Arthur Koestler

Mit dem Rücken zur Wand


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      Arthur Koestler

      Mit dem Rücken zur Wand

      Israel im Sommer 1948

      Ein Augenzeugenbericht

      Mit einem Geleitwort

      von

      Dr. Gil Yaron

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      INHALT

       Dr. Gil Yaron: Zum Geleit

       Arthur Koestler: Zur Einführung

       Mit dem Rücken zur Wand

       I. Die Umkehrung von Pompeji

       II. David und Goliath

       III. Die Belagerung Jerusalems

       IV. Das Ende des Terrorismus und die Festigung staatlicher Autorität

       V. Propheten und Pharisäer

       Karin Moskon-Raschick: Nachwort

       Anmerkungen

       Übersichtskarte zum Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947

       Über die Autoren

       Über dieses Buch

       Impressum

      ZUM GELEIT

       Dr. Gil Yaron

      Durchschnittlich alle zwei Wochen erscheint auf Deutsch ein neues Buch zum Themenkomplex Naher Osten1 und gesellt sich schnell zu Tausenden Schriftwerken, die in Bibliotheken auf meterlangen Regalen nebeneinanderstehen, um ihre Analysen zu diesem scheinbar ewig lodernden Krisenherd feilzubieten. Warum sich also die Mühe machen, ein weiteres Buch aus dem Englischen zu übersetzen? Und dazu noch ausgerechnet eines, das scheinbar keine neuen Erkenntnisse bieten kann, weil es doch vor mehr als siebzig Jahren verfasst wurde? Legitime Fragen. Eine kurze Lektüre dieses Buches führte jedoch schnell zur Erkenntnis, dass man ein Juwel in Händen hält.

      Es beginnt schon mit der Sprache. Arthur Koestler ist wortgewaltig, ohne ins Pompöse zu verfallen; humorvoll distanziert, ohne hämisch zu werden; intelligent und gebildet, ohne belehrend den Zeigefinger zu erheben. Kurz: Er schreibt, wie nur wenige es vermögen – oder in einer Epoche kurzer Soundbites und scrollbarer Texte überhaupt noch dürfen. So gelingt ihm etwas, das anderen Autoren oft misslingt: mit nur wenigen Worten zugleich auf mehreren Bedeutungsebenen zu kommunizieren.

      Das Flugzeug eines UN-Sondergesandten, das Tel Aviv überfliegt, mutiert bei Koestler zur «motorisierten Friedenstaube», der «nur der Olivenzweig fehlte». Das ist mehr als nur ein klares Bild von einer weißen Maschine am blauen Himmel. Koestler verankert seine Geschichte mühelos ortsgerecht im biblischen Narrativ des Heiligen Landes. Genau wie die Taube ohne Olivenzweig im Schnabel Noah zeigte, dass die Sintflut noch nicht vorbei war, legt Koestler nonchalant das Unvermögen der UNO dar, sich gegen die Welle der Gewalt rund um die Entstehung Israels zu stemmen.

      Wenn er die blauen Sammelboxen, mit deren Hilfe der jüdische Nationalfonds Spenden für den Aufbau eines neuen Staates zusammentrug, zu «Bettelschalen für den Kauf eines Königreichs» erklärt, dann ergründet sich dem Leser intuitiv nicht nur der verzweifelte Zustand der jüdischen Diaspora Osteuropas, die sich für den Traum vom eigenen Staat Pfennige vom Mund absparte. Er legt auch nahe, wie weit hergeholt, ja abstrus den meisten Zeitgenossen Koestlers das zionistische Vorhaben erschien, nach zwei Jahrtausenden eine jüdische Heimstätte für mittellose Flüchtlinge bar jeder nationalen Identität irgendwo in Asien wiederauferstehen zu lassen.

      Koestlers Werk ist indes mehr als literarische Augenweide. Es ist ein Augenzeugenbericht, der an Weitsicht und Detailliertheit seinesgleichen sucht. Die Betrachtung scheinbar nebensächlicher Einzelheiten dient diesem begnadeten Autor dazu, die groben Züge historischer Entwicklungen mit feinem Pinsel ziseliert nachzuzeichnen. Wie ein Bogenschütze, der die politische Landschaft seiner Zeit durch eine schmale Schießscharte überblickt, nutzt er noch die kleinste Begebenheit, um Belange von strategischer Bedeutung treffsicher zu veranschaulichen. Wenn er anmerkt, dass «auf dem letzten halb-offiziellen britischen Empfang, den dieser Autor 1945 besuchte – eine große After-Dinner-Party des British Council in Jerusalem –, rund die Hälfte der etwa hundert Gäste Araber, die andere Engländer und drei Juden waren», dann zeigt er in einem Satz auf, wie es um die Neutralität der Exekutive der britischen Mandatsverwaltung in Palästina stand.

      Dabei begnügt er sich nicht mit persönlichen Beobachtungen, sondern stellt dem Leser Fakten und Wissen in fast enzyklopädischem Umfang zu Verfügung. Berichte, Briefe, Pamphlete und Studien werden hier in einer Dichte zitiert, die Koestlers Buch in eine wertvolle Quelle für jeden Forscher der Entstehungsgeschichte Israels verwandeln. Diese minutiöse Pedanterie gelingt ihm, ohne den Laien zu langweilen, im Gegenteil: Sie verleiht seiner umfassenden Vogelperspektive den fundierten Scharfblick, der selbst ideologische Scheuklappen durchdringen sollte.

      Dabei ist Koestler kein objektiver Berichterstatter, befindet sich zu keinem Zeitpunkt auf Äquidistanz zu seinen Objekten. Das erschließt sich bereits aus seiner Biografie. Koestler wuchs als bewusster Jude auf, war überzeugter Zionist, lebte und arbeitete in den Kibbuzim der zionistischen Pioniere, brannte für die Idee der Wiederauferstehung des jüdischen Volkes, auch wenn er in der neuen Heimat seines Volkes für sich selbst kein eigenes neues kulturelles Zuhause finden konnte. Das Leid der Palästinenser begriff er über seinen Intellekt, mit dem Schicksal der Juden verband ihn sein Herz.

      Dennoch wurde er nicht parteiisch. Im Vorwort zur englischen Originalausgabe, das auch im Nachwort auszugsweise zitiert wird, legt er sein Verständnis seiner Aufgabe dar: «Die emotionale Neutralität des Chronisten ist nicht dasselbe wie Gleichgültigkeit, und seine Objektivität kann nichts anderes sein als das Resultat einer subjektiven Leidenschaft im Streben nach Wahrheit. Es ist eine armselige Unparteilichkeit, die außerhalb der Akteure steht, die sich von ihren Emotionen nicht berühren lässt; ein guter Richter, wie der Dramatiker und der Historiker, saugt die subjektive Wahrheit auf, die sich in den widersprüchlichen Plädoyers findet. Sein Urteil ist eine Synthese dieser Halbwahrheiten, nicht ihre Leugnung. Mit anderen Worten, Objektivität ist ein Zustand ausgewogener Emotionen, kein Gefühlsvakuum.» Koestler gelang es, diesen Zustand «ausgewogener Emotionen» zu wahren, indem er die Skepsis des professionellen Journalisten bewahrte und sie mit dem kaltblütigen, distanzierten Humor des British Empire koppelte. Selbst wenn sein Zugang zu Zionisten weitaus besser war als zu den Briten oder Arabern, stand er allen Akteuren stets gleichermaßen kritisch gegenüber.

      Unermüdlich war er auf der Suche nach dem Heiligen Gral des Journalismus – dem Interview mit dem «kleinen Mann», der durch Umstände, die manche Zufall, andere Schicksal nennen, in die Lage versetzt wird, den Lauf der Geschichte zu verändern. So führt er dem Leser zwei Bewohner des Kibbuz Degania vor, die den Vormarsch der syrischen Armee im