geblieben. Keiner! Kein einziger.“
„Freilich sind sie nicht in Altenmoos geblieben“, lachte der jetzt herbeigekommene Dreisam, „weil man sie hat hinausgetragen auf den Sandebener Kirchhof.“
„Schon gut. Ganz gut“, sagte der Guldeisner, aber jetzt war er heiser, „die mögen nicht einmal begraben liegen in Altenmoos. Und unsereiner sollt’ da lebendig versauern? Ein Narr müßt’ einer sein!“
Der Kampelherr brach eine frische Flasche an. Der Guldeisner hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Bretter surrten. „Aus ist’s und gar ist’s!“ rief er. „Jetzt haben wir Feierabend. Jetzt ist’s lustig, jetzt hebt der Festtag an!“
Der Kampelherr zählte ihm gleichgültig, als wären es Spielkartenblätter, die Banknoten vor. Dabei wollte sich der Wind einmischen, dieser war der Meinung, so viel Geld sollte nicht einem einzigen Menschen zufallen, und er suchte die Tausender ein wenig unter der Gesellschaft zu zerstreuen. Aber der Kampelherr beschwerte das gezählte Banknotenbüschel mit seinem Taschenmesser, daß er dem Bauern nun auch die Hunderter vorziffern konnte. Der Guldeisner nahm die Zigarre aus dem Mund, klemmte sie aber sofort wieder zwischen die Zähne; die Leute sollen sehen, daß ein Guldeisner wegen des Indensacksteckens von dreißigtausend Gulden das Tabaksfeuer nicht ausgehen läßt. Er bog den Papierbuschen mit scheinbarer Gleichgültigkeit zusammen und schob ihn in seine Brusttasche.
Da hieb ihm auf einmal der Altknecht des Reuthofers, der Luschelpeterl, die Hand auf die Achsel: „Franzel, namla wohl wahr, heut’ zahlst eins!“
„Seit wann?“ fragte der Guldeisner und wendete sich um, „seit wann sind denn wir zwei so gute Kameraden miteinand’?“
„Gute Kameradschaft ist alleweil schön. Gewiß auch“, versetzte der Knecht, „wenn ich auch frei ein bissel älter bin als du, und ein Bauernknecht, desweg bin ich nicht hochmütig und verachte niemand. Bist auch einmal wer gewesen, Franzl. Wohl wahr ist’s!“
Der Mann wußte nicht, wie ihm geschah. War er denn der Guldeisner nicht mehr, vor dem alle Altenmooser Leute Ehrerbietung oder Furcht hatten? – Er war es nicht mehr. Der Boden, auf dem er so fest und stolz gestanden, war plötzlich weggezogen unter seinen Füßen, er zappelte in der Luft. Aber er wollte zeigen, wo jetzt seine Stärke lag, nicht mehr auf dem Erdboden, sondern in der Tasche. Das Geld riß er heraus und schrie: „Steppenwirt! Das große Faß vom Besten zapf an! Die Altenmooser Leut’ sollen trinken! Trinken, so viel sie mögen! Ich zahl’ alles!“
Beugte sich nun der Sepp in der Grub vor von seinem Sitz und sagte: „Wir Altenmooser Bauern können freilich trinken, so viel wir mögen, das wissen wir. Und daß wir unsere Sach’ auch selber zahlen können, das sollst du wissen.“ Er stand auf und ging in die Stube hinein. Mehrere machten es ihm nach, darunter der Dreisam und der Luschelpeterl.
Der Dreisam sagte: „Wir brauchen den abgehausten Guldeisner nicht dazu. Das größte Faß vom Besten wird sowieso angezapft. Der Herr Waldmeister soll hereinkommen, wir wollen jetzt ein anderes Zauberstückel miteinander probieren.“
Der Waldmeister ließ nicht auf sich warten, und jetzt ging in der Stube die Geschichte mit dem Bart an.
„Wer hat den stärksten Bart?“ fragte der Wirt seine Gäste.
„Der Dreisam!“ riefen sie.
„Glaub’ nicht“, sagte der Wirt und zog einen Schlüssel aus dem Sack, „der da, denn er sperrt mit dem Bart das Kellerschloß auf.“
„Ernsterweise!“ rief der Waldmeister schnarrend und zeigte auf den Dreisam. „Der Kerl sagt, sein Bart wäre länger gewachsen, als ich an einem Tag laufen könnte. Er soll den Ausspruch wiederholen!“
„Mein Bart ist länger gewachsen, als der Herr an einem Tag laufen kann“, sagte der Dreisam und zog seinen Bart mit den Händen auseinander, daß man dessen ganze Länge und Üppigkeit sehen konnte. Hinter dem Ofen schlug eine Amsel.
„Altes Lügenmaul!“ begehrte der Waldmeister auf. „Der Rauber in Grätz hat den längsten Bart gehabt, und hat ihm der nicht weiter, als bis an die Zehen gelangt! Der Friedrich Barbarossa, liest man, hat einen übernatürlichen Bart und ist doch nicht länger, als dreimal um den steinernen Tisch gewachsen. Und so ein lumpiger Bauernfant will sich prahlen mit seinem Fuchsschweif am Kinn.“
„Schrei wie du willst“, sagte der Dreisam, „mein Bart ist halt doch länger gewachsen, als du laufen kannst in einem Tag. – Sagt einmal, Männer, wie lang trag’ ich schon den Bart?“
„Dreißig Jahr und länger“, riefen sie.
„Wie voll? Wenn man die Haar’ zählen will?“
„Die Haar’? Gewiß über zweitausend.“
„Wie lang?“
„Eine halbe Elle im Durchschnitt das Haar“, stimmten sie.
„Gut“, sagte der Dreisam und schmunzelte, „zweimal im Jahr abschneiden, macht zweitausend Ellen Haar, in dreißig Jahren sechzigtausend Ellen. Kann der Herr an einem Tage sechzigtausend Ellen weit laufen?“
Hinter dem Ofen zwitscherte ein Gimpel.
Jetzt brach das Gelächter los.
„Ja“, rief der Waldmeister, „wenn Ihr die Haare hintereinanderlegt! Ah, da glaube ich’s!“ Er lachte auch, aber sein Lachen war säuerlich. Übertölpelt! Bauernwitz! Es ließe sich – dachte er – schon was entgegnen, aber die Lümmel sind zu schlagfertig.
„Dreißig Maß, hat der Herr Waldmeister gesagt?“ fragte der Dreisam mit einer ganz niederträchtigen Geschmeidigkeit.
„Sauf dich zu tot!“ knirschte der Oberförster und verlor sich in der Menge. Der Gimpel hinter dem Ofen zwitscherte so lange, bis man dem Luschelpeterl sein Recht antat – einen guten Trunk, in welchem die Vogelstimmen denn auch bald erstickten.
Auf der Ofenbank neben dem Vogelpfeifer saß auch der Bauer Wegerer. Er hatte den Verlauf der Wette mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, nun schüttelte er den Kopf und sagte: „Schau, schau! Hätt’ mir’s nit gedacht, daß es so ausgeht. Ist ihm rein aufgesetzt, dem Herrn Waldmeister, daß er den Wein muß zahlen.“
Bei dem Wegerer war nämlich alles „aufgesetzt“, das heißt angeboren, vorausbestimmt. Man soll sich bei dieser Anschauung nicht schlecht stehen: Man läßt alle viere gerad’ sein, oder auch krumm, läßt den Herrgott einen guten Mann sein, oder auch einen schlimmen, und hat, was auch geschehen mag, keine Pflicht und keine Schuld. Jeder Hagelschlag aufgesetzt. Jede Faulheit aufgesetzt. Als man einige Zeit vor diesem Tage dem Wegerer den feisten Widder aus der Halde gestohlen hatte, verzichtete er auf die Verfolgung des Diebes. „Dem Widder ist’s halt schon so aufgesetzt gewesen, daß er gestohlen werden muß.“
Und als vorhin die Verhandlung gewesen war zwischen dem Kampelherrn und dem Guldeisner, hatte der Wegerer zwischen der Leut’ Köpfe hingelugt und gemurmelt: „Wird er? Wird er nit?“ Und als der Guldeisner gefallen war, klatschte der Wegerer erregt in die Hände und rief: „Gedacht hab’ ich mir’s! Ist ihm schon so aufgesetzt gewesen, daß er sein Haus muß vertun!“
Dem Guldeisner war nicht behaglich. Er saß immer noch am Lindentisch, wollte sich nun aber zum Heimgang rüsten. Heimgang? Er stand auf und ging. An der Brücke blieb er stehen und tat, als ob er in den Fluß hinabschaue, was die Forellen machten. Heimgang? – Einen Holzknecht, der des Weges kam, rief er an, ob sie zwei nicht miteinander gehen wollten?
„Wahr ist’s“, sagte der Holzknecht, „haben eh’ einen Weg selbander.“ Er war geschmeichelt, daß ihn der Großbauer heute so freundlich angesprochen. Dem Großbauer aber war bange um sein Geld und darum wollte er den einsamen Weg nicht allein machen. Was war denn vorgegangen, daß er jetzt auf einmal die Furcht wahrnahm? Er war bisher alle diese Wege gegangen bei Tag und bei Nacht, daß ihn jemand anpacken und berauben könne, war ihm nie eingefallen. Den Guldeisnerhof und das weite Gelände konnte ihm keiner wegnehmen, forttragen. Und jetzt war jeder Wicht imstande, den Griff nach seinem Vermögen zu tun und ihn zum Bettler