Heike M. Major

Tambara und das Geheimnis von Kreta


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      Heike M. Major

      TAMBARA

      und das Geheimnis von KRETA

      Engelsdorfer Verlag

      Leipzig

      2021

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

       Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

      Copyright (2021) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte bei der Autorin

      Titelbildidee: Heike M. Major

      Fotos: Heike M. Major

      Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

       www.engelsdorfer-verlag.de

       Fortschritt

       So viele Jahre haben wir nun

       Erfahrungen mit dem Fortschritt gesammelt.

       Trotzdem konnten wir ihn nicht zähmen.

       Er läuft uns davon wie ein bockiges Pferd,

       denkt sich immer wieder neue Kapriolen aus,

       um uns zu überraschen.

       Wir laufen stets in einiger Entfernung hinterher,

       um den Schaden seiner unzähligen Spielarten

       zu begrenzen.

       Jeder Pferdebesitzer untersucht ein Pferd,

       bevor er es kauft, auf erkennbare Mängel,

       mögliche Erkrankungen, wahrscheinlichen Nutzen.

       Er weiß, alles hat seinen Preis.

       Heike M. Major

       1

      Unsanft setzte die moderne Maschine auf der alten Landebahn auf. Nachdem Kreta für die Öffentlichkeit freigegeben worden war, durften nun auch die ersten Linienmaschinen wieder auf der Insel landen. Rebs Blick glitt über das Rollfeld und hinüber zu einem niedrigen weißen Gebäude, dessen lang gestreckte Fensterfront von einer Vielzahl senkrechter weißer Streben durchbrochen wurde. Dies musste das Flughafengebäude sein. Es sah genauso aus wie auf dem Bild, das der Medienkonzern ihm auf sein Technikarmband geschickt hatte. Reb hatte die Informationen in seinem Armband bisher nur einmal kurz durchgelesen. Er vertraute lieber auf den örtlichen Reisedienst, der ihn am Ausgang abholen und, wie es vor Jahrhunderten üblich gewesen war, mit dem firmeneigenen Bus zum Hotel bringen würde.

      Kreta – ein fast im Urzustand erhaltenes Naturreservat – hatte bis vor Kurzem nur einem einzigen öffentlichen Zweck gedient: der Versorgung der großen Weltstädte mit Grundnahrungsmitteln. Die Insel belieferte fast den gesamten Erdball mit heimischen Oliven und wertvollen Ölen aus diesem natürlichen Gold. Reich waren die Kreter trotzdem nicht geworden. Als Angestellte des Sirman’s Group - Oil for your live - Konzerns ernteten, verarbeiteten und versandten sie die Produkte, das große Geld jedoch blieb bei den Firmeneignern in der Stadt. Die Einheimischen mussten sich mit einem bescheidenen Einkommen begnügen und – dies allerdings war ihnen gewiss – der uneingeschränkten Bewunderung der restlichen Weltbevölkerung, denn wer wollte heutzutage noch in der Natur arbeiten. Dazu bedurfte es schon einiger mutiger Freiwilliger. Die Menschen, die sich dieser aufopfernden Tätigkeit annahmen, waren auf der Insel geboren und aufgewachsen und mit den Eigenheiten dieses Landstrichs von Kindheit her vertraut. Die Aktionäre hingegen hatten ihre Domizile in der Stadt Tambara aufgeschlagen, in der Nähe der großen Konzerne.

      Die Gegend um den Flughafen herum war extrem hässlich. Ein- bis zweistöckige schmutzig graue Häuser schoben sich ineinander und duckten sich entlang der staubigen Straße zu einem einzigen, schier endlos scheinenden Strang aus schäbigem, von der Verwitterung gezeichnetem Beton. Auf dem abgewetzten Pflaster der Bürgersteige sammelte sich der Sand der Umgebung. Abgestorbene Pflanzenteile hatte der Wind daruntergemischt, vereinzelt sah man auch Müll in den Ecken, Einkaufstüten aus noch nicht recycelbaren Kunststoffen, Plastikverpackungen von Fertiggerichten oder Blechdosen einer schon lange nicht mehr existierenden Getränkefirma.

      Der Bus fuhr über eine Brücke und ließ die Flughafenregion hinter sich, aber immer noch blieb der Eindruck städtisch: Tankstellen, Möbelgeschäfte, Souvenirläden, dichter Verkehr überall, aufheulende Autos, knatternde Motorräder, dazwischen quetschten sich Fußgänger über die Straße. Wie hatten die Menschen in all den Jahrhunderten nur so leben können, dachte Reb. Der Erdboden in Tambara, seiner Heimatstadt, war mit einer geschlossenen Decke aus Hightech-Kunststoff überzogen. Die synthetischen Bäume in den Straßen lieferten durch unterirdische Kanalsysteme nicht nur den nötigen Sauerstoff, sondern reinigten mit ihren Filteranlagen auch die Luft von Kohlendioxid, Staub- und Sandpartikeln und selbst die von den Touristen aus den wenigen noch existierenden Naturreservaten unfreiwillig eingeschleppten Samenkörner wurden mittels moderner Technik als Fremdkörper erkannt und umgehend vernichtet. Fahrzeuge fuhren fast laut- und schwerelos, und die bis zum Boden reichenden Fenster der Hochhäuser speicherten die Sonnenwärme und sorgten mit ihrer integrierten Heizung für ein wohltemperiertes Klima in den Innenräumen. Reb war froh, dass er die Abgase dieser mehr als veralteten Fahrzeuge durch die geschlossenen Scheiben nicht riechen konnte.

      Der Bus bremste und bog nach rechts in eine schmalere Straße ein. Wenigstens ließ jetzt der Verkehr ein wenig nach. Links der Fahrbahn erstreckte sich eine meist einstöckige Ladenzeile mit an Baracken erinnernden Geschäftsräumen, vor deren Eingangstüren an einfachen Blechständern Kleider und Kopfbedeckungen für den Aufenthalt unter freiem Himmel angeboten wurden. Die Häuserreihe auf der rechten Seite war nicht ganz geschlossen. In den Lücken zwischen den Betonbauten machten sich Gräser und niedriges Buschwerk breit, ein paar Bäume hatten sich dazugesellt, ganze Flächen waren nicht asphaltiert. In einem der Zwischenräume erspähte Reb das Meer. So ähnlich musste es vor Hunderten von Jahren ausgesehen haben, als es noch überall echte Pflanzen gab und die Menschen, begünstigt durch den Fortschritt der Technik und die Möglichkeit zum schnellen Ortswechsel, anfingen, fremde Kulturen zu erkunden – und zu zerstören. Damals musste es angefangen haben, dass die Natur nach und nach von der Landkarte verschwand, überall die gleichen Hotels entstanden und sich auch die großen Weltstädte immer mehr ähnelten.

      Mit einem unsanften Ruck kam der Bus zum Stehen. Rebs Blick fiel auf zwei Geranienbeete, die mit sandfarbenen Natursteinen eingefasst waren. Auf einer Steinplatte links neben dem Eingang stand der Name der Anlage: Hotel Pink Parrot. Die Schrift war plastisch hervorgehoben und sah aus, als wäre sie noch aus natürlichem Metall gegossen worden. Die Flügel des Eingangstores bestanden aus grob gezimmerten, von der Rinde befreiten Holzstämmen. Sie lehnten souverän an dem Maschendrahtzaun, der zu beiden Seiten das Gelände vom Bürgersteig trennte, und gaben den Blick auf den großzügigen Hof des Quartiers frei.

      „Hotel Pink Parrot“, grölte der Busfahrer, sprang auf die Straße und öffnete die Gepäckklappe des Fahrzeugs.

      Reb kletterte von der relativen Ruhe des Reisebusses auf die lärmende Straße und nahm seinen Koffer in Empfang. Kaum hatte er den Griff des Gepäckstückes ausgefahren und von Automatik- auf Handbetrieb umgestellt, hörte er die Fahrzeugtür klacken, und der Bus rollte davon.

      Seinen rappelnden Koffer hinter sich herziehend, durchschritt Reb das Eingangstor und wunderte sich über die Stille, die ihn empfing. Kaum ein paar Meter von der Straße entfernt, schienen Lärm und Gestank der alten Vehikel fast völlig vergessen.

      Für einen Moment hielt er inne und ließ seinen Blick über die Anlage schweifen. Der großzügig angelegte Hof wartete außer mit einer Reihe riesiger Palmen in der Mitte und einer winzigen, aus Holz