Gerd Hans Schmidt

Fleischbrücke


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Du hast uns einen schönen Abend genießen lassen.«

      »Das ist doch selbstverständlich, Wolff. Vor einem Jahr hätte ich das nicht geglaubt, dass ihr beiden zusammenkommt. Ganz ehrlich, nie und nimmer. Ilse, da habe ich dem alten Mann hier schon gut zureden müssen.«

      »Na, Helmi, ich denke, dass mein lieber Wolff irgendwann schon von selbst auf den Trichter gekommen ist.«

      Helmi stellt noch drei Gläser mit schottischem Single Malt auf den Tisch.

      »Meine Lieben, ich denke, wir nehmen noch einen Absacker, natürlich aufs Haus.«

      *

      Nach diesem letzten Drink machen auch wir uns auf den kurzen Heimweg. Es ist eine herrlich laue Nacht und wir schlendern Arm in Arm über den Hauptmarkt hinunter zur Pegnitz. Kurz vor der Fleischbrücke nehmen wir uns in die Arme und verweilen so wortlos eine ganze Weile.

      Als wir dabei sind, kurz vor der Brücke nach rechts Richtung Winklerstraße zu gehen, stutzt Ilse und bleibt stehen. Es ist gegen halb vier und noch dunkel.

      »Wolff, da, auf der Brücke, da liegt irgendwas, mitten auf dem Weg!«

      Ich sehe nach vorne, kann aber nur eine Art dunklen Haufen sehen. Ich meine aber, die Umrisse eines Menschen erkennen zu können. Zwei der Straßenbeleuchtungen sind ausgefallen. Ich will auf dieses Ding, was immer es auch ist, zugehen, aber Ilse zieht mich zurück.

      »Bleib hier, du weißt nicht, was das ist und vielleicht wartet da nur einer darauf, dass jemand vorbeikommt, den er dann niederschlagen und ausrauben kann. Du kennst doch diese Masche. Wir haben keine Dienstwaffen dabei.«

      Ich rufe dennoch in die Richtung.

      »Hallo, ist da jemand, brauchen Sie Hilfe? Bewegen Sie sich, wenn das möglich ist.«

      Es folgt keine Reaktion.

      »Wir sind von der Polizei, geben Sie uns ein Zeichen, wenn wir helfen sollen.«

      Wieder nichts.

      »Lass uns die Streife rufen, Wolff. Die sind doch sofort hier!«

      »Und dann liegt da nur Müll rum und wir machen uns lächerlich. Warte mal, ich habe doch die kleine Taschenlampe eingesteckt für den Heimweg. Bleib du hier stehen, ich bin schon vorsichtig.«

      Langsam bewege ich mich im Schein der kleinen Lampe auf das Objekt zu. Je näher ich komme, umso deutlicher werden die Umrisse. Es scheint tatsächlich ein Mensch zu sein.

      Als ich kurz davor stehe und das schwache Licht direkt darauf fällt, fährt mir ein entsetzlich stechendes Gefühl in die Magengegend und ich erstarre. Alle Muskeln meines Körpers verkrampfen sich, ich kann mich kaum bewegen. Vor mir liegt der tote, verstümmelte, blutverschmierte Rest eines Menschen. Er trägt keine Kleidung. Es ist ein Mann, soviel wage ich zu vermuten. Der Körper liegt auf dem Rücken, aber die Beine fehlen. Bei näherem Hinsehen kann ich erkennen, dass der Rumpf auf den Beinen liegt, die irgendwie völlig unnatürlich nach hinten abgeknickt sind. Der Körper ist über und über mit Blut bedeckt, was auf entsetzlich grobe Verletzungen schließen lässt.

      So etwas habe ich in meiner gesamten Polizeilaufbahn noch nicht gesehen.

      Instinktiv drehe ich mich um, leuchte mich mit der kleinen Lampe an, so gut das eben geht, und gebe Ilse ein Zeichen, nicht näher zu kommen. Ich will ihr diesen Anblick ersparen. Ich knie mich hinunter. Diese Masse stinkt entsetzlich nach Blut, Schweiß und Fäkalien. Die Sehnen und Muskeln der Oberschenkel scheinen nahe am Hüftgelenk brutal mit einem Messer durchtrennt worden zu sein, nur so konnte der Täter die Beine nach hinten unter den Rumpf abknicken. Man sieht die Oberschenkelköpfe, die aus der Hüftpfanne herausgerissen sind und nach vorne herausragen. Täter. Ganz sicher. Das war kein Unfall.

      Ich bin immer noch unter Schock, kann aber ein paar Schritte auf Ilse zugehen. Ich versuche ihr etwas zuzurufen, aber meine Stimme versagt. Endlich, nach mehrfachem Räuspern, bringe ich ein paar matte Worte heraus.

      »Ruf’ die Streife, Ilse. Ruf’ die Spurensicherung. Ruf’ im Kommissariat an. Ruf’ alle an, die du erreichen kannst. Aber komm nicht näher. Ich pass’ auf, dass von der anderen Seite niemand herankommt. Du bleibst da stehen!«

      »Wolff, was ist da? Du bist vollkommen verstört!«

      »Jetzt nicht. Mir fehlt nichts. Aber bleib’ dort stehen. Versprich mir das!«

      Mit diesen Worten gehe ich zurück zu der Leiche. Ich nehme die Lampe wieder zu Hilfe. Der Unterleib ist kreuz und quer aufgeschlitzt und Blut rinnt noch immer auf den Boden der Brücke, wo sich bereits eine Lache gebildet hat, die nur langsam in das poröse Pflaster einsickert. Dieser Fleischhaufen, aus dem die Gedärme herausquellen, liegt hier noch nicht lange. Die Arme sind der Länge nach aufgeschnitten und liegen neben dem Körper am Boden. Die Gesichtszüge sind bis zur völligen Unkenntlichkeit mit einem scharfen Gegenstand abgeschabt und liegen als blutiger, schleimiger Haufen neben dem Rest des Kopfes am Boden.

      Die erste Streife ist in zwei Minuten vor Ort. Sie kennen mich und ich schildere die Sache mit ein paar Sätzen. Meine Stimme ist noch immer nicht vollständig einsatzfähig.

      Einer der jungen Kollegen muss sich sofort übergeben, als er sich dem Korpus nähert. Er entleert sich über die Steinbrüstung der Brücke in die Pegnitz.

      Nach und nach treffen Kollegen ein, die um diese Zeit Dienst haben oder erreicht wurden. Auch Hannah de Fries ist dabei. Nach ungefähr einer halben Stunde ist der Tatort abgesperrt und hell erleuchtet. Nach einer weiteren Stunde ist praktisch die ganze Altstadt abgeriegelt und alle verfügbaren Einsatzkräfte sind vor Ort.

      Ilse hat Dr. Ruschka noch auf seinem Nachhauseweg erreicht und er orderte sofort ein Sondereinsatzkommando, um die Altstadt zu durchkämmen.

      Die Stimmung am Tatort ist gespenstisch. Trotz der immensen Anzahl von Einsatzkräften herrscht eine bedrückende Ruhe. Zwei Kollegen von der Spurensicherung müssen aufgeben. Der Anblick dieses Verbrechensopfers geht über ihre Kräfte. Aber das ist mehr als verständlich. Es ist Sonnenaufgang und das Licht nimmt dem Geschehen etwas an Dramatik.

      Dr. Ruschka nimmt Ilse und mich zur Seite.

      »Dass euch beiden das widerfahren musste. Ausgerechnet in der Hochzeitsnacht. Ich muss gestehen, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Da muss doch ein Wahnsinniger gewütet haben. Ihr geht jetzt nach Hause. Ich kann das hier mit den übrigen Kollegen übernehmen.«

      »Meinen Sie, Chef, wir könnten uns jetzt auf unser Sofa setzen, gleich da drüben in der Winklerstraße, und noch einen Sekt trinken vor dem Schlafengehen? Der Anblick reicht mir für die nächsten zehn Jahre oder noch mehr. Ich bin da nicht so empfindlich, aber das übersteigt selbst meine Vorstellungskraft.«

      »Sie haben nichts gesehen, also außer dem Toten?«

      »Nein, wir waren mit uns beschäftigt, als wir über den Hauptmarkt gegangen sind. Aber ich denke, da war auch niemand außer uns, oder Wolff?«

      »Nein, ich habe niemanden bemerkt. Aber lange kann das nicht her gewesen sein, das Blut lief noch aus den Wunden, wenn man überhaupt von Wunden sprechen darf. Nein, nein, auch als ich auf die Brücke gegangen bin, war da kein anderer.«

      Der Chefpathologe aus Erlangen trifft gerade ein und macht sich an seine Arbeit. Ohne Rechtsmediziner darf die Spurensicherung die Leiche in so einem gravierenden Fall nicht abtransportieren, auch wenn sonst alle Spuren festgehalten und dokumentiert sind. Auch Staatsanwalt Gastner ist erreicht worden und kommt zu uns herüber.

      »Meine Herrschaften, dass so etwas in Nürnberg möglich ist. Ich habe es schon gehört, Frau Merkel, Herr Schmitt, sie hätten sich den Ausklang dieser Nacht auch anders vorgestellt. Es gibt keine Hinweise oder Anhaltspunkte?«

      »Gar nichts, Gastner, tut uns leid. Wir haben nur im Dunklen auf der Brücke etwas wahrgenommen und ich habe mir das natürlich näher ansehen müssen. Aber wir haben sonst niemanden beobachtet. Es war, ja, wie soll ich es sagen, totenstill um diese Zeit.«

      Der Chef kommt mit dem Pathologen Dr. Rosser zu uns herüber.

      »Ja