Reiner Möckelmann

Hannah von Bredow


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Leonie, der Frau des jüdischen Bankiers Paul von Schwabach, an Auswanderung zu denken. Mit der Begründung, „dass Hitler sich bald totläuft“, antwortete Leonie ihr: „Das tut mein Mann nie, er ist ein deutscher Patriot.“ Schwabach musste die schlimmsten Auswüchse des nationalsozialistischen Rassenwahns, den Holocaust, nicht mehr erleben. Nachdem er sich im Jahre 1937 aufs Land zurückgezogen hatte, starb er Ende des Jahres 1938 im Alter von 71 Jahren eines natürlichen Todes. Vier Jahre später verstarb seine Frau Leonie mit 73 Jahren in Berlin.

      Am 27. Februar 1933, dem Tag des Reichstagsbrands, hörte Hannah von Bredow in der Berliner Philharmonie ein Furtwänglerkonzert. Gleichzeitig mit der Nachricht vom Brand erfuhr sie am selben Tage, dass Kommunisten ihn vorgenommen haben sollten. Mit Blick auf den einsetzenden Terror stellt sie im Tagebuch drastisch fest: „Es soll um den Kopf gehen, wenn man behauptet, das Schwein Göring hätte die Fackel geschwungen. Sei’s drum. Wer mag so leben?“

      Nur einen Tag später vermerkt Hannah von Bredow: „Nun haben die Nazis die Handhabe gegen den Kommunismus; dieser Brand war wirklich ein unerhörter Glücksfall. Göring ganz in seinem Element.“ An diesem Tag waren Georg und Lily von Schnitzler bei ihr zu Gast. Als sie den beiden NS-Sympathisanten mitteilte, „Göring hätte gekokelt, wurden sie scharf.“ Kurz darauf wurde Hannah dann von einem Freund gewarnt, dass ihre Äußerungen kolportiert würden. Sie zeigt sich aber unbeeindruckt: „Wenn schon. Mir ist es ja so einerlei, denn das Leben ist ohne Bedeutung, wenn man nicht kämpfen kann gegen das Böse, das Verruchte.“

      Schmerzvoll war für die begeisterte Musikliebhaberin Hannah von Bredow, wie brutal und schnell sich „das Böse, das Verruchte“ bei den Berliner Philharmonikern zeigte. Am 4. März 1933 erlebt Hannah ein Konzert des deutsch-jüdischen Dirigenten Otto Klemperer und fürchtet: „Klemperer dirigierte wunderbar die ‚Missa Solemnis‘. Von morgen ab wird eine wildere Luft wehen, und Klemperer wird hoffentlich nicht ihr Opfer sein. Aber da sie seit Jahren Pogrom predigen, werden sie sich wohl irgendwie Luft machen.“

      Am Folgetag erbrachten die letzten noch mit mehreren Parteien durchgeführten Reichstagswahlen einen überwältigenden Erfolg der NSDAP: „340 Mandate für rechts, davon 288 Nazis“ stellt Hannah von Bredow fest. SA-Schlägertrupps hatten den Wahlkampf geprägt und Hannah erklärt zum 5. März 1933: „This is the last day – from now on hell, hell, and I have seen so many March hares that I am sick.“ Die paranoiden Märzhasen, auf die Hannah anspielt, veranlassten Otto Klemperer wenig später, in die USA zu emigrieren. Seinem Kollegen und Freund Bruno Walter untersagten die Nazis am 20. März, die Berliner Philharmoniker zu dirigieren, und erzwangen seine Emigration nach Wien. Dort setzte die Judenverfolgung dann fünf Jahre später ein, und er musste über die Schweiz in die USA emigrieren.

      Die sich überstürzenden Ereignisse nach den Märzwahlen beunruhigten Hannah von Bredow in mehrfacher Hinsicht. Am 10. März vermerkt sie im Tagebuch, dass die „Judenhetze und die Verhaftungen begonnen“ haben. Besorgt ist sie aber auch über die Einstellung ihres Bruders Gottfried von Bismarck: Er „strahlt vor Nazibegeisterung und er tut mir so leid, denn er wird viel mehr zahlen als z.B. Otto, der seinen Kopf nie verlieren wird. Ich habe Gottfried angefleht, auf mich zu hören, aber es hat keinen Sinn. Blind. Blind.“

      Am folgenden Tag erklärt Hannah von Bredow ihrem Bruder Gottfried, „dass in 10 Jahren alles vorbeisein und es kein Deutschland mehr geben wird, es sei denn, Hitler wurde vorher umgebracht. Ich habe ihm vorgehalten, dass es nur eines gibt, um das arme Land zu retten: Kampf mit allen Mitteln des Verstandes und mit eiskalter Berechnung, denn die Irren kann man nie überzeugen.“ Ihre Prognose verfehlte Hannah zeitlich um zwei Jahre, lag mit dem Ergebnis der Hitlerherrschaft dagegen richtig. Gottfried von Bismarck benötigte aber zehn Jahre, um seine Blindheit abzulegen und der Aufforderung seiner Schwester zu folgen, zumindest ansatzweise kämpferisch gegen das Regime vorzugehen.

      Den „Tag von Potsdam“ am 23. März 1933, die feierliche Konstituierung des Reichstags am Traditionsort preußischer Geschichte, erlebt Hannah in der Garnisonskirche: „Unter den hereinmarschierenden Abgeordneten war Gottfried im braunen Hemde leicht zu erkennen, weil er als einziger keine Mütze in der Hand trug. Hindenburg sah im großen Band des Schwarzen Adlers mit dem Feldmarschallstab monumental aus, und es war ein ergreifender Anblick als er, bevor er sich auf seinen Stuhl setzte, langsam und feierlich mit dem Feldmarschallstabe die vollbesetzte Kaiserloge grüßte und einen Augenblick nach dem Gruß reglos verharrte, um dann mit erstaunlicher Leichtigkeit zwischen Göring und Hitler Platz zu nehmen. Mir kam es wie ein letzter Abschied vor, man sieht die Dinge in solchen Momenten symbolisch, man denkt nicht an das, was die Loge im Augenblick fühlt, man denkt an das, was sie einst verkörperte.“

      Bevor sich Hannah von Bredow während der anschließenden Parade ganz der Erinnerung an die besseren Tage in der Monarchie hingeben konnte, ernüchterte sie ein neben ihr stehender „baumlanger S.A. Mann“, der bemerkte: „Da steht nun der olle Greis mit dem janzen Klempnerladen auf der Brust und mit dem janzen Firlefanz von früher. Wie det alles in der Sonne blitzt!“ Mit ihrer propagandistischen Inszenierung vermittelte die NS-Führung dem In- und Ausland durchaus erfolgreich die symbolische Verbindung vom alten und neuen Deutschland.

      Die Illusion einer harmonischen Koexistenz des alten mit dem neuen Reich verflog auch zwei Tage später, am 23. März, kaum, als die NSDAP mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag sich auch ihrer rechtlichen Bindungen an die Konservativen für die Verabschiedung von Gesetzen entledigte und den Parlamentarismus im Reich beendete.

      Knapp eine Woche später, am 30. März, war Hannah von Bredow dann „mit all den neuen Männern“ zu einem Empfang im Hause von Papen geladen: „Der Hausherr charmant, aber nervös und elend und völlig hinter seinem Chef verschwindend“, bemerkt Hannah, und weiter: „Es war ein unheimliches Fest, jeder betrachtete misstrauisch den Nächsten, und die Anhänger Marii [Hitlers] musterten einen, als gehöre ihnen die Welt.“ Auch erlebte Hannah einen Wutanfall Hitlers, als der Markgraf von Baden ihn bat, den Leiter des Internats Salem, Kurt Hahn, aus der „Schutzhaft“ zu entlassen: „Nein, auf keinen Fall, Ausnahmen mache ich nicht“, schrie er. Hahn hatte zuvor schriftlich gegen die Ermordung eines jungen Kommunisten durch fünf SA-Männer protestiert. Unmittelbar nach seiner späteren Freilassung emigrierte Hahn in die Schweiz.

      Hannah von Bredow ihrerseits spürte den wachsenden Druck auf Andersdenkende, als Hitler sie im Hause Papen mit einer Frage konfrontierte, welche sie mit kurzer Einleitung kommentarlos im Tagebuch wiedergibt: „Gestern sagte mir das Ekel Hitler: ‚Wollen Sie, dass Ihre Kinder in der Gosse aufwachsen?‘“ Bruder Otto von Bismarck hatte Hannah mit Hitler bekannt gemacht, und sie bemerkt gegenüber ihrem Briefpartner Jessen: „Er verneigte sich tief und küsste mir die Hand. Er ist sehr viel kleiner als ich, ich musste an die Hofbälle denken, wenn ich zum ‚Allerhöchsten‘ befohlen war.“

      Mit seiner Frage an Hannah von Bredow deutete Hitler an, welche Folgen es für sie haben könnte, wenn sie sich Aktivitäten in der NSDAP verweigern würde. Späteren Hinweisen von NS-Chargen, dass sie mit ihrer großen Kinderzahl ganz der Rolle der „arischen“ Mutter entspreche und ihre positive Gesinnung in einer NS-Mitgliedschaft zum Ausdruck bringen solle, begegnete Hannah regelmäßig mit der Antwort, sie habe das Ihrige fürs Vaterland bereits vor Antritt der Nazis geleistet und benötige jetzt ihre Zeit, um sich ganz im Interesse des Volkes der Kindererziehung widmen zu können.

      Für alle Deutschen sichtbar zeigte sich Hitlers Rassenwahn erstmals am 1. April 1933, als im ganzen Reich jüdische Geschäfte, Kanzleien und Ärztepraxen boykottiert wurden. Das bevorstehende Ereignis beschäftigte am 30. März Hannah und ihre Brüder, als sie zusammen mit Freunden vor dem Empfang bei Papen im Hotel Adlon Gottfrieds 32. Geburtstag feierten: „Alle sprachen ausschließlich über das am Sonnabend beginnende Judenpogrom“, berichtet Hannah und fährt fort, dass Gottfried es „als eine primitive, aber gesunde Reaktion“ bezeichnete, „die man den Leuten nur gönnen kann“.

      Wahrscheinlich teilte Otto von Bismarck nicht die Ansicht seines Bruders, als er mit Hitler beim anschließenden Empfang über das bevorstehende Pogrom sprach und von diesem „mit wild fuchtelnden Armen“ unterbrochen wurde: „Da lass’ ich mir nichts dreinreden! Es wird mit äußerster Schärfe vorgegangen, und der Einwand, dass es uns Geld kosten könne, zählt bei mir nicht.