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Das Mainzer Schloss


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(Abb. 2) äußerlich vollkommen unangetastet. Vor allem von der Rheinseite präsentierte sich das Mainzer Kurfürstenschloss als ein monumentaler Kubus, an dessen Ecken zinnenbekrönte Türme für das typische Bild spätmittelalterlicher Burgbzw. Schlossarchitektur sorgten.8 Aufgrund der L-förmigen Grundgestalt des Schlossbaus konnten Betrachter von der Rheinseite dabei durchaus den Eindruck erhalten, auf ein Schloss mit der vor allem im Mittelalter und der beginnenden Frühen Neuzeit prestigeträchtigen rechteckigen bzw. quadratischen Kastellform zu blicken (Abb. 3; vgl. Taf. 22)9. Dass zu dieser Form zwei Flügel fehlten, wurde durch die Anordnung der beiden übereck gestellten Flügel zur Rheinseite und die Ausbildung von zwei Turmaufsätzen auf der Westseite geschickt kaschiert. Zur Stadt hin war dem Kernbau eine Vorburg aus einzelnen Wirtschaftsgebäuden und zwei Rundtürmen vorgelagert. In dieser Form präsentierte sich der Bau bis 1628 äußerlich unverändert, wie auch Zeichnungen von Wenzel Hollar, darunter aus dem Jahr 1627/1628, belegen (vgl. Abb. 2).10 Wenn es bis dahin zu Neubauten kam, dann wurden diese – wie etwa das Kanzleigebäude von 1575 oder die ebenfalls ab 1575 erbaute Schlosskirche St. Gangolph – in den an das engere Burgareal angrenzenden Bereichen errichtet (vgl. auf Abb. 3 die Gebäude links von der alten Martinsburg und dem neuen Ostflügel sowie Taf. 26).11

      Abb. 5: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht des Nordwestflügels (oberhalb des Sockelmauerwerks zwischen 1750 und 1752 errichtet) mit dem Sockelmauerwerk von 1687

      Abb. 4: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht von der Rheinseite (heutiger Zustand nach Abriss der Martinsburg unter Napoleon 1809)

      1628, mitten im Dreißigjährigen Krieg, entschloss sich Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau zu einer großangelegten Neubaukampagne.12 Der Verlauf dieser Baukampagne sollte jedoch bereits drei Jahre später durch den Einmarsch des schwedischen Königs Gustav Adolf und seiner Truppen in Mainz abrupt unterbrochen werden. Dennoch gelang es den Bautrupps des Mainzer Erzbischofs bis dahin, an das südöstliche Ende der Martinsburg einen achtachsigen und drei Geschosse hoch aufragenden Neubau anzufügen, der bis an die Südmauer der Martinsburg heranreichte. Allerdings konnten bis 1631 zunächst nur die Außenmauern – vermutlich nur mit einem Notdach abgedeckt – fertiggestellt werden (vgl. hierzu Abb. 3, Taf. 22), während unter der schwedischen Besatzung die Baustelle ruhte. Doch auch danach, 1647, erfolgte kein Weiterbau, dieses Mal offensichtlich wegen zwischenzeitlich festgestellter Probleme mit dem durch den nahe gelegenen Rhein und Hochwasser durchfeuchteten Baugrund (weil man dn [sic] Boden nicht allzu gut befunden hat). So begründet jedenfalls Balthasar de Moncony in seinem Reisebericht vom 16./17. Januar 1664 die Ursache für den damals immer noch unfertig als Bauruine herumstehenden neuen Schlossflügel (Taf. 20).13 Beinahe wäre das unvollendete Bauwerk deswegen durch den damals amtierenden Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn wieder abgetragen worden, um seine sehr schön aus jenem roten Stein ausgeführt[en] Mauern anschließend im Bereich der Mainzer Zitadelle neu aufzubauen. So schildert es der Jesuit Daniel Papebroch 1660 in seinem Reisebericht.14

      Ob dieser neue Flügel, dessen Architekt nach wie vor nicht identifiziert werden konnte,15 von vornherein nach Norden weitergeführt werden sollte oder – wie es Lorenz Frank rekonstruiert16 – zunächst als abgeschlossener, achsensymmetrischer Gebäudetrakt mit zur Stadtseite hin sichtbarem nördlichem und südlichem Eckerker sowie Walmdach konzipiert war, muss derzeit offen bleiben.17 In den Jahren zwischen 1675 und 1678 ließ dann Kurfürst Damian Hartard von der Leyen das im Dreißigjährigen Krieg begonnene Werk des Kurfürsten Georg Friedrich von Greiffenclau fortsetzen und den neuen Schlossflügel um weitere acht Achsen nach Norden (Abb. 4; vgl. Taf. 4) erweitern. Direkt anschließend war ein weiterer Flügel geplant, der an der Nordwestseite der Martinsburg ansetzen sollte. Dieser unter Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim ab 1687 in den Fundamenten und im Sockelmauerwerk vorbereitete Nordwestflügel18 (Abb. 5; vgl. Taf. 10, 17) blieb aber für viele Jahrzehnte – u. a. auch als Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges – ebenfalls als Bauruine stehen und konnte erst zwischen 1750 und 1752 unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein im aufgehenden Mauerwerk errichtet und vollendet werden.19 Damit war die 1628 in Angriff genommene Modernisierung und Erweiterung des Mainzer Residenzschlosses – immer wieder durch schwere Kriege unterbrochen – nach immerhin 124 Jahren Bauzeit zumindest äußerlich im Gebäudebestand abgeschlossen. Dass in dieser Schlussphase des Schlossausbaus aber die alte Martinsburg schließlich doch noch für den Abriss freigegeben werden sollte, wie in der Literatur behauptet wird, ist sehr zweifelhaft und dürfte auf einer Fehlinterpretation einer Schriftquelle beruhen.20 Stattdessen ist über alle Ausbauphasen hinweg und ungeachtet der Bemühungen um eine bauliche Modernisierung und ein möglichst einheitliches Erscheinungsbild der frühneuzeitlichen Erweiterungsbauten die konsequente Bewahrung des spätmittelalterlichen Kernbaus des Mainzer Residenzschlosses zu beobachten. Die Ursachen für dieses auffällige Festhalten an der alten Martinsburg sind in der politischen und historiografischen Erinnerungsfunktion des geschichtsträchtigen Altbaus zu suchen, auf die weiter unten, im dritten Kapitel des vorliegenden Beitrags, nochmals zurückzukommen sein wird.

      Abb. 6: Dresden, Schloss, Ansicht nach Antonius Weck, 1680

      Abb. 7: Berlin, Residenzschloss, Innenhof, Zeichnung von J. Stridbeck, 1690

      Die Neubaukampagne ab 1628 als Reaktion auf das fürstliche Baugeschehen im Reich?

      Wie lässt sich der Entschluss zu dem ab 1628 vorgenommenen großangelegten Ausbau des alten Mainzer Residenzschlosses erklären? Wenn wir die eingangs zitierten Äußerungen der frühneuzeitlichen Historiker und Staatstheoretiker oder des französischen Staatsministers und königlichen Baudirektors Ludwigs XIV., Jean-Baptiste Colbert, ernst nehmen, demzufolge die Schlossarchitektur ein Sinnbild fürstlicher oder königlicher Autorität und Würde sei, dann liegt der Gedanke nahe, dass dieses Sinnbild im Falle des alten Mainzer Schlosses zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht mehr so recht funktionierte. Doch war das Mainzer Schloss mit der alles beherrschenden Martinsburg 1628, dem Zeitpunkt der Neubaukampagne, tatsächlich schon so veraltet, dass die Mainzer Kurfürsten und das Erzstift befürchten mussten, bei ihren für die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte notwendigen Repräsentationsbauten den Anschluss zu verlieren? Damit diese Frage geklärt werden kann, ist ein Blick auf die höfische Bausituation im deutschen Reich erforderlich, um in Erfahrung zu bringen, wie es um die Residenzschlösser der übrigen deutschen Fürsten und Fürstbischöfe oder des Königs und Kaisers bestellt war.

      Ein solcher Blick sorgt zunächst für eine Überraschung. Denn wer geglaubt hat, dass das Mainzer Kurfürstenschloss 1628 bereits hoffnungslos veraltet war und daher im Vergleich mit den Residenzen des Kölner oder Trierer Erzbischofs, des sächsischen, brandenburgischen oder pfälzischen Kurfürsten oder gar des Kaisers in Wien einer dringenden Auffrischung bedurfte, sieht sich mit einem überraschenden Befund konfrontiert: Im Jahr 1628 residierten noch nahezu alle der genannten Amtskollegen und politischen Konkurrenten in ihren alten, oftmals aus dem Mittelalter tradierten Burgen, Schlössern und Stadtresidenzen. Dies gilt beispielsweise für Dresden, wo der sächsische Kurfürst und immerhin Erzmarschall des Reiches immer