der Saatgutentwicklung sind zwar ein umstrittenes Thema, werden aber gerade in der globalen Nahrungsmittelversorgung eine bedeutendere Rolle spielen.
Konsumseitig stehen veränderte Ernährungsgewohnheiten im Zentrum der notwendigen Reformen. An erster Stelle steht dabei ein reduzierter Fleischkonsum mit deutlichen Effekten für Klimaschutz und Naturverbrauch. Gleiches gilt im Übrigen auch für den Konsum von Palmöl oder Avocados, die als SUVs auf der Speisekarte bezeichnet werden können. Wichtig sind daher regionale und saisonale Nahrungsmittel, um auch Transporte und den Verlust von Nahrungsmitteln zu minimieren. Auch die digitale Unterstützung durch personalisierte Ernährungspläne kann dazu beitragen, das Einkaufen und Kochen von Lebensmitteln zu optimieren und geringere Mengen wegzuwerfen.
4.4.4 Materialwende
Vielfach unbeachtet durch die disruptiven Entwicklungen der Digitalisierung findet auf der Ebene der Materialien eine grundlegende Transformation statt, die als wichtiger Baustein einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise zu sehen ist.
Der vorherrschende Rohstoff in der chemischen Industrie ist immer noch Öl, das als Nebenprodukt aus den Prozessen der Ölraffinerien zur Entwicklung von Kraftstoffen verwendet wird. Notwendig ist zukünftig die verstärkte Verwendung von recycelten oder anderen nachhaltigen Materialien, die zu ihrer Herstellung keine fossilen Ressourcen benötigen. Den Gedanken der Kreislaufwirtschaft verfolgend müssen chemische Produkte im Hinblick auf ihren gesamten Lebenszyklus optimiert werden, einschließlich der Recyclingfähigkeit und biologischen Abbaubarkeit. Gleichfalls werden die zukünftigen Materialien spezifischere Eigenschaften ausweisen, insofern kann der Schadstoffeintrag und insbesondere das Gesundheitsrisiko in vielen Fällen reduziert werden. Der Green Deal der EU beinhaltet eine Strategie für eine echte Chemiewende, indem Innovationen für sichere und nachhaltige Chemikalien gefördert werden, um Umwelt und Menschen zu schützen.
Auch im Bauwesen sind materialseitig deutliche Verschiebungen absehbar. Entscheidend sind vor allem neue Verfahren zur Herstellung von grünem Zement oder Stahl. Vielfältige Forschungen legen nahe, dass in den nächsten Jahrzehnten eine klimaneutrale Produktion möglich wird. Bei Zement betrifft dies einerseits eine neue chemische Zusammensetzung und andererseits die Verpressung von Kohlendioxid. Beim Stahl erfolgt der Weg über die Nutzung von grünem Wasserstoff als Energieträger, was dem Thema generell zum Durchbruch verhelfen soll. Aber auch das Recycling von Materialien wird eine bedeutende Rolle einnehmen und zirkuläre Prozesse in der Bauwirtschaft stimulieren.
4.5 Zeigen, dass es geht!
Die ökonomischen Chancen, die in der nachhaltigen Transformation vieler Märkte liegen, dürfen aber nicht überlagern, dass es einen starken politischen Impuls geben muss, diesen Umbruch unumkehrbar zu machen. Derzeit gehen die EU und China voran und streben bis 2050 bzw. 2060 die vollständige Klimaneutralität an. In der EU gibt es mit dem Green Deal bereits ein nahezu verbindliches Maßnahmenprogramm, während in China die Absichtserklärung noch mit konkreten Bestandteilen unterlegt werden muss. Man darf gespannt sein, ob die USA sich wieder in das globale Klimaregime eingliedern und entsprechende Zielsetzungen verbindlich formulieren. Aus globaler Sicht ist es wichtig, dass die Sustainable Development Goals der UN als handlungsleitete Prinzipien gelten und das Paris-Abkommen verbindlich umgesetzt wird.
Zeigen wir in Europa, dass es geht und warten nicht wie das Kaninchen vor der Schlange auf China oder die USA. Der Green Deal ist ein mutiger Schritt, der hoffentlich auch zur Umsetzung kommt, insbesondere auch um den langfristigen Wohlstand zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken. Der Fokus auf die genannten Bereiche von Energie bis zum Bauen ist richtig, kann aber durch vielfältige Maßnahmen begleitet werden: z. B. die strikte Ausrichtung des öffentlichen Beschaffungswesens auf Nachhaltigkeit oder die vermehrte Internalisierung externer Umweltkosten, um der Natur den Wert beizumessen, den sie verdient hat. Dabei ist zu beachten, soziale Ausgleichsmaßnahmen in der Gesellschaft für negativ Betroffene zielgerichtet zu adressieren. Sicher wird dies in den kommenden Jahren auch eine Debatte über Universal Basic Services als Instrument der öffentlichen Daseinsfürsorge befeuern. Welche Güter müssen dem Gemeinwesen zur Verfügung gestellt werden?
Ein Primat für den Natur- und Klimaschutz erfordert in der Politik ein stärker ressortübergreifendes Denken und Handeln und wird sicher auch einen kulturellen Wandel einleiten, wie demokratische Gesellschaften gesteuert und geführt werden. Unter den klaren Vorgaben, die notwendig sind, ist weiterhin ein lebendiger Wettbewerb um die besten Ideen als auch der aktive Beitrag von Unternehmen und Bürger wichtig.
4.6 Schlussfolgerung: Vorausschauend denken, urteilen und handeln
Im Englischen spricht man von ›wicked problems‹, wenn Lösungen für Herausforderungen gesucht werden, die eine schier unüberschaubare Komplexität in sich bergen. Verzagen wäre naheliegend, hilft aber nicht. Attraktive und machbare Wege für klimaneutrale und umweltverträgliche Gesellschaften und eine Verlagerung von der wachstumszentrierten zu einer sinnstiftungsorientierten und nachhaltigen Wirtschaftsweise existieren. Die Herausforderungen sind gewaltig, aber durch konzertierte Aktion der handelnden Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch zu bewältigen. Systemische Weiterentwicklung von Institutionen, neue Marktmechanismen, technologische Lösungen, politische Programme und gesellschaftliche Veränderungen müssen Hand in Hand gehen.
Viele ›Change Agents‹ zeigen bereits heute im Alltag, durch soziale Innovationen in der gemeinsamen Nutzung von Produkten und Dienstleistungen, durch kooperatives Verhalten oder Einüben des Unterlassens, wie beispielhaft dazu beigetragen werden kann, auf die notwendige Veränderung hinzuwirken. Man darf jede Einzelne und jeden Einzelnen nicht aus der Verantwortung lassen, sie müssen befähigt werden, ihre Potenziale zu aktivieren, um sich mit der Welt und ihren Ökosystemen in Beziehung zu setzen. Nicht zuletzt ist dies eine Bildungsaufgabe.
Aber die großen Hebel sind durch ein klares politisches Umsteuern realisierbar. Insofern bleiben die Regierungen als Vertreter ihrer Völker im Fokus der Anforderungen, dieses Umsteuern zu organisieren und damit Wissenschaft und Wirtschaft Leitlinien vorzugeben, wohin die Reise gehen muss.
Am Ende ist die vorausschauende Klugheit aller Akteure entscheidend, um eine »Transformation by Disaster«, d. h. den erzwungenen Umstieg durch katastrophale Naturereignisse zu vermeiden und eine »Transformation by Design«, d. h. eine Wende durch gezielte Steuerung und Gestaltung zu erreichen. Eine systemische, ganzheitliche und zukunftsorientierte Perspektive ist gefragt. Die Zeit zum Handeln wird aber enger. Immerhin hat die Welt in der Pandemie gezeigt, dass enorme Kraftanstrengungen möglich sind. Aber auch, welch enorme Kosten entstehen, wenn im Moment der eingetretenen Katastrophe gehandelt werden muss. Insgesamt zeigt sich zunehmend: Nachhaltigkeit ist keine strategische Option unter vielen mehr, sondern ein politisch, wie gesellschaftlich und ökonomisch unumkehrbarer Imperativ. Alles könnte anders sein.
Zum Autor
Holger Glockner ist Managing Partner von Z_punkt The Foresight Company und arbeitet seit knapp zwanzig Jahre im Foresight-Bereich. Er hat zahlreiche Zukunftsprojekte für Organisationen aus dem privaten wie öffentlichen Sektor geleitet. Inhaltlich treibt ihn die Frage nach einer gelingenden Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft um.
Literatur
Ekins, Paul; Simon, Sandrine; Deutsch, Lisa; Folke, Carl and De Groot, Rudolf: A Framework for the practical application of the concepts of critical natural capital and strong sustainability. Ecological Economics, 44(2-3) pp. 165-185, (2003)
Lade, S.J., Steffen, W., de Vries, W. et al.: Human impacts on planetary boundaries amplified by Earth system interactions. Nat Sustain 3, 119–128, (2020). https://doi.org/10.1038/s41893-019-0454-4
Secretariat of the Convention on Biological Diversity: Global Biodiversity Outlook 5, (2020).
United Nations Global Compact and Accenture Strategy: The decade to deliver. A call for business actions. CEO Study on Sustainability, (2019).