuße der Treppe und rührte sich nicht, aber als Bount sich zu ihr hinabbeugte, schlug sie seufzend die Augen auf. Bount kniff die eigenen zusammen, sie taten immer noch weh, aber was er damit sah, war keineswegs dazu angetan, seinen Beifall zu finden.
Er fand das Geschehen auf seltsame Weise theatralisch, es schien fast so, als spielte ihm die junge Frau eine Komödie vor, jedenfalls waren der vorangegangene Schrei und ihre jetzige Reaktion nicht frei vom Pathos eines Laienschauspielers.
Er half ihr auf die Beine. Sie hielt sich an ihm fest, offenbar mit schwachen Beinen, er spürte den sanften Druck ihres biegsamen Körpers und ihrer