Drittes Kapitel: Arnulf von Ellingen
Byzanz!
Konstantinopel.
Nova Roma...
Wie viele Namen hatte diese mächtigste aller Städte der Christenheit schon getragen – Namen, die einen geradezu legendären Klang hatten. Arnulf von Ellingen zügelte sein Pferd und blickte die gewaltigen, ehrfurchtgebietenden Mauern empor, die weder die Goten noch Hunnen, Bulgaren oder Araber hatten überwinden können.
Die Kaiserpfalz in Magdeburg kam Arnulf dagegen wie ein befestigtes Gehöft vor – und das, obwohl man dort seit der Regentschaft von Kaiser Otto Magnus und seiner ersten Gemahlin Editha versucht hatte, ein Rom an der Elbe zu schaffen. Aber dessen imposanter Palast mochte zwar das Oktadon des großen Karl in Aachen übertreffen, aber gegenüber dem, was man in Konstantinopel finden konnte, wirkte es doch letztlich nur ärmlich.
Der Ritter aus dem Geschlecht derer von Ellingen setzte den Helm ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das dunkelblonde Haar war fast schulterlang. Der dichter werdende Bart war wohl erst während der Reise entstanden, die dieser Mann hinter sich hatte. Er trug ein ledernes Wams und darüber einen Umhang, der auch dafür sorgte, dass sein Schwert nicht so deutlich hervortrat. Die wachen, grünen Augen konnten kaum den Blick von den gewaltigen Mauern wenden, deren einzelne Steine einst mit einer Präzision aufeinander geschichtet worden waren, die Arnulf nur bewundern konnte – hatte er doch selbst schon zeitweilig den Bau von Burgen in der Billunger Mark überwacht. Daher war ihm bewusst, welcher Leistung es bedurfte, um einen solchen Schutz zu errichten.
Eine Mauer für die Ewigkeit, dachte Arnulf.
Schon aus der Ferne hatte die Stadt, die von den normannischen Händlern einfach nur Miklagard – die große Stadt – genannt wurde, einen überwältigenden Eindruck auf Arnulf gemacht. Golden schimmernde Kuppeln, Kirchen von einer Größe, in der ganze Burgen verschwunden wären und dahinter das blaue Band jener Meerenge, die die pontische See mit dem Mittelmeer verband.
„Worauf wartet Ihr?“, drangen die Worte einer heiseren, sehr dunklen Stimme zu ihm. „Die Mauern dieser Stadt könnt Ihr auch von der anderen Seite bestaunen und glaubt mir, sie sind keineswegs die größten Wunder, die es in Konstantinopel zu bewundern gibt!“
Die Stimme gehörte einem Mann in einer Mönchskutte, der auf einem mageren Schecken ritt, dessen Stockmaß wesentlich niedriger war als bei Arnulfs edlem Ross. Der Mönch drückte seinem Tier die Fersen in die Flanke und zog an dem Ritter vorbei. Nach ein paar Pferdelängen hielt sein Pferd plötzlich an und der Mönche drehte sich im Sattel herum. „Ihr wollt doch nicht so lange warten, bis alle Tore geschlossen sind! Oder man uns für bulgarische Spione hält, weil wir uns die Mauern zu genau ansehen.“
Arnulf löste sich nun von dem Anblick. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen und er strich sich über das markante Kinn, das nach all den Wochen, die sie ununterbrochen unterwegs gewesen waren, von einem immer dichter werdenden Bart bedeckt wurde. „Wir sind vor niemandem auf der Flucht, Fra Branaguorno!“, wandte er sich dann an den Mönch, der Arnulf als Begleitung auf seiner Reise zugeteilt worden war. Fra Branaguorno stammte angeblich aus Elbara, einem Dorf bei Mailand. Andere wiederum behaupten, seine Mutter sei eine entlaufene Mauren-Sklavin aus Sizilien gewesen, die ihr Kind vor einem Kloster ausgesetzt hatte, in der Hoffnung, dass es auf diese Weise eine gute Erziehung und eine Zukunft auf ein Leben in Gläubigkeit haben würde. Aber auch wenn so manches Geheimnis die Vergangenheit von Fra Branaguorno zu umgeben schien, so leuchtete sein Ruhm in der Gegenwart um so klarer. Die besonderen Geistesgaben des Jungen mussten sich schon früh offenbart haben.
Jedenfalls war Fra Branaguorno inzwischen für seine Sprachkundigkeit und Gelehrsamkeit berühmt. Während einer Zusammenkunft der Großen des Reiches, die Kaiser Otto III. in Verona einberufen hatte, waren die Dienste von Fra Branaguorno bei Verhandlungen mit Griechisch sprechenden Gesandten aus Konstantinopel benötigt worden. Dass er außer Griechisch auch einige der Sprachen des Ostens zumindest in den Grundzügen kannte, da er sie auf einer Pilgerreise ins Heilige Land sprechen gelernt hatte, schien er der geeignete Mann zu sein, Arnulf von Ellingen bei der heiklen Mission zu begleiten, mit der er von Kaiser Otto betraut worden war. Davon abgesehen genoss Fra Branaguorno das persönliche Vertrauen des Kaisers. Beide teilten dieselbe Vision: Die Vorstellung von einem Reich des Glaubens und einer Erneuerung des römischen Kaisertums im Zeichen der Christenheit. Was Carolus Magnus und Otto der Große begonnen hatten, wollte der jetzige Kaiser fortführen und Fra Branaguorno hatte ihn darin in langen Gesprächen bestärkt.
Mochte der dürre, blassgesichtige Mann, der trotz seiner grazilen Gestalt auf dem viel zu kleinen Schecken geradezu plump wirkte, auch als einfacher Bettelmönch auftreten, so hatten weder der Kaiser noch Arnulf von Ellingen je einen Mann von höherer Bildung und größerem Wissen kennen gelernt. Arnulf war in Magdeburg selbst Zeuge einiger Unterhaltungen gewesen, die der Mönchsbruder mit dem beinahe noch jungenhaft wirkenden Kaiser geführt hatte. Und Otto, der selbst als hochgebildet und trotz seines jugendliche Alters bereits sehr kenntnisreich und belesen galt, war deutlich anzumerken gewesen, wie sehr er diesen mindestens ebenbürtigen Gesprächspartner schätzte.
Otto vertraute Fra Branaguorno wie ansonsten nur wenigen in seiner Umgebung und Arnulf von Ellingen gab sich keinerlei Illusionen darüber hin, dass ihm der Mönch auch deshalb zur Seite gestellt worden war, um ihn zu bewachen. Zu viel hing davon ab, dass die Mission von Erfolg gekrönt war, zu der man den Ritter von Ellingen auf die Reise in die östlichen Länder geschickt hatte.
Länder, von deren Größe und Lage man in der Kaiserpfalz zu Magdeburg und selbst unter den Gelehrten der Abtei von Corvey nur eine sehr vage Vorstellung hatte.
Außer Fra Branaguorno reiste noch jemand mit dem Ritter. Es handelte sich um einen siebzehnjährigen Jungen, der Arnulf als Knappe diente. Sein Name war Gero und er war ein weitläufiger Verwandter jenes berühmten Gero, dem der Großvater des jetzigen Kaisers einst die slawischen Marken zwischen Elbe und Oder gegeben hatte. Manche nannten die Billunger Mark seitdem immer noch die Mark des Gero.
Gero hatte aschblondes Haar und blassblaue Augen. Im Schwertkampf und beim Bogenschießen war Gero immer ein gelehriger Schüler gewesen, aber das Schreiben und Lesen hatte er früh aufgegeben. Die Beschäftigung mit langen Reihen von Zeichen, die auf Pergament gemalt worden waren, grauste ihn und vor allem fehlte ihm die Geduld dazu, lange genug zu üben. Nur durch ständige Übung entstand wahre Meisterschaft, wusste Arnulf. Darin unterschied sich der Schwertkampf nicht von der Kunst des Schreibens und Lesens oder dem Lautenspiel, das Gero im Übrigen weitaus besser beherrschte.
Am besten verstand Gero sich auf den Umgang mit Pferden und so traf es sich gut, dass die Versorgung von Arnulfs Pferd zu den Hauptpflichten seines Knappen gehörte.
Arnulf drehte sich zu Gero herum, deutete auf die Mauern und meinte: „Schau dir das ja nur gut an, Gero. So etwas wirst du vielleicht nie wieder zu Gesicht bekommen, es sei denn, unserem Herrn gelingt es, ein paar der Baumeister abzuwerben, die sich in dieser Stadt verdingen!“
Dann trieb Arnulf sein Pferd wieder vorwärts und Gero folgte seinem Beispiel.
Die drei Männer ritten entlang der mächtigen Mauern, die ein unüberwindliches Bollwerk zwischen der Stadt und ihrem leicht zu erobernden Umland darstellte.
Die Sonne war bereits milchig geworden und sehr tief gesunken. Händler, denen sie unterwegs begegnet waren und die zweifellos aus Konstantinopel gekommen waren, hatten ihnen berichtet, dass die Tore der Stadt früh bei Einsetzen der Dämmerung geschlossen wurden. Der Zeitpunkt änderte sich