Albert Memmi

Der Kolonisator und der Kolonisierte


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hat? Nach den eigentlichen Kolonisierten, den Algeriern, Marokkanern oder Schwarzafrikanern wurde es allmählich von anderen anerkannt, in Anspruch genommen und genutzt, die in anderer Weise beherrscht werden, wie manche südamerikanische Länder, die Japaner oder die Neger in den Vereinigten Staaten. Die letzten in dieser Reihe waren die Kanadier französischer Abstammung, die mir die Ehre erwiesen, dass sie glaubten, zahlreiche Muster ihrer eigenen Entfremdung darin wiederzufinden. Ich konnte das Leben dieses Buches nur mit Erstaunen beobachten, so wie ein Vater mit einer Mischung aus Stolz und Besorgnis seinen Sohn beobachtet, der dabei ist, sich einen Ruf zu erwerben, bei dem sich Beifall und Entrüstung mischen. Tatsächlich hatte dies nicht nur Vorteile, denn ein solcher Wirbel hat gerade dazu geführt, dass etliche Passagen übersehen wurden, die mir sehr am Herzen lagen. Dazu gehören die Ausführungen über das, was ich als Nero-Komplex bezeichnet habe; die Beschreibung des kolonialen Verhältnisses als objektiver Zustand, dem beide Partner der Kolonisation unterworfen sind; oder der Versuch einer Definition des Rassismus im Zusammenhang mit der Herrschaft einer Gruppe über eine andere; oder auch die Analyse des Scheiterns der europäischen Linken, insbesondere der kommunistischen Parteien, weil sie den nationalen Aspekt der kolonialen Befreiungsbewegungen unterschätzt hatten; und vor allem außer einem Porträt, das ich so abgeklärt wie nur möglich wollte, die Bedeutung und der unersetzliche Reichtum der gelebten Erfahrung.

      Denn trotz allem denke ich immer noch, dass zumindest in meinen Augen der Wert dieses Unterfangens in seiner ursprünglichen Bescheidenheit und Besonderheit liegt, so dass nichts in diesem Buch auf Erfindungen und Spekulationen oder sogar auf willkürlichen Extrapolationen beruht. Es handelt sich an jeder Stelle um eine Erfahrung, die zwar stilisiert und in eine Form gebracht, aber hinter jedem einzelnen Satz verborgen ist. Und wenn ich schließlich einverstanden war mit diesem allgemeinen Gang, den das Unternehmen am Ende angenommen hat, so eben deshalb, weil ich weiß, dass ich für jede Zeile, jedes Wort zahlreiche und völlig konkrete Tatsachen beibringen könnte.

      Aber, so wird man erneut einwenden, laufen all diese Erscheinungen in letzter Instanz nicht auf einen mehr oder weniger verborgenen ökonomischen Aspekt hinaus? Oder anders: ist der ökonomische Aspekt nicht der primäre Faktor, der Motor der Kolonisation? Möglicherweise, aber das ist noch nicht einmal sicher. Im Grunde genommen wissen wir überhaupt nicht, was der Mensch letztlich ist, was für ihn das Wesentliche ist, das Geld, der Sex oder der Stolz, ob die Psychoanalyse gegenüber dem Marxismus recht behält oder ob das von den einzelnen Individuen und Gesellschaften abhängt. Bevor ich hierüber zu dieser letzten Instanz gelangte, wollte ich jedenfalls die ganze Komplexität jener Wirklichkeit darstellen, die vom Kolonisierten wie vom Kolonisator gelebt wird. Weder die Psychoanalyse noch der Marxismus können unter dem Vorwand, die Triebkraft oder eine der grundlegenden Triebkräfte des menschlichen Verhaltens entdeckt zu haben, das gesamte menschliche Erleben, alle Gefühle, alles Leiden, alle verborgenen Ursprünge des Verhaltens einfach hinwegfegen, um darin lediglich das Profitstreben oder den Ödipuskomplex zu sehen.