Siebe Josephine

Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie


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       Josephine Siebe

      Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie

      Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021

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      EAN 4064066114596

       1. Kapitel.

       2. Kapitel.

       3. Kapitel.

       4. Kapitel.

       5. Kapitel.

       6. Kapitel.

       7. Kapitel.

       8. Kapitel.

       9. Kapitel.

       10. Kapitel.

       11. Kapitel.

       12. Kapitel.

       13. Kapitel.

       14. Kapitel.

       15. Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      »Itze kommense!«

      Bubenstimmen gellten laut durch das in der Mittagsglut träge ruhende Dorf. Mädelstimmen tönten nach, waren heller, höher, sie drangen in die Häuser ein und jach erhob sich da und dort lautes Rufen. Fragen und Gegenfragen sprangen von Haus zu Haus, Holzpantoffeln klapperten, Türen, Fenster wurden aufgetan, neugierige Gesichter schauten, und selbst der alte Pfarrer sah müde aus dem Fenster seiner Wohnstube.

      Und wieder gellten die Bubenstimmen laut. »Nune biegense um de Ecke!«

      Der alte Lemnitzer Karl schrak zusammen in seinem Ofenwinkel, in dem er seine Tage verdrömelte. Verdattert richtete er sich auf. »Sind's Schweden?«

      »Niche doch, Vater, die kommen nune nie mehr. Hab nur niche Bange, die Pösener Herrschaft kommt itze gefahren.«

      »Die Schweden, die Schweden!« lallte der Alte verzagt. »Da passe du nur druff, die finden wieder her.«

      »Es tut dir niemand mehr was!« Frau Katarine Merfen, des Alten verwitwete Tochter, strich mitleidig dem Vater über das verstörte Gesicht. »Se ham uns genug getan.« »Gotte doch ganz genug.« Und einen Augenblick schwankte die große, blonde Frau, und ihre Augen hatten den Schreckensblick von damals, als die Schweden auf »friedlichem« Durchzug in das Dorf gekommen waren. »Itze ist lange Friede,« sagte sie gut zu dem Alten, und wiederholte feierlich: »Friede.«

      »Das Wasser vor drei Jahren war 'n Anzeichen, sie kommen wieder,« brummelte der Alte stöhnend. Er war völlig versponnen in das trübe Erleben der Vergangenheit, ihm schimmerte keine Gegenwartshoffnung mehr, kein Tagerleben machte ihn mehr froh.

      Die Tochter trat an das Fenster. Draußen auf der Landstraße rollte schwankend, schwerfällig ein Reisewagen daher. Groß war er und ungefüge. Der neue Besitzer des dem Dorfe Bucha nahen Gutes Pösen, Monsieur Anthoine de Charreard, saß darinnen, schlank, vornehm; neben ihm seine junge Frau Sophia Christine.

      Es war ein recht zaghaftes Weiberseelchen, was da in einer Ecke des Wagens fast versank. Sophia Christine war nie sonderlich lebhaft gewesen, bedrückt, verschüchtert war sie bisher durch ihre Tage gegangen, aber seitdem ihr Vater, der herzogliche Geheime Rat Ries in Jena ihr stolz den früheren Hofmeister der Herzöge von Weimar, Kammerjunker Anthoine de Charreard, als künftigen Gemahl vorgestellt hatte, war sie ganz verstummt. Aus übergroßer Liebe zu dem Manne, und aus Verwunderung darüber, daß ihr stillverschwiegenes Sehnen Erfüllung gefunden hatte.

      Dem schönen Kammerjunker war die zierliche Frau, die da neben ihm im Wagen saß, bisher herzlich gleichgültig gewesen. Er ersehnte Freiheit von dem drückenden Zwang des Hoflebens, ersehnte, Herr auf eigener Scholle zu sein. Darum, nicht um der Frau willen, die er freien sollte, hatte er dem Plan seiner fürstlichen Freundin, die er heimlich Feindin nannte, der Gemahlin des Herzogs Bernhard von Jena zugestimmt. Die Herzogin Marie stammte aus Frankreich wie er, und als er einst die junge Herzogin von Tremouville kennen gelernt, war sie ihm lieb geworden. Das war vergangen, es gelüstete ihn nicht danach, der Narr der übermütigen, hoffärtigen Dame zu sein, und als sie ihm in einer bösen Laune eine Bürgerliche, die liebliche Jungfer Ries zur Gemahlin vorgeschlagen, hatte er ja gesagt. Niemand ahnte ja, wie der schönste Mann von Jena des Treibens müde war, das am Hofe herrschte.

      Seit dem Tage, da Gaston de Charreard mit seinem Sohn und seiner Frau in das von Kriegsstürmen durchtoste Deutschland geflüchtet war, weil der hugenottische Edelmann des allmächtigen Richelieus Rache fürchten mußte, hatte der junge Anthoine wenig Ruhe in seinem Leben gehabt. Armut, oft Not, Lagerleben, Hofleben: hierhin und dorthin getrieben war er im Wirrsal der Zeit, bis er endlich durch Vermittlung seines Paten, des Herzogs von Tremouville und Thours, am Hofe zu Weimar Unterkunft als Hofmeister der beiden jüngsten Prinzen gefunden hatte.

      Und nun lag die Unruhe hinter ihm und er sollte eingehen in den Frieden, er sollte seine feste Heimat finden. Ein Haus und eine Frau.

      »Da sinse!« Aus dem Hause des Hannes Schurks drängten sich vier Kinder. Alle strohblond, rotbäckig; aus aufgerissenen Blauaugen starrten sie den Wagen an, zwei die Finger im Mund, zwei in der Nase. Allen vier Strohköpfchen aber mißlang die Verneigung, zu der Frau Anne-Marie Schurks, die Mutter, sie durch Püffe und halblaute Scheltworte aufforderte, so gründlich, daß die vier untereinander purzelten, als wäre der Sturmwind in sie hineingefahren. Sophia Christine sah es, und ein ganz holdes Lächeln lief über ihr Gesicht, und dies Lächeln sahen die Kindsmutter und Frau Katarine Merfen zu gleicher Zeit, und die Merfin redete in das Zimmer hinein: »Die wird gut, Vater.«

      Die Kindsmutter sagte das auch, als sie ihre Vier, die Kleinen sacht, die größeren mit Püffen und Verweisen, wieder auf die Beine stellte. Es redeten viele im Dorf das gleiche Wort mit erleichtertem Herzen. Denn den Buchaer Bauersleuten war es nicht gleichgültig, wer auf Pösen saß. Das Gut war Kirchlehen, und jede zweite Woche mußte der Pfarrer von Bucha in der kleinen Hauskapelle des Gutes Gottesdienst halten. Dagegen hatte kein Buchaer etwas einzuwenden, auch das Hingehen hätten sie gern getan, nur mußte es in Kirchsachen heißen, gleich zu gleich, und weil der letzte Besitzer, der Herr von Nesselrode, nie die kleine Dorfkirche aufgesucht hatte, war man andauernd gekränkt gewesen. Bis dann beim letzten Schwedeneinfall,