Seele und das Spirituelle
Besteht ein Unterschied zwischen dem „Spirituellen“ und der „Seele“? Sind es verschiedene Ebenen?
Ja, die seelische Ebene gehört zur persönlichen Manifestation; die Seele ist das, was göttlich in dir ist, herausgestellt, um dynamisch im Spiel [der Natur] zu sein. Doch wenn wir vom Spirituellen sprechen, denken wir an etwas, das eher im Göttlichen als in der äußeren Manifestation konzentriert ist. Die spirituelle Ebene ist etwas Statisches hinter und über dem äußeren Spiel [der Natur]; sie stützt die Instrumente der Natur, ist aber nicht selbst in der äußeren Manifestation mit einbezogen oder in sie verstrickt. Doch wenn wir von diesen Dingen sprechen, müssen wir uns vorsehen, nicht von den Worten, die wir gebrauchen, eingeschlossen zu werden. Wenn ich von der Seele oder dem Spirituellen spreche, meine ich Dinge, die hinter der flachen Oberfläche der Worte sehr tief und wirklich sind, und selbst in ihrer Verschiedenheit innerlich miteinander verbunden sind. Intellektuelle Definitionen und Unterscheidungen sind zu äußerlich und starr, um die Wahrheit der Dinge zu erfassen.
DIE MUTTER (3:63)
*
Worin besteht der Unterschied zwischen „spirituell“ und „seelisch“?
Es ist nicht die gleiche Sache. Die Seele ist das Wesen, das durch die göttliche Gegenwart ins Leben gerufen wurde, und sie gehört zur Erde – ich meine nicht das Universum, nur die Erde; nur auf Erden gibt es das seelische Wesen. Das übrige Universum ist auf ganz andere Weise gestaltet.
Das Universum enthält alle Bereiche, die höher als das Physische sind: es gibt ein globales Physisches, welches das Mental, das Vital usw. umfasst, und alle Bereiche über dem Mental sind solche einer spirituellen Ordnung, Bereiche, die für uns Bereiche des Spirits sind; und dieser „Spirit“ ist es, der sich nach und nach fortschreitend materialisiert, um bei der Materie, wie wir sie sehen, anzulangen. Die Wesen des Obermental-Bereiches zum Beispiel, und all die Wesen der höheren Regionen besitzen kein seelisches Wesen – die „Engel“ haben kein seelisches Wesen. Erst auf Erden beginnt das seelische Leben, und durch genau diesen Prozess hat das Göttliche das stoffliche Leben zu der Notwendigkeit erweckt, seinen göttlichen Ursprung wiederzufinden. Ohne die Seele wäre die Materie nie aus ihrer Unbewusstheit erwacht, sie hätte nie nach dem Leben ihres Ursprungs, dem spirituellen Leben, gestrebt. Man kann daher sagen, dass das seelische Wesen im Menschen die Offenbarung spiritueller Aspiration ist; doch spirituelles Leben als solches ist unabhängig von der Seele.
DIE MUTTER (4:164)
*
Die Seele hat zwei Aspekte, es gibt das Seelenprinzip als solches, das alle Möglichkeiten der Seele enthält, und es gibt die seelische Personalität, die das verkörpert, was immer sich an Seelenkraft von Leben zu Leben entwickelt hat, oder herausgestellt wurde, um in unserer gegenwärtigen Lebensform zu wirken. Das seelische Wesen drückt sich im Allgemeinen durch seine mentalen, vitalen und physischen Instrumente aus; es versucht ihnen möglichst viel seines eigenen Stempels aufzuprägen. Doch nur selten vermag es ihnen die volle seelische Prägung zu verleihen – es sei denn, es tritt ganz aus seiner ziemlich abgeschlossenen und überschatteten Stellung hervor, um die unmittelbare Führung der [menschlichen] Natur in seine Hände zu nehmen. Es kann dann alle spirituellen Verwirklichungen auf seine eigene Art und Weise empfangen und ausdrücken. Denn die Wende der Seele unterscheidet sich von derjenigen der über dem Kopf liegenden Ebenen – sie hat nicht soviel Größe, Macht und Weite, dafür aber mehr einer kleineren Süße und zarten Schönheit; sie besitzt eine intensive Schönheit des Gefühls, eine feine Subtilität der echten Wahrnehmung, eine innige Sprache. Der Ausdruck „Süße und Licht“ kann durchaus auf die Seele als das Wesentliche ihrer Natur angewandt werden. Die spirituelle Ebene, wenn sie diese Dinge aufnimmt, verleiht ihnen einen umfassenderen Ausdruck, einen größeres Licht, eine stärkere Süße, einen Atem von mächtiger Kühnheit, von Stärke und Raum.
SRI AUROBINDO (9:364)
* * *
Kapitel 7
Gefühl und Liebe – vital und seelisch
Ist ein Gefühl immer eine vitale Regung?
Es hängt von dem Gefühl ab, und es hängt auch davon ab, was du ein Gefühl nennst. Es gibt zum Beispiel einen Zustand, in dem du dir einer sehr präzisen, sehr klaren seelischen Bewegung gewärtig bist – dies geschieht ziemlich oft – das Gefühl ist so mächtig, dass dir Tränen in die Augen kommen. Nicht, dass du traurig oder glücklich wärst, weder das eine noch das andere; es entspricht keinem bestimmten Gefühl, es ist vielmehr eine Gefühlsintensität, die von etwas herrührt, das klar und deutlich seelisch ist. Es mag in dir selbst sein, doch noch öfter ist es in jemand anderem. Wenn du mit einer Tat in Berührung kommst, einer Regung, einer Manifestation, die der Seele angehört, dann füllen sich plötzlich die Augen mit Tränen. Wenn du das ein Gefühl nennst ... offensichtlich ist es ein Gefühl. Doch im Allgemeinen kommt es daher: das physische Wesen hat eine nicht sehr bewusste, doch intensive Sehnsucht nach einem Kontakt mit dem seelischen Wesen. Es fühlt sich armselig, entblößt, abgesondert und verlassen, wenn es nicht in Kontakt mit dem seelischen Wesen ist. Nicht ein physisches Wesen in einer Million ist sich dessen bewusst. Doch dieser Eindruck, verloren zu sein, schutzlos in der Luft zu hängen ohne Hilfe, etwas zu missen und nicht zu wissen, was es ist, etwas, das du nicht verstehst, doch das dir fehlt, eine Leere irgendwo: nun, das kommt häufiger vor als man denkt – doch wissen die Menschen nicht, was es ist. Dann aber, wenn aus dem einen oder anderen Grund dieses Bewusstsein plötzlich in Kontakt mit einem deutlich seelischen Phänomen kommt, mit seelischen Kräften, seelischen Schwingungen, ist das Gefühl so stark, dass es der Körper meist nicht halten kann. Es ist wie eine Freude, die zu groß ist, die nach allen Seiten überfließt, für die du keinen Raum in dir hast, die du nicht in dir bewahren kannst. So ist es. Und plötzlich hast du eine Art Offenbarung, nicht sehr bewusst, nicht deutlich ausgedrückt, die Offenbarung von ... dies ist es, dies ist es, was ich haben muss. Und es ist so machtvoll, so mächtig, dass es dir ein Gefühl verleiht, das sich aus so vielen Dingen zusammensetzt, dass du kaum sagen kannst, was es ist. Solche Gefühle sind nicht vital.
Vitale Gefühle sind von ganz anderer Natur, sie sind sehr klar, sehr präzis, du kannst sie sehr deutlich ausdrücken; sie sind heftig, sie erfüllen dich meist mit Intensität und Rastlosigkeit und manches Mal mit einer großen Befriedigung. Und dann kommt das Gegenteil mit der gleichen Kraft. Daher denken die Leute, viele Leute denken – wir haben das bereits mehrere Male erwähnt –, dass sie nur dann die Erfahrung der Liebe haben, wenn sie so ist, wenn sie im Vital ist, wenn sie mit all den Regungen des Vitals kommt, all dieser Intensität, diesem Ungestüm, dieser Präzision, diesem Zauber. Und wenn das fehlt, sagen sie: „Oh, das ist nicht Liebe“.
Und dennoch ist es genau das, was die Liebe entstellt: es ist schon nicht mehr Liebe, es ist der Beginn der Leidenschaft. Und das ist ein beinahe universaler Trugschluss der Menschen.
Manche Menschen sind voll einer sehr reinen, sehr hohen, sehr selbstlosen seelischen Liebe, und wissen dennoch nichts darüber und glauben, sie seien kalt, trocken und ohne Liebe, da dieses Gemisch der vitalen Vibration fehlt. Für sie beginnt und endet Liebe mit dieser Vibration.
Und da das, was aus Bewegungen und Reaktionen und Heftigkeiten aller Art besteht, sowohl in Niedergeschlagenheit als in Befriedigung, etwas sehr Unstetes ist, ist für diese Leute auch die Liebe etwas sehr Flüchtiges: in ihrem Leben dauert die Liebe Minuten. Sie mag einige Stunden dauern und wird dann wieder dumpf und flach, und sie meinen, sie seien von der Liebe verlassen worden.
Wie ich sagte, einige Menschen sind durchaus darüber hinausgelangt, sie sind in der Lage gewesen, es [das Gefühl] derart zu kontrollieren, dass es mit nichts anderem vermischt wurde; sie haben in sich diese seelische Liebe, die voller Selbstvergessen ist, voller Selbstgeben und Mitleid und Großzügigkeit, voll der Würde des Lebens, und die eine große Macht der Selbsterkenntnis ist. Daher glauben viele dieser Menschen, sie seien kalt und gleichgültig – es sind sehr nette Menschen, weißt du, aber sie lieben nicht, – und manchmal wissen sie es selbst nicht. Ich kannte Menschen, die dachten, sie seien ohne Liebe, da sie diese Vibration nicht empfanden.