Liselotte Welskopf-Henrich

Stein mit Hörnern


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in guter Hut blieb, und sie hatte, ehe sie sich aufs Pferd schwang, ins Tal ringsum geschaut, hinüber zu der King-Ranch, wo Queenie in uneingestandenen Ängsten lebte, hinüber zu der Schulranch, wo die Lehrlinge auf Mary Booth warteten und ohne sie nicht genug taten, auch hinauf zu den weißen Felsen, dem Grabmal eines großen Häuptlings, dessen Grab die weißen Männer nicht kannten. Sie hatte den Friedhof nicht vergessen, den Friedhof nahe der King-Ranch, wo Marys schlechter und lügenhafter Bruder Harold seine letzte Ruhestatt gefunden hatte, nachdem er von Queenie erschossen worden war.

      Mit Erinnerungen und schweren Gedanken machte sich Mary auf den Weg.

      Sie hatte ein junges, schnelles Pferd gewählt.

      Das Bild des Tages, an dem Joe die Büffel ins Tal gebracht hatte, schwebte ihr vor Augen. Es war ein Fest der Reservationsbewohner gewesen. Neu erstand das Leben des Indianers. Die Büffel waren wiedergekommen! Der ungeheure Stier hatte sich auch damals den Männern zum Kampf gestellt. Mit Mühe hatten ihn Joe Inya-he-yukan King und sein Wahlvater Harry Inya-he-yukan Okute gebändigt und zur Weide, zur Herde gebracht. Es war eine Stierjagd gewesen, machtvoller und gefährlicher als ein Rodeo, mit allen Künsten des Cowboys und des Indianers.

      Während Mary ihr junges Tier zum Galopp trieb, dachte sie an jenen Kampf- und Festtag, und sie kam von diesen Gedanken nicht los. Sie konnte den Tag nicht vergessen, und sie konnte Joe nicht vergessen, den Nachbarssohn, den Vater ihres Kindes, den sie schon geliebt hatte, ehe sie wusste, dass sie ein Weib wurde. Eine einzige Nacht hatte sie ihn besessen, und er würde nie mehr zu ihr kommen. Aber noch immer war er der Nachbar, und an Mary kettete ihn die Arbeit. In ihrem Kind schaute er sie an. Es war Joes Kind.

      Mary stieß einen schrillen Ruf aus, um ihr Pferd, das in Schritt gefallen war, wieder anzutreiben.

      Es trabte leicht und heiter über die kurzgrasigen Wiesen, die das Element des Pferdes waren. Mary ritt über die Prärie, die ihre Augen kannten, seit sie sich zum Leben geöffnet hatten. Anderes kannte sie nicht.

      Joe aber würde nie mehr zu ihr kommen. Er hatte sie nicht geliebt. Er hatte mit ihr ein Kind gezeugt, weil sie zu einsam war. Joe liebte Queenie.

      Mary liebte das Kind, das Joes Kind war.

      Es war ihr schwer ums Herz, weil der Büffelstier abgeschossen werden musste, Joes Büffel. Sie machte darüber zu niemandem Worte, auch nicht zu Queenie. Aber es lag ihr ein würgender Reif um die Brust.

      Ehe sie diesen Ritt antrat, der sie jetzt zu dem elektrisch geladenen Zaun und an der geeigneten Stelle durch den Zaun hindurch auf die Büffelweide führte, hatte sie Queenie stillschweigend die Hälfte ihrer Ersparnisse gegeben, damit Queenie einen Monat hindurch keine Sorgen mehr hatte und für Joe bezahlen konnte.

      In der Ferne graste die Büffelherde. Mary spähte. Sie zählte die Tiere. Eines fehlte. Sie konnte noch nicht genau sagen, welches. Sie ritt in dem welligen Gelände auf eine Anhöhe und hielt von dort weiter Ausschau. Ein Tier fehlte. Es konnte sein, dass es in der Nähe der Herde, aber noch verdeckt für Mary, sein Gras suchte.

      Es war der Stier, der fehlte.

      Mary ritt umher, vorsichtig lugend. Sie wollte dem Stier nicht unversehens begegnen. Sie wollte ihren eigenen Weg danach richten, wo sich der gehörnte König dieser Weiden aufhielt. Sie hätte auch einen Umweg um die Weiden machen können. Aber nun war sie hier, und nun musste sie feststellen, wo der Stier sich herumtrieb.

      Es war nicht wahrscheinlich, dass ihn jemand abgeschossen und gestohlen hatte. Auf der Reservation wurde nur selten gestohlen; es waren dort keine Reichtümer zu finden, um die sich Mühe und Gefahr lohnten, und die Indianer untereinander stahlen nicht. Sie schlugen sich, manchmal schlugen sie sich tot, aber sie bestahlen einander nicht.

      Der Stier pflegte sonst immer bei der Herde zu sein.

      Mary ritt im Trab weiter, immer in Sichtweite der Herde. Sie lud ihr Gewehr durch. Sie lächelte dabei über sich selbst. Mary Booth wollte wohl gar einen Büffelstier erlegen. Sie tat alle Männerarbeit, aber diese wäre ihr doch ungewohnt gewesen. Sie hatte seit Jahren keinen Gewehrschuss mehr abgegeben. Und sie hatte nie zielen können wie Joe, der einen Büffel mit einem einzigen Blattschuss erlegen würde.

      Die Herde wurde auf irgendetwas aufmerksam. Mary konnte es kaum sein, die die Tiere störte, denn die Büffelkühe kannten dieses Cowgirl. Die Kühe hörten aber auf zu grasen und hoben den Kopf. Zwei Kälber spielten. Sie spreizten die Stelzbeine, senkten den Kopf und drückten die breite, gewölbte, noch hornlose Stirn gegeneinander, sich nach dem Maß ihrer Kraft vor- und rückwärts schiebend. Mary freute sich. Aus diesen Kälbern konnten kräftige Kühe werden. Ein Stierkalb stand daneben und schaute zu. Es war das jüngste, vor wenigen Tagen geboren. Mary wollte vorschlagen, es bald zu schlachten oder lebend zu verkaufen und den jungen herangewachsenen Stier von der Büffelranch außerhalb der Reservation anzukaufen. Im Herbst mussten die Kühe wieder gedeckt werden.

      Es schien auch für die Rentabilität der Ranch bedauerlich, dass der alte Stier schon weggebracht werden musste und nicht wenigstens bis zum Herbst gehalten werden konnte.

      Aber er hatte zweimal angegriffen. Er konnte nicht mehr auf der Weide bleiben. Stallvieh gab es auf der Ranch nicht.

      Mary horchte auf.

      Hinter sich oder von der Seite her – sie vermochte es noch nicht genau zu unterscheiden – hörte sie ein Geräusch, das sie seiner Natur nach von Kind auf kannte. Ein schweres Stück Vieh galoppierte über den Wiesenboden. Dumpf klang der Schlag der Hornhufe.

      Mary trieb ihr Pferd mit einem Ruck an und zwang es, den Hang der nächsten Anhöhe hinaufzugaloppieren. Sie wollte die Übersicht zurückgewinnen. In ihrem Innern grollte die Furcht auf wie das erste Grollen vor einem Gewitter.

      Sie ließ die Zügel fahren und nahm das Gewehr so zur Hand, dass sie sofort anlegen konnte.

      Der dunkelmähnige Feind war schon da.

      Das Pferd, von keinem Zügel mehr gelenkt, brach zur Seite aus und flüchtete samt seiner Reiterin.

      Mary gab einen ersten Schuss ab.

      Sie wusste nicht, was oder wie sie getroffen hatte, aber sie wusste, dass der Bison mit Wut zum Angriff ansetzte.

      Der Bison war schneller als Marys schnelles Pferd.

      Er war ein schlauer, zäher Bursche, auf alle Finten gefasst, mager und sehnig, und von sinnloser Wut besessen.

      Marys Pferd stürzte.

      Sie schoss noch einmal, aber sie hatte dabei schon kein Ziel mehr. Das Gewehr entfiel ihren Händen.

      Sie lag auf dem gestürzten Pferd, das sich wand und nicht mehr aufkam, denn der Bison schlitzte es mit den Hörnern auf. Mary lag im Blut des Pferdes, sie hatte die Waffe verloren, ihre Hand konnte den Treibstock nicht fassen.

      Über ihr war das Haupt des Stiers, schwarzmähnig, ungeheuer, die Augen fast verschwindend, die Hörner krumm und spitz, und dahinter der Nacken mit seiner übermenschlichen Kraft.

      In Mary war nur noch Furcht vor dem Tierischen und dem Tode. Sie dachte nichts mehr.

      Wenn sie noch hätte denken können, so hätte sie denken müssen, dass Mary Booth nie glücklich gewesen war, ein Leben hindurch nie glücklich. Ihre Mutter hatte den Sohn Harold mehr geliebt als die Tochter Mary. Mary war fleißig gewesen, aufrichtig, hilfsbereit. Die Menschen vertrauten ihr, aber niemand liebte Mary Booth.

      Mary liebte ihr Kind.

      Sie wollte nicht sterben.

      Sie schrie, das war das letzte ihres Lebens. Sie schrie: »Joe!«

      Aber kein Ohr hörte Mary Booth, als sie sterben musste.

      Sie starb unter furchtbaren Schmerzen.

      Der Stier zerschlitzte und zertrampelte das Pferd und den Menschen. Als er seine Wut gesättigt hatte und kein Leben mehr da war, zog er ab.

      Die Herde begrüßte ihn.

      Mary kehrte des Abends nicht zurück, doch hatte niemand Anlass, sich darum Sorgen zu machen. Jedermann