Volker Meyer-Guckel

Standort Deutschland


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und weniger berufsbezogenes Reisen und Pendeln den CO2-Abdruck ihrer Firma senken zu können. Der Einsatz wird sich lohnen. Unternehmen können ihre gut geplante Rückkehr in die Büros nutzen, um sich neu zu erfinden. Veränderte Prozesse, neue Strukturen und effizientere Personalplanung können zu Einsparungen bis zu 30 Prozent führen.

      Die Zufriedenheit der Mitarbeiter dürfte steigen, weil ihnen mehr Eigenverantwortung übertragen wird und sie weniger Zeit auf dem Arbeitsweg oder auf Dienstreisen verlieren. Studien zeigen: Zufriedene und motivierte Mitarbeiter erhöhen ihre Arbeitsleistung um bis zu 23 Prozent bzw. das Umsatzwachstum um das 2,9-fache. Dagegen führt eine von ihren Fähigkeiten her nicht zukunftsfähige oder vom dauerhaften Arbeiten im Homeoffice psychisch überforderte Belegschaft zu mangelnder Effizienz und unzufriedenen Kunden. Was in sinkender Nachfrage mündet.

      Deshalb ist es so einleuchtend wie verführerisch, wenn sich Unternehmen unter dem Druck von Umsatzeinbrüchen nun auf ihre dringendsten Bedürfnisse wie neue Prozesse und Arbeitsweisen konzentrieren. Doch es befreit sie nicht davon, weiterhin das ganze Bild betrachten zu müssen. Denn es besteht die Gefahr, dass Inklusion und Diversität nun zu Unrecht als weitere strategische Prioritäten für Organisationen zurücktreten.

      2.4 Checkliste

      Covid-19 wird weder die letzte Pandemie sein noch die letzte Wirtschaftskrise bewirken. Und bisher sehen wir noch nicht einmal die vollen Auswirkungen der aktuellen Pandemie, die sich weiter in Etappen entwickeln dürfte. Schnelle Reaktion auf veränderte Märkte, Menschen und Lieferketten sind wichtig. Proaktive Resilienz-Interventionen führen wie oben gezeigt nachweislich zu einer über lange Zeit anhaltenden Outperformance. So lässt sie sich erreichen:

      Ressourcen flexibel einsetzen

      Widerstandsfähige Unternehmen zeichnen sich durch eine dynamische Kapitalumverteilung aus. In Abschwungphasen können sie sich schnell von Bereichen trennen; in Erholungsphasen erhöhen sie Investitionen und Übernahmen, mit dem Fokus auf kleinere, aber häufigere Transaktionen.

      Führungspersönlichkeiten sollten im Sinne des Unternehmens bereit sein, Probleme früher und entschiedener anzugehen. Die Bereitschaft, Kosten zu reduzieren in echter Not, muss vorhanden sein – auch bei F&E-Ausgaben und Investitionskosten. Die Maßgabe sollte aber sein, diese Investitionen in die Zukunft bei einer Erholung schnell wieder hochfahren zu können.

      Organisationen schnell bewegen

      Resiliente Unternehmen bewegen sich im Abschwung schneller. Ihre gelebte Führungskultur ist auf schnelle Entscheidungsfindung auch unter Unsicherheit ausgerichtet. Niedrige Hierarchien, ein hohes Maß an Eigenverantwortung und die Platzierung der besten Talente an den kritischsten Stellen des Unternehmens fördern ein starkes organisatorisches Rückgrat, um das Unternehmen in Zeiten der Krise zu schützen.

      Finanzen stabilisieren

      Belastbare Unternehmen verschaffen sich zu Beginn des Abschwungs Spielräume, sowohl im operativen als auch im finanziellen Bereich. Mit einer detaillierten Bereinigung der Bilanz z. B. mit strafferem Forderungsmanagement sichern sie ihre Liquidität und ermöglichen entscheidende Portfolioveränderungen – zwei wesentliche Hebel in Zeiten der Erholung.

      Systeme zur Früherkennung aufbauen

      Um in einer Krise so schnell und flexibel wie beschrieben reagieren zu können, sind Früherkennungssysteme unabdingbar. Zum Beispiel ein »Resilience Nerve Center«: Dort erstellt ein Team engagierter Spezialisten Bedrohungskarten, entwickelt Belastungstests und stellt sie den betroffenen Unternehmenseinheiten zum kontinuierlichen Ist-Soll-Vergleich zur Verfügung. Eine mehr als lohnendes Investment.

      Testen Sie doch mal, wie ganzheitlich Ihr Unternehmen vorbereitet ist (image Abb. 6)

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      Abb. 6: Checkliste für die Phasen eines Transformatinsprozesses

      2.5 Und wie wird die Welt für Unternehmen in den kommenden Jahren aussehen?

      Die Antwort lautet schlicht: unumkehrbar anders. Und das gilt nicht nur für Geschäftsmodelle, Lieferketten und Arbeitsbedingungen, sondern auch rund um Stakeholder wie Mitarbeiter, der Kundenwunsch nach Nachhaltigkeit, Finanzierungsfragen und politische Einflussnahme.

      • Selbstbewusste Mitarbeiter, die sich an mehr Entscheidungsfreiheit und Verantwortung gewöhnt haben, sind nicht mehr zur Rückkehr in hierarchischere Strukturen bereit. Unternehmen bleiben dauerhaft digitaler und agiler.

      • Nachhaltiges Wirtschaften wird noch wichtiger. Künftige Arbeits- und Geschäftsführerverträge werden um sozial-ökologische Erfolgskriterien ergänzt. Unternehmensziele werden erweitert. Kunden (und Mitarbeiter) fordern Nachhaltigkeit und Orientierung am Gemeinwohl ein – Purpose wird zu einem Erfolgsfaktor. Mehr als 2.000 akademische Studien haben die Auswirkungen von ökologischen, sozialen und Governance-Faktoren auf die Eigenkapitalrendite untersucht. 63 Prozent fanden positive Ergebnisse, nur acht Prozent urteilten negativ. Unsere eigenen Studien zeigen, dass mehr als 70 Prozent der befragten Verbraucher, die in verschiedenen Branchen, einschließlich der Automobil-, Bau-, Elektronik- und Verpackungsbranche, einkaufen, bereit sind, für ein umweltfreundliches Produkt fünf Prozent mehr zu zahlen. Vorausgesetzt, es erfüllt die gleichen Leistungsstandards wie eine nicht umweltfreundliche Alternative.

      • Darüber hinaus ist jetzt Liquidität ein größeres Thema. Unternehmen, die noch über Reserven verfügen, werden nach interessanten Zukäufen Ausschau halten, zumal ihnen die Krise Schnäppchen beschert. Für finanziell angeschlagene Unternehmen wird die Lage noch schwieriger. Finanzierungsrunden mit Banken und Investoren dürften wegen drohender Zahlungsausfälle und Insolvenzen anspruchsvoller werden.

      • Die deutsche Politik wird den aus ihrer Sicht für die Sicherheit oder Gesundheit der Bevölkerung relevanten Unternehmen womöglich mehr Vorgaben machen. Zudem steigt der staatliche Einfluss auf in der Krise gerettete Unternehmen etwa in der Luftfahrt und Tourismusindustrie. Trotz ihres eigentlich temporären Charakters könnten die Eingriffe länger erhalten bleiben und zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

      In der nächsten Krise werden Unternehmen widerstandsfähig sein, die das Wachstum der Wertschöpfung vorantreiben und gleichzeitig neue Chancen ausbalancieren. Die Unternehmen, die ihr Augenmerk auf die Aufrechterhaltung der operativen Margen auf Kosten anderer verhältnismäßiger Maßnahmen richten, werden erneut Lehrgeld bezahlen – vielleicht in existenzbedrohender Weise.

      Die Verantwortlichen in den Unternehmen stehen vor Herausforderungen, wie sie seit dem Wirtschaftswunder keiner ihrer Vorgänger bewältigen musste. Doch sie können auch ähnlich große Chancen ergreifen: Die Pandemie hat viele Trends nur beschleunigt. Über den künftigen Erfolg ihrer Unternehmen entscheiden jetzt Resilienz und Agilität. Oder wie es Konrad Adenauer einst ausdrückte: »Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, dann muss man erst richtig anfangen«.

      Die deutsche Wirtschaft ist gut positioniert, aus dieser Krise gestärkt hervorzugehen. Es ist Zeit die Weichen zu stellen: Die Stimmung in vielen Unternehmen hellt sich bereits auf, aber 2021 wird lediglich ein Jahr des Übergangs sein, dass die tiefen Einschnitte von 2020 nicht wird aufwiegen können. Und sind wir gewappnet für die Post-CovidD-Ära, bereit, wenn sich der Wind nochmal dreht? Sicherlich hat jeder eine andere Vorstellung, wie sich das anfühlen mag. Wir werden die Wunden und Verluste nicht vergessen, aber der nächsten Krise hoffentlich gelassener ins Auge blicken.

      Zum Autor

      Dago Diedrich ist Senior Partner in McKinseys Büro in Düsseldorf und Leiter der Strategy