Matthias Kluger

Drug trail - Spur der Drogen


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      „Ich werde es Sie wissen lassen, Kumpel, aber bis dahin …“ Der Officer wedelte mit seiner Rechten, die einen Schlagstock fest im Griff hielt, zum Gehen.

      Murrend wandte sich Oliver ab und blickte zu beiden Seiten die Hauptstraße entlang. Verdammt! Wäre er nur früher hier gewesen, dann hätte unter Umständen die Möglichkeit bestanden …

      Oliver zog sein Handy hervor und wählte Jennys Nummer. Es läutete eine halbe Ewigkeit, bis sich die schrille Stimme seiner Kollegin meldete: „Auch schon wach?“

      „Wo seid ihr?“, fragte er, ohne auf die Anspielung rechtfertigend einzugehen.

      „In der Nähe des Four Seasons. Da, wo halt alle Starreporter im Moment sein sollten.“

      „Wo genau, du Hexe?“, raunzte Oliver liebevoll.

      „In einer Seitenstraße der Pennsylvania. Eine kleine Weinbar.“

      „Kenn ich. Bin gleich bei euch.“

      Oliver befand sich bereits auf der Pennsylvania Avenue und folgte dieser nun in nordöstlicher Richtung. Vor den niedrigen Gebäuden, die abwechselnd mit Klinkerstein gemauert oder weiß gestrichen waren, schlängelte er sich am Gehweg durch zahlreiche Passanten und Trauben von Schaulustigen hindurch. Wenn ihn nicht alles täuschte, befand sich das kleine Weinlokal an der nächsten Straßenecke. Erst im Herbst hatte er es mit einer Kollegin aus der Sportredaktion besucht. Nichts Ernsthaftes, nur ein feuchtfröhlicher Abend mit anschließendem Quickie in ihrer Wohnung.

      Er bog um die Ecke. Tatsächlich. Die Weinbar lag direkt vor ihm, und wie er bemerkte, war auch hier hinter der Bar eine Absperrung der USCP errichtet worden. Sowohl vor dem Eingang als auch im Lokal selbst herrschte emsiges Treiben. Stoisch zwängte sich Oliver ins Innere der Bar. Ein fader Dunst angebrannten Olivenöls gemischt mit den Ausdünstungen transpirierender Gäste hing wie eine unsichtbare Wolke über den aneinandergereihten Köpfen. Ohne auf den leidenden Blick der überforderten Bedienung einzugehen, quetschte sich Oliver mit der rechten Schulter voran in den hinteren Bereich zur Bar. Wie Lemminge drängten sich etliche Gäste vor dem Tresen, darunter Jenny und ihr Kollege Frank, der seine Digitalkamera geschultert trug.

      „Und, habt ihr schon was herausgefunden?“, fiel Oliver mit der Tür ins Haus.

      „Nicht mehr als die Kollegen hier.“ Frank schmunzelte. „Alle sind sie da, wie die Aasgeier. Die Jungs von der Times, Daily News – sogar vom Chronicle. Doch niemand wird auch nur in die Nähe des Hotels gelassen.“

      „Und was machen wir jetzt?“, fragte Oliver in die Runde.

      „Das, was alle machen: warten“, entgegnete Jenny, während sie gelangweilt ihr von Sommersprossen übersätes Gesicht zu einer Grimasse verzog.

      „Irgendwas ist da faul, ich rieche es förmlich“, flüsterte Oliver. „Klar, es geht hier um den Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten. Aber warum schotten sie das Areal dermaßen ab?“

      „Reine Routine“, meinte Frank. „Bevor die nicht genau wissen, was passiert ist, lassen die keine Kakerlake auch nur in die Nähe. Wenn wir …“

      Eine plötzlich aufkeimende Unruhe unterbrach Franks Ausführungen. Irgendetwas schien draußen in Bewegung zu kommen. Ohne Rücksicht zu nehmen, schob sich Oliver an mehreren Gästen vorbei zum Ausgang. Tatsächlich rollten soeben eine schwarze Limousine sowie ein Leichenwagen, eskortiert von zwei dunklen Vans Ford V8 mit abgetönten Scheiben, die Pennsylvania Avenue entlang, um anschließend links in der Zugangsstraße zum Hotel zu verschwinden. Frank hatte die Digitalkamera im Anschlag und das leise Rattern des Auslösers sicherte ihnen mehrere Aufnahmen in der Sekunde.

      „Bleibt ihr hier am Ball“, wies Oliver seine Kollegen an. „Ich fahr ins George Washington Hospital. Sie bringen ihn sicher dorthin.“

      „Woher willst du das wissen?“, fragte Jenny ihn musternd.

      Oliver tippte mit dem Zeigefinger an seinen Nasenflügel.

      Fragestunde

      Die Kabelbinder, mit denen sie Enrico vor Stunden an den Stuhl gefesselt hatten, schnitten ihm schmerzhaft in die Handgelenke. Seine Beine waren eingeschlafen, Schweiß stand auf seiner Stirn. Es fehlte nicht viel und er würde sich vor ihnen in die Hose pissen.

      Direkt gegenüber von Enrico saß zusammengesunken sein Boss, Vicente. Seit seiner Jugend arbeitete Enrico jetzt schon für Vicente. Er war wie eine Vaterfigur für ihn, von der er sich über viele Jahre hinweg immer wieder die gleiche Leier anhören musste: „Weißt du“, fragte Vicente dann stets, „warum meine Mama mich auf Vicente taufen ließ? Na? Na? Ich verrat’s dir: Kommt aus dem Lateinischen von ‚vincere‘ und bedeutet so viel wie ‚Der Siegende‘.“ Dabei klopfte sich Enricos Boss wie ein Gewinner mit den flachen Händen auf die Brust. Das, was nunmehr von Vicente übrig geblieben war, hatte nichts mehr mit einem Sieger gemein. Sie hatten ihm übel zugesetzt. Sein rechtes Ohr fehlte, abgeschnitten. Sie hatten es Vicente blutbesudelt in den Rachen geschoben, inmitten abgebrochener, ausgeschlagener Zähne. Von seinem Gesicht war nach der Spezialbehandlung kaum noch etwas zu erkennen. Sein Antlitz war eine dunkelrote, zu Brei geprügelte Masse. Kleine Blutblasen bildeten sich dort, wo einst die Nase und die breiten Lippen ihren Platz hatten, und rot gefärbte Spuckefäden zogen sich bis auf den Boden. Aber Vicente atmete noch.

      Unbewusst nach vorn und hinten wippend, starrte Enrico angsterfüllt auf die ohne Skrupel übel zugerichtete Gestalt. Würde ihn nun das gleiche Schicksal ereilen?

      Aus dem Augenwinkel heraus nahm Enrico eine Bewegung wahr. Sie kam von einem elegant aussehenden Mann, dem er zwar zuvor noch nie begegnet war, den er jedoch von Erzählungen seines Ziehvaters her kannte. Mitte fünfzig, grau meliertes Haar, ein wie mit dem Lineal akkurat gezogener Scheitel, bekleidet mit dunklem Anzug und camelfarbenem Wintermantel. Gelassen, als würde soeben ein Werbefilm für eine italienische Modemarke gedreht, streifte sich dieser einen Lederhandschuh über, während er seinem Begleiter durch Nicken Anweisung erteilte.

      Die zweite Person hatte die Figur eines Athleten und maß mindestens einen Meter neunzig. Das kantige Gesicht des Hünen sowie der massige Schädel waren glatt rasiert. Eine mächtige Narbe zog sich von der linken Augenbraue bis hoch in die Stirn und bei genauerem Hinsehen konnte man die Mulde erkennen, die sich entlang der Narbe auf der Schädeldecke abzeichnete. Seit über einer Stunde schon hatte die verschrobene Glatze den Job übernommen, Fragen an Vicente zu richten. Nachdem ihm dieser nicht die gewünschten Informationen preisgegeben hatte, prügelte der Glatzköpfige mit regungsloser Miene den Schlagstock in Vicentes Gesicht. Immer wieder. Die wuchtigen, klatschenden und knackenden Geräusche, die die Schläge verursachten, hallten dumpf in der Lagerhalle, in die Vicente mit Enrico vor über zwei Stunden verschleppt worden waren.

      Jetzt griff die Glatze nach hinten in den Hosenbund, zog eine Walther P99 mit Schalldämpfer hervor und richtete die Waffe an die Schläfe Vicentes. Das leise Knacken des Abzugshahns riss dessen Kopf zur Seite. Blut und Gehirnmasse spritzten auf den staubigen Betonboden und formten gemeinsam mit eingetrockneten Ölflecken ein bizarres, abstrakt anmutendes Muster.

      Sekunden der Stille.

      „Hast du gesehen, was passiert, wenn man sich meinen Regeln widersetzt?“ Der grau melierte Gentleman, der auf den Namen Paolo Fucari hörte, wandte sich nun flüsternd an Enrico.

      Mit vor Entsetzen starrem Blick konnte dieser weder ein Wort sagen noch eine Regung zeigen. Die Angst hatte jeden seiner Muskeln einfrieren lassen.

      „Sicher verrätst du mir jetzt, von wem Vicente in den letzten Monaten das Koks bezogen hat?“ Ohne jede Notation in der Stimme war es weniger eine Frage denn ein Befehl.

      „Mister, Mister Fucari“, hörte Enrico sich jetzt stammeln, „ich, ich habe wirklich keine Ahnung. Vicente hat daraus ein Geheimnis gemacht. Die Lieferungen kamen meist nachts ins Lagerhaus. Ich …“ Mehr brachte Enrico nicht zustande. Ohne es zu wollen, quollen Tränen aus seinen Augen, während er wie ein kleines Kind zu schluchzen begann.

      Der Hüne mit Glatze wollte gerade zum Schlag ausholen, als die erhobene Hand