Bernd H. Kämper

Lauritz’ Hund und andere Weihnachtsgeschichten


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das Weihnachtsfest?“

      Mein Gegenüber schwieg, starrte mit halb geschlossenen Augen durch das etwas beschlagene Abteilfenster und wölbte mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand die Unterlippe vor. Er schien überrascht ob meiner mit großem Ernst vorgetragenen Rede, ich hatte ihn, glaube ich, auf dem falschen Fuß erwischt, wie man heute sagt.

      „Hören Sie“, fuhr ich fort, „Sie scheinen mir keine besonders gute Laune zu haben. Ich werde Ihnen darum mal eine Weihnachtsgeschichte erzählen. Das passt schließlich in die Zeit, egal wie Sie über Weihnachten denken. Sie handelt davon, warum die Weihnachtsmänner in Amerika immer ‚Ho, ho, Merry Christmas‘ rufen, immer ‚Ho, ho‘, ‚Ho, ho‘. Haben Sie sich mal gefragt, warum sie das machen? Nun, hören Sie gut zu:

      Bekanntlich treffen sich die Weihnachtsmänner dieser Erde alle fünfzig Jahre auf einer großen Wiese vor einem Seiteneingang der Himmelspforte, um Gottvater Bericht zu erstatten und sich untereinander auszusprechen. Die Zusammenkunft, über die ich berichten möchte, liegt schon etwa zweihundert Jahre zurück, doch sie ist eine der denkwürdigsten in der Geschichte der Treffen der Weihnachtsmänner überhaupt.

      Wie man sich denken kann, war die Tagesordnung immer randvoll, denn viele wichtige Sachen mussten besprochen und erörtert werden und manche Dringlichkeitsanträge – die vor allem von den Kollegen, die in den heißeren Ländern arbeiteten, wegen der armen Kleidung formuliert worden waren – hatten schon vor Beginn zu heftigen Diskussionen geführt. Da kamen viele stolze Gesellen zusammen, große und kleine, alte und junge, man konnte die Zahl der prächtigen weißen Bärte und weißen Locken, die aus den roten Mützen hervorquollen, nicht zählen. Übrigens: Die Lebenserwartung der Weihnachtsmänner ist ein gut gehütetes Geheimnis und wird es auch bleiben, denn wer kann da schon, wo allein der Glaube reiner Herzen entscheidet, Voraussagen machen.

      Immer wieder gab es laute und rührende Begrüßungsszenen. Man klopfte sich auf die Schulter, umarmte, herzte und küsste sich und viele schämten sich ihrer Tränen nicht. Wie bei den vorausgegangenen Treffen herrschte zu Beginn ein großes Durcheinander und man konnte mal wieder nicht pünktlich mit der Tagesordnung beginnen, weil Ordnung und Disziplin nicht angesagt waren, obwohl sie selbst es von ihren Klienten in aller Welt erwarteten. Erst als es Gottvater zu bunt wurde und er ein paar kräftige Blitze gefolgt von gewaltigem Donner auf die Versammlung herabschleuderte, besann man sich und wurde ruhiger. Er hatte dies von einem Kollegen namens Zeus übernommen und hasste eigentlich solche Kunststückchen.

      Heute stand als wichtigster Punkt die Wahl eines Weihnachtsmannes für die Amerikaner auf der Tagesordnung. Schon im Vorfeld hatte es Unruhe gegeben. ‚Wozu brauchen ausgerechnet diese Weihnachtsmänner einen Weihnachtsmann?‘, ereiferte sich einer. ‚Wisst ihr, wie diese Banausen unser schönes Weihnachtsfest nennen? X-mas Day, es ist nicht zu glauben, X-mas Day, da hört sich doch wirklich alles auf.‘

      Gottvater schien etwas nervös zu sein, er fummelte ständig an seinem obersten Kragenknopf herum und wischte sich einige Male verstohlen mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

      ‚Meine Herren, ich muss doch sehr bitten‘, sagte er, ‚Sie können doch nicht allen Ernstes wollen, dass wir den Amerikanern keinen Weihnachtsmann schicken.‘

      Er hat übrigens gar keine so tiefe und sonore Stimme, wie man es sich immer wieder gerne vorstellt. Sie ist vielmehr seltsam hoch und klingt weich und unendlich sanft. Obwohl er sich manchmal des Donners bedienen muss, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, wenn er erst einmal spricht, werden seine Worte noch in den entferntesten Winkeln seines Himmels vernommen, getragen von den Äolsharfen seiner Engel.

      Bevor die Diskussion neu aufflammte, sprach er weiter: ‚Da ist noch eine Kleinigkeit, meine Herren‘, er zögerte etwas, ‚und ich weiß nicht recht, wie ich es Ihnen sagen soll. Nun, also, die Amerikaner möchten gerne, dass ihr Weihnachtsmann durch den Kamin kommt.‘ Doch das hatte er kaum ausgesprochen, da brach ein regelrechter Tumult los.

      ‚Was möchten die gerne?‘, ‚Ja spinnen die denn?‘, ‚Sonst haben die wohl keine Wünsche?‘, ‚Was geschieht hinterher mit den dreckigen Klamotten?‘, ‚Die haben wohl nicht mehr alles auf dem Christbaum?‘, und so weiter.

      Hier unterbrach Gottvater die Kakophonie empörter Stimmen und schmunzelte: ‚Womit wir wieder beim Thema wären, meine Herren: Ich möchte noch hinzufügen, dass ich einen Kandidaten mit einer besonders wohlklingenden, klangvollen Stimme bevorzugen würde. Ihr wisst doch, ihr müsst da unten immer wieder Hosianna, Hosianna – hilf doch – rufen. Und das sollte besonders laut und eindringlich verkündet werden, denn es sind gar viele, die da unten unsere Hilfe brauchen. Ach ja, und zu dick darf er natürlich auch nicht sein, sonst kommt er nicht durch den Kamin. Wenn ich mich allerdings so umschaue, schränkt das den Kreis der Kandidaten erheblich ein.‘ Er schmunzelte vergnügt vor sich hin.

      Durch das verlegene Gemurmel wohlgenährter Weihnachtsmänner ertönte eine Stimme: ‚Wenn kein anderer möchte, ich würde gerne ein Weihnachtsmann für die Amerikaner sein.‘

      Alle blickten sich nach dem Sprecher um, der verlegen aufgestanden war und langsam nach vorne ging. Als er vor Gottvater stand, musterte dieser ihn beifällig. Alles schien zu stimmen: Er war ein besonders schöner, stattlicher Geselle, groß gewachsen, schlank und rank, mit einem herrlichen weißen Bart, die aus der Kapuze hervorquellenden Locken sorgfältig gekämmt. Der wäre schon was, dachte Gott bei sich und sagte laut: ‚Nun, mein Sohn, wenn du dir die Aufgabe zutraust, so soll es mir recht sein. Lass mal deine Stimme hören und rufe Hosianna.‘

      ‚Ho… Ho… Ho… Ho…‘, stotterte der so Angesprochene, ‚Ho… Ho…‘, und wurde vor Anstrengung und Aufregung ganz rot im Gesicht. Homerisches Gelächter machte sich breit. Man schlug sich auf die Schenkel, stand auf und lief grölend im Kreis herum, Lachtränen flossen die Wangen herunter und benetzten die würdigen weißen Bärte, kurz, es war ein Tollhaus. Bis ein gewaltiger Donner dem unwürdigen Treiben ein Ende machte und alle verlegen wieder ihre Plätze einnahmen.

      ‚Schämt ihr euch nicht?‘, rief Gottvater empört. ‚Ich lasse es nicht zu, dass ihr aus meinem Himmel ein Tollhaus macht. Ich werde …‘

      ‚Aber Herr‘, wurde er unterbrochen, ‚wenn du diesen Weihnachtsmann auf die Erde schickst, ist das Fest längst vorüber, bevor der einmal Hosianna gerufen hat.‘ Der so gescholtene zog seinen Kopf ein, ganz so, als wollte er ihn in seinem langen weißen Bart verstecken, so sehr genierte er sich.

      ‚Ich wäre so gerne ein Weihnachtsmann für die Amerikaner geworden‘, sagte er traurig. ‚Ich habe auch immer nur Schwierigkeiten mit Wörtern, die mit Ho anfangen, immer nur mit Ho. Aber ich sehe es ein: Was soll ein Weihnachtsmann da unten, der nicht einmal Ho… Ho… Ho… na, ihr wisst schon was, rufen kann?‘

      Als er sich davonschleichen wollte, tat er vielen leid, die sich inzwischen schämten, weil sie ihn so lauthals verspottet hatten. Gottvater aber gebot ihm zu bleiben und sagte mit eindringlicher Stimme: ‚Meine Botschaft wird nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit dem Herzen verkündet. Und da ich in dein Herz sehen kann, weiß ich, dass du ein guter Botschafter sein wirst. Außerdem wird es den Amerikanern gar nicht auffallen, wenn du statt Hosianna nur Ho rufst. Sie erfinden ohnehin ständig die unsinnigsten Abkürzungen.‘ Und dann wandte er sich wieder den anderen Weihnachtsmännern zu: ‚Ihr aber, meine Herren, könntet ruhig etwas mehr vor der Botschaft im Herzen tragen, die ihr den Menschen verkünden sollt.‘

      Die so Angesprochenen blickten verlegen vor sich hin. Schließlich standen einige auf und gingen auf den Kollegen zu, den sie so verspottet hatten. Sie klopften im ermutigend auf die Schulter und meinten, er würde sicher einen guten Weihnachtsmann für die Amerikaner abgeben. So erreichte die weihnachtliche Friedensbotschaft auch alle die wieder, welche sie verkündigen sollten.“

      Hier brach ich ab. Eine Weile schwiegen wir. Mein Gegenüber beugte sich etwas vor und blickte auf seine Schuhspitzen, mit denen er nervös auf und ab wippte. „Zu Beginn sind Sie mir mit Ihrer Geschichte ja ganz schön auf die Nerven gegangen“, meinte er, „aber dann …“ Er nahm seine Brille ab und blinzelte mir zu: „Ich verstehe, was Sie meinen, aber …“ Er schaute wieder auf seine Schuhe.

      Ich