das Weib ist für den Mann gefährlich, sondern der Archetyp der inneren Sehnsucht, der da ins Licht des Bewußtseins dringt und ihn mit seinem inneren Bild der Weiblichkeit verbindet, das mit der Mutter und dem Bild des Ewigweiblichen beginnt.»
«Und wie unterscheidet sich das archetypische Weib von der gewöhnlichen Frau?»
«Die archetypische Gestalt erscheint immer in einem seltsam irisierenden und opalisierenden Licht», antwortete er, «denn sie taucht aus den Tiefen der Fluten auf, um die Erinnerungen einer Sehnsucht in die Welt zu tragen, in denen wir unser Heimweh nach den Urmüttern erfahren. Deshalb ist es sehr gefährlich, diesen Wassergeistern zu begegnen, doch wenn wir in den inneren Kreis der Hölle gelangen wollen, müssen wir durch den Seelenschlamm hindurch.»
«Und wie gelangen wir durch diesen Höllensumpf, mein Führer?» Ich schaute ihn respektvoll an.
«Dazu brauchen wir ein Boot», entgegnete mein Begleiter und schnippte mit den Fingern in die Luft. Wie von unsichtbarer Hand getragen sah ich aus der Ferne eine kleine Barke auf uns zuschweben. Wie eine Nußschale schien sie im Wind zu liegen, denn ich spürte die Wellen in einer tänzerischen Bewegung buchstäblich unter ihr wegschlüpfen. Doch damit war es vorbei, als das Boot wie an unsichtbaren Fäden gezogen vor uns stehenblieb. Tief sank der Bug in die schwarzen Fluten, als wir einstiegen, und kaum hatten wir im Inneren Platz genommen, schien eine unsichtbare Geisterfaust das Schiff an der Reling zu packen und es zuerst in einer scharfen Drehung nach Backbord auf einen Wellenkamm zu heben, um es nachher um so niederträchtiger in einer gleitenden Abwärtsbewegung in die Tiefe zu schmettern, daß ich für einen Augenblick glaubte, aus Himmelshöhen direkt in das finsterste Höllenmaul zu stürzen. So schloß ich unwillkürlich meine Augen und fiel in einen tiefen Traum. Kaum aber befand ich mich im Zustand kontemplativer Versenkung, sah ich eine wunderschöne Wassernymphe wie eine feine Nebelsäule aus dem tosenden Abgrund steigen. Sie schien das Wasser nicht zu berühren, sondern wie eine Luftblase darüberzuschweben. Ein weißer Nebelschleier schien ihren zarten Leib als einzige Hülle zu bedecken, und keine Bewegung verschob die Falten ihres Totenhemds. Nur ihre großen, lichtstrahlenden Augen waren nicht verschleiert, sie starrten mir sehnsüchtig ins Auge, bis mir die Tränen kamen. «Ich bin gekommen, um dich zu lieben, denn meine Liebe ist dein Tod», flüsterte sie mir ihre Liebesworte ins Ohr.
Erschrocken sprang ich auf. Das also war sie, die liebliche Verführerin, vor der mich Akron gewarnt hatte, aus den Höllentiefen hochgestiegen, um meine Sehnsucht einzufangen und sie in wehmütigem Entzücken an die Schönheit ihrer Unerreichbarkeit zu knüpfen. Alles dehnte und weitete sich vor mir aus, und ich spürte in mir jene göttliche Liebe aufsteigen, die nicht mehr nur vom triebgesteuerten Menschen herrührte, sondern die aus den Strahlenquellen jenes göttlichen Lichtes strömte, dessen innerste Erfahrung schon tief mit dem Ewigen verbunden war. Es war, als ob ich selbst der Rückbindung an das ungeformte Ur-Anfängliche in den Tiefenschichten der Seele verfiel, wo die Erinnerung an das kindliche Eins-Sein mit den noch ungerichteten und deshalb unschuldigen Triebkräften aufbewahrt war. Dabei stieß ich Akron, meinen Seelenführer, unbeabsichtigt um, der sich im Sturmwind über den Rand der Barke beugte, um eine Leiche ins Boot zu ziehen, die auf eine merkwürdige Weise eine entfernte Ähnlichkeit mit mir aufwies. Durch den Stoß ließ er sie los.
Hast du sie gesehen?» rief ich ihm zu. Ich sah in seinem Gesicht die gleiche Verzückung wie bei mir, wenn auch Hand und Auge in eine andere Richtung zeigten als dorthin, wo die bezaubernde Erscheinung wieder in den Wellen verschwunden war. Ich schrie: «Schau dort, nein da … sieh hier!» Und in jeder Blickrichtung tauchten neue Bilder auf, und mein ganzes Sichtfeld wimmelte von prächtigen Wassernixen, die da glaubten, sich ungelebt in meinen inneren Sehnsüchten verwirklichen zu können. Sie stellten das Versinken im Schlamm trügerischer Hoffnung dar, was sich in irreführenden Wunschbildern und Liebesräuschen ausdrückte. Einen Sekundenbruchteil überlegte ich mir, ob es das Unvermögen war, mich selbst zu empfinden, oder ob es mein eigener Venusdämon war, diese abgründige Schlange, die mich in die Tiefe lockte, nur um mich dort unten allein zu lassen. Ich fühlte, daß dieser Ort den vergifteten Träumen der Seele entsprach, die alles verschlingen, was nicht wirklich geerdet war.
«Beruhige dich», sagte Akron, «es ist Undine, die ungreifbare Wassernixe, die jedesmal ein Stück ihrer unsterblichen Seele erhält, wenn sie unter den Menschen ein neues Opfer gefunden hat. Durch die menschliche Brille betrachtet, verkörpert sie das unberührbare Kind, das Männer verführt. Sie verkörpert das aus den Tiefen der Mütter geborene und mit den Zielen der Väter verknüpfte Gottesbild, das nicht die Antworten auf die Rätsel des Lebens, sondern ein noch nicht gereiftes, an regressiven Mustern orientiertes, sehnsuchtsvoll-romantisches Streben nach dem Göttlichen darstellt. Deshalb solltest du nicht ihren Reizen erliegen, sondern die Projektion zurücknehmen und in ihr jene numinose Liebessehnsucht erkennen, die dein Herz mit plötzlicher Wehmut durchglüht, ohne jemals Realität werden zu können, weil dieser Ort weniger zur sexuellen Erlösung als zum Gefühl emotionaler Auflösung einlädt.»
Mitten in der Rede tauchte Poseidons betörende Tochter aus den kristallenen Unterwasserpalästen wieder vor mir auf. Wie eine smaragdäugige und algenperückte Sirene tauchte sie verführerisch aus den Fluten und umschwebte mich mit ihren regenbogenfarbenen Gluten, bis ich spürte, wie sie in mein Innerstes blickte und meine Seele vollständig umfing. In dem Moment jedoch, als ich mich ihr schon hingeben wollte, bekam ich einen heftigen Schlag auf den Kopf. Todesangst packte mich plötzlich, als ich entdeckte, wie tief sie in meiner Libido wühlte und meine Männlichkeit durchdrang, und dann wußte ich, daß ein Liebeskampf auf Leben und Tod begann.
«Hast du Angst?» hauchte sie mich an: «Wisse, ich bin die Urgestalt deiner inneren Verführerin, die gekommen ist, um dich zu holen. Wer mich sieht, muß sterben, denn ich stehe für das infantile Ringen mit kollektiven Erinnerungen, die die Seele in die Tiefe unbewußter Sehnsüchte hinunterlocken. Im Moment des Versinkens stehst du auf der Schwelle zwischen Leben und Tod, am Ziel deiner Wünsche, wo der Abgrund aufbricht und dich einen Schimmer des schwindelnden Nichts erahnen läßt, denn dein spirituelles Engagement ist eine Sublimierung des Liebeseros, der wiederum mit einer unbewußten Todessehnsucht verbunden ist. Komm, laß dich fallen – gib dich mir hin!»
Ihre Zähne gruben sich tief in meine Haut und schenkten mir zum ersten Mal die Qual der hohen Lust. «Man muß sein Opfer langsam in die elysischen Wonnen hinüberziehen, damit die Lust alchemistischer Umwandlung die Seele trägt und die aufstrebende Kurve der Libido nicht plötzlich sinkt», raunte sie mir verschwörerisch zu, während ihre Fingerkuppen sanft über meine Brust glitten. «Es liegt an jedem selbst, ob er es sich sanft oder hart erwünscht …»
Sie atmete schwer, als sich ihre sexuellen Flammen glühend unter meinen Küssen vermehrten. «Ich opfere mich gern», keuchte ich ekstatisch und spürte das wilde und hungrige Tier in ihr, das seine willenlose Beute schlägt, nachdem es die Spur des opferbereiten Fleisches gewittert hatte. Eine Sturmwelle unermeßlicher Anziehung durchströmte mich: «Wie muß ich mich verhalten, daß es hart ausfällt?»
«Der Schmerz wird es dir zeigen», flüsterte sie erregt und zog meinen stöhnenden Leib ins Wasser. «Bist du bereit?»
Ich spürte ihre süße Nähe, und meine Sehnsucht wuchs ins Ungeheure. Eine unerträgliche Erregung überflutete mich. Meine Seele sträubte sich gegen die Offenbarung der Wahrheit, aber mein Körper begriff die devote Hingabe an das strenge Ritual meiner inneren Auflösung, und ich verstand zum ersten Mal in meinem Leben, wie wunderschön es sein mußte, Auge in Auge, Körper an Körper mit dem Tod alle Gefühle und Sehnsüchte zu genießen und in bodenloser Seligkeit zu vergehen. In mir wuchs das unersättliche Verlangen, ihr nahe zu sein und mich ihr ganz zu überlassen, so sehr ich mich auch dagegen sträubte, ihr mein Leben zu opfern und mich restlos den Wonnen der strömenden Wollust zu überlassen, die sie in mir entfachte …
«Empfange jetzt den Todeskuß!» Bebend vor Liebe und Todesnähe streckte ich mich ihr entgegen, und sie küßte mich mit einem himmlischen Kuß, der meine Brunstschreie erstickte und mich von den letzten Zweifeln meiner Bestimmung befreite, denn jetzt war mir klar, ich gehörte dieser Frau auf ewig … Sie drückte mich inniger an sich, und mit ihren ekstatischen Lippen erfaßte mich der Tod und entriß mir den Lebensodem. Ihre Tränen drangen in meine Augen, und mit einem Stöhnen