Katja Stock

Die Rose lebt weiter


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bereits auf dem Parkplatz und in dem Moment als wir uns begrüßten, klingelte mein Telefon. Es war Holger. „Bist du schon im Büro? Ich bin beim Korbmacher und hole dein Tablett ab, brauchst du also nicht mehr hinfahren.“

      Ich war wie versteinert. Es war nicht das erste Mal, dass uns Holger „begleitete“. Wir fuhren vom Parkplatz, es herrschte eine gedrückte Atmosphäre. Keiner wusste, wie er sich dem anderen gegenüber verhalten soll. Als wir uns endlich gegenüber saßen, unbeobachtet, vertraut, und doch so fremd, konnten wir uns nicht rühren, saßen einfach nur da, ohne Gesprächsstoff, ohne Zärtlichkeiten, wie erstarrt. So verstrich die Zeit. Ich fragte mich, wofür ich eigentlich diesen Aufwand betrieben hatte. Wir überlegten laut, ob wir alles abbrechen und zurück zum Auto gehen sollten. Das war wohl der Moment, als das Eis brach. Die Scham wechselte zu Vertrautheit. Wir verlebten die schönsten Stunden seit dem Anfang unserer Beziehung. Der erhoffte Reinfall stellte sich nicht ein. Die Zeit verflog im Nu. Beide wollten wir, dass das der Abschied war. So gingen wir auseinander, weinend, verzweifelt.

      Ich fuhr mit dem Auto in die Stadt und schaute mich erstmalig nach einem Kleid für die Silberhochzeit um. Holger drängelte schon lange, ihm war es wichtig, dass ich was Schönes fand. Doch gleich schämte ich mich, was für ein abgebrühter Mensch ich war. Vor einer Stunde war ich noch fremdgegangen und nun beschäftigte ich mich mit meiner Silberhochzeit. Was war bloß aus mir geworden? Und ich hatte keinen Schimmer, wie es weitergehen sollte. „Wie wird sich Jens jetzt verhalten? Geht er mir aus dem Weg? Reden wir nicht mehr miteinander? Wird er sich seiner Sonja jetzt besonders widmen? Kämpft er genauso mit seinen Gefühlen? Komme ich tatsächlich von ihm los? Kann ich ihn ignorieren?“ Zu kündigen und einfach woanders anzufangen, war auf dem aktuellen Arbeitsmarkt illusorisch und es war schade um die Zeit, darüber nachzudenken. Ich hatte einen gutbezahlten Job, der mich ausfüllte und mir Spaß machte, kam mit vielen Leuten zusammen und man respektierte mich. Oft war es anstrengend, aber ich behielt den Überblick. Das aufzugeben ging einfach nicht, obwohl es mir in den letzten Wochen immer schwerer fiel, die Termine zu organisieren und etwas voranzutreiben. Ich musste mich wieder in den Griff kriegen, bevor es andere merkten!

      Zu Hause angekommen, klingelte bereits das Telefon. Es war Jens. Die Trennung hatte gerade mal drei Stunden angehalten. Danach stürzte ich mich in meine Haus- und Gartenarbeit und pflanzte Stauden. Holger hatte nicht gefragt, wie mein Tag gewesen war und ich war froh, dass ich nicht noch mehr lügen musste. Weil ich aber so verschlossen und ruhig war, wollte er wissen, was mit mir los wäre. Jetzt kam alles auf einmal: morgens das einschneidende Erlebnis mit Jens und abends das Ausweichen beim Ehepartner. Ich hatte nur noch Angst und funktionierte wie eine Maschine. Ich fühlte mich so schäbig. Aber Holger merkte nichts, ich konnte meine wahren Gefühle tatsächlich verbergen. Wieso war ich dazu in der Lage? Aus Angst versagt zu haben, aus Angst, dass er ausflippen würde, aus Scham vor mir selbst und vor den anderen? Aus der Hoffnung heraus, es würde alles wieder gut werden? Aus Mitleid gegenüber Holger, weil er das nicht verdient hatte? Dieses schäbige Gefühl verfolgte mich die ganze Nacht hindurch.

      Die nächste Zeit verlief mit Jens wie vorher, wir redeten. Auf meine Arbeit konnte ich mich nicht mehr richtig konzentrieren und war froh, wenn nicht so viele Leute um mich herum waren. Mit Jens war es so unwirklich, was passiert war. Jeder suchte die Nähe des anderen, keiner sprach das Thema „Abschied“ an. Wir verabredeten uns sogar noch mal nach Feierabend für eine halbe Stunde. Das ging solange gut, bis Sonja merkte, dass Jens von mir nicht lassen konnte und psychisch zusammenbrach. Jens zog sofort die Konsequenzen. Er ließ mich eiskalt im Regen stehen. Ich fühlte mich so allein und benutzt. Die folgenden Wochen waren die Hölle. Wir versuchten uns aus dem Weg zu gehen, die Tränen zu verbergen.

      Eines Tages musste ich für unseren Chef zum Geburtstag Blumen besorgen. Sie sollten im kühlen Raum versteckt werden, zu dem nur zwei Leute einen Schlüssel hatten, einer davon war Jens. Er sollte mir die Blumen am Hintereingang abnehmen und verstecken. Ich war so aufgeregt, die Chance zu haben, nach Wochen mit ihm mal kurz alleine sein zu können und hatte aber zugleich Angst davor, dass wir uns streiten könnten. Als ich ihm die Blumen brachte, wusste er nicht, wie er mit mir umgehen sollte. Ich sagte: „Jens, ich halte diesen Zustand nicht mehr aus. Lass uns noch mal reden.“

      Er antwortete nicht und drängte mich zur Tür hinaus, damit uns Sonja nicht entdeckte. Ich war so wütend, gekränkt, gedemütigt, obwohl ich ja diejenige gewesen war, die sich so siegessicher war, mit ihm abschließen zu können.

      Zu Hause wurde ich zunehmend unausgeglichener, blubberte meine Kinder wegen Kleinigkeiten an und ging Holger aus dem Weg. Holger „quälte“ sich ebenfalls durch seinen Alltag, war unzufrieden mit seiner Arbeit, bemerkte aber dadurch wahrscheinlich meine Veränderungen nicht. Er war auch immer so hektisch und malte alles schwarz. Er zeigte keinerlei Trauer bezüglich seiner Mutter und ich dachte, dass er es recht gut und schnell verkraftet hätte. Wir hatten sie ja monatelang leiden gesehen, für sie war es sicher erlösend, als diese Quälerei ein Ende hatte. Vielleicht dachte er auch so und war deshalb so schnell drüber weggekommen?

      Der Termin der Silberhochzeit rückte immer näher, ich hätte mich schon längst um die Vorbereitungen kümmern müssen, aber ich schob es immer wieder hinaus. Das Einzige, was ich erledigt hatte, war mein Kleid. Ein Kleid nach meinem Geschmack, im Stil der Rock’n’Roll-Zeit, weil ich so viel abgenommen hatte, freute ich mich, wie gut es mir stand. Als nächstes wollte ich die Tischkarten kaufen, aber ich hatte keinen Elan. „Was mache ich nur? Lasse ich doch die Silberhochzeit platzen? Rede ich mit Holger? Wird er dann zum Stier und schmeißt mich raus?“ Mein Vater hatte früher oft gesagt: „Wehe, du hast mal einen anderen, Holger bringt den Kerl um und sprengt das Haus in die Luft.“

      Er war schon immer eifersüchtig gewesen, war aber in den letzten Jahren vertrauensvoller geworden. Wenn ich jetzt ehrlich zu ihm war und er mich tatsächlich rausschmiss, ließe ich mich scheiden und dann? Egal, dann würde ich eben alleine dastehen, aber war wenigstens ehrlich. Ich fragte meine Freundin Martina, was sie davon hielt. Sie sagte: „Sei doch vernünftig. Was hast du dann gekonnt? Du machst deine Familie unglücklich und dich selbst ebenfalls. Was willst du denn Holger sagen? Dass du einen anderen Mann liebst, der dich aber nicht will? Das ist lächerlich. Warte ab, wie sich alles entwickelt, vielleicht schaffst du es, zu Holger zurückzufinden. Ich habe oft überlegt, was besser wäre, ihm die Wahrheit zu sagen oder es ein Leben lang als Geheimnis zu hüten. Wie ich Holger kenne, wirst du sicher mit dem Schweigen besser fahren. Er würde dir nicht verzeihen und dir die Ehe zur Hölle machen, dir keinen Freiraum mehr lassen. Eure Ehe könnte daran zerbrechen. Denk auch an deine Kinder und deine Eltern.“

      Ich hatte lange über diese Worte nachgedacht und hin und her überlegt. In ein paar Tagen würde mein Großer mit dem Studium fertig sein. Informatiker! Ich konnte doch stolz sein. War ich ja auch. Aber das stolze Muttergefühl konnte nicht meinen „heiligen“ Familiensinn wieder beleben. Der Abschlussball stand an und ich wollte noch abwarten und meinem Sohn dieses Ereignis nicht verderben. Mein Kleiner würde dann ins Ferienlager fahren und es wäre eine günstige Gelegenheit, den Rest der Familie erst einmal schonend damit zu konfrontieren. Dieses Datum brannte sich in meinen Kopf ein und ich wurde jeden Tag unruhiger und unsicherer. „Was werde ich machen? Ist es wirklich richtig, alles aufs Spiel zu setzen, alle zu enttäuschen, Leid erzeugen?“ – Also entschied ich mich für die von Martina vorgeschlagene Variante des Schweigens und hoffte, dass mein Leben wieder in die richtigen Bahnen kommen würde. Ich brauchte mich nun vor keinem zu rechtfertigen, brauchte die Gäste nicht auszuladen, musste mich nur ein wenig verstellen. Und schon war das Leben wieder perfekt. Aber diese Schauspielerei musste erst einmal gelernt sein, ich war auf dem besten Weg dahin. Was war bloß aus mir geworden?

      Ich wollte mich in der Mittagspause wieder mit Jens treffen. Die Vorfreude auf diese paar Minuten ließ kurzzeitig alles andere in den Schatten treten. Wir saßen auf einer Bank und keiner konnte seine Gefühle verbergen, dann liefen wir ein Stück. Jens versuchte mir näherzukommen. Ich war entsetzt. Am helllichten Tage, wo jeden Augenblick Spaziergänger auftauchen können. Gereizt fuhr ich ihn an: „Jens, für so etwas bin ich die Falsche. Ich brauche Zärtlichkeit und Zeit.“ Er ließ mich los und antwortete wütend: „Ich bin auch nur ein Mann. Zeit haben wir nie und Zärtlichkeit musst du dir zu Hause holen.“

      Nach diesen Worten hätte ich ihm am liebsten eine geknallt.