fröhlich Mägdlein. Von einem Gehöfte zum anderen führten Wege, die mit Büschen und Bäumen bestanden waren, über Feldlehnen hin zogen sich die weißen Fäden der Fußsteige, auf welchen jetzt zur Feierabendzeit junge Bursche zu zweien oder auch zu mehreren gesellt, langsam dahingingen und Jodler sangen.
Von dem Hügel aus, auf dem das Haus des Jakob, der Reuthof stand, konnte man in weiter Runde die Gegend übersehen. Man hörte aus der Ferne den Reigen der weidenden Herden und den halb in den Lüften verwehten Hall der Sänger. Man hörte auch aus dem engen Talgrunde herauf das traumhafte immerwährende Rauschen der Sandach. Diese Tiefgründe und dieses rauschende Wasser kamen aus hochgelegenen Wildschluchten, zogen sich hier im weiten Halbrund um den Hügel des Reuthofes, durchschlängelten die Gegend, Altenmoos genannt, um dann stundenlange Enggräben entlangzuziehen und bei dem Pfarrdorfe Sandeben in das Tal der Freising auszumünden. An der Sandach standen Getreidemühlen, an den höher gelegenen Halden duckten sich dort und da die grauen Hütten der Sommerstadeln und der Holzhauer.
Auf dem Hügel des Reuthofes stand man wie mitten in dem weiten felder- und wiesenreichen Bergkessel, und ein wellenliniges, in ferneren Höhen blauendes Waldrund schloß den Gesichtskreis. Wo sich so die Linie zog zwischen Erde und Himmel, da stand hier und dort aus jüngerem Waldwuchs das scharfe Zähnchen eines Tannenbaumes oder eines struppigen Lärchenwipfels in das Firmament auf, gleichsam wie Lanzen, die auf der Hochwacht die stille Berggemeinde Altenmoos einfriedeten. Von dem Dachfenster des Reuthofes aus konnte man eine Felsenspitze sehen, die hinter dem westlichen Höhenzug emporragte – ein Zeichen des nahen Hochgebirges.
Eine Kirche hatte die Gemeinde Altenmoos nicht, sie war eingepfarrt zu Sandeben. Für den Hausgebrauch hatten alle größeren Höfe ihre Kapellen oder Kreuzsäulen, davor die Leute, die nicht zur Pfarrkirche kommen konnten, ihre Andacht zu verrichten pflegten. Mit den Vorgegenden war die Gemeinde Altenmoos durch einen einzigen Fahrweg verbunden, der an den Hängen und Wänden der Sandachschluchten hin angelegt über zahlreiche Stege und Brücklein führte.
Wenn man vom Reuthofe aus der Sandach entlang aufwärts ging, so kam man durch Wald und Geschläge, an welchen manch rauchende Kohlenstätte stand, dann kam man in Haselnuß- und Erlengebüsche, und dann kam man in Sand- und Steinhalden, wo zwischen der wildwuchernden Pflanzenwelt moosige Felsblöcke lagen, die herabgekommen sein sollen von dem Hochgebirge, das sich hinter diesen Vorbergen gewaltig erhebt. An den beiden Hängen ziehen sich einengende Felsrippen nieder. Hier klettert der kümmerliche Fußsteig über einen Steinwall, der mit Wildfarn, Dornsträuchern und Schierling bewachsen ist. Das Wasser gräbt sich unten schäumend und schreiend durch eine Kluft, die tief und finster und so eng ist, daß ein Mann mit ausgespreizten Beinen zugleich an beiden Rändern stehen könnte. Heute greift hier das Geflecht der Baumwurzeln und Sträucher, das Gefilze der Moose von beiden Ufern schon so sehr ineinander, daß die unten durchfließende Sandach an dieser Stelle kein Tageslicht mehr hat.
Hinter dem Steinwall weitet sich die Schlucht und der Fußpfad schlängelt von dem rauhen Schutthügel nieder in einen stillen Grund, der von nackten Felswänden umstanden ist. In dem kleinen sandigen Tale wuchert kein Gestrüppe, stehen nur in Gruppen schlanke und üppige Fichtenbäume. Das Wasser rieselt im breiten Bette fast lautlos und so klar, daß man jedes Goldfünklein sprühen sieht in seinem Sandgrunde. In diesem Wasser ist keine Forelle zu sehen, im Gefelse kein Vogel zu hören; aber Eidechsen pfeifen, wenn man ihnen auf den Schweif tritt. Wir biegen um eine Fichtengruppe, und es liegt ein See da. Er ruht in einem Kessel und hat mehrere Buchtungen. An seinem Rande, wo bemooste Felstrümmer hervorragen, ist er durchsichtig, an tieferen Stellen grün wie der reinste Smaragd; gegen die Mitte hin dunkelt sich die Farbe, dort soll – so spricht die Sage – das Wasser unermeßlich tief sein.
Hinter dem See – wenn wir unsere Schritte weiter lenken – hebt ein dumpfes Tosen an. Schreiten wir zehn oder zwölf Minuten lang dahin in diesem kühlen Grunde, so werden unsere Kleider feucht von einem feinen Wasserstaub; auch an allen Bäumen hängen Tropfen. Dann stehen wir vor dem Wasserfall. Der springt turmhoch von einer Felsenrinne nieder, macht zwei große Absätze, in denen er schneeweiße Bänder bildet, und stürzt sich in einen Tümpel. In diesem Tümpel schäumen, kreisen und kochen die wild herabgeworfenen Wellen, daß aus den eisigen Quirlen ein Nebelqualm aufsteigt, der alles Gestein und alle Pflanzen betaut, die im Grunde stehen. Der ebene Sandgrund mit seinen grünen Säumen ist hier zu Ende, hinter dem Wasserfall heben die hohen Felswüsten an.
Das kleine Hochtal war von den letzten Häusern des Altenmoos nur eine Stunde weit entfernt, aber selten kam ein Altenmooser hinauf. Es hatte niemand dort etwas zu suchen, und wer doch einmal über das Hochgebirge mußte, der rastete wohl auf einem Stein am See, aber nicht lange. Der Grund war ihm zu leblos und zu still. Das Hochtal war benannt: Im Gottesfrieden.
Also ist das Berg- und Waldrund beschaffen, das unsere Gemeinde umgibt und in welchem der Jakob Steinreuter sein Haus hat. Das liebe Altenmoos.
DER MANN MIT DEN TAUSENDERN SIEDELT AB
An diesem Vorabende zu Fronleichnam, da zu Altenmoos der frohe Feiertag anhub und auch im Reuthofe die knechtlichen Arbeiten schon zur Ruhe gekommen waren, hielt der Jakob noch nicht Rast. Er hämmerte an der Kapelle die letzten Dachbretter fest; nun war der Schaden wieder getilgt, den der stürzende Lindenast angerichtet hatte. Die darüber aufragende Linde prangte in voller Pracht, und man merkte im finstergrünen Buschwerk kaum mehr die Scharte, wo der Ast herabgebrochen war. So hatte der Sommer rasch und ruhmreich gesiegt über jenen tückischen Eindringling zu Pfingsten, wie solcher zur Frühsommerszeit wohl manchmal anzurücken pflegt in der hochgelegenen Gegend von Altenmoos.
Zu wahrer Erhebung gereichte es dem Jakob, daß dem Bildnisse in der Kapelle nichts geschehen war. Der roh geschnitzte, mit Farben bemalte heilige Jakobus war damals unversehrt auf seinem Altar stehengeblieben, während der gebrochene Ast unter Schnee und Splittern zu seinen Füßen lag. Dieser Heilige war der Schutzpatron des Hauses. Jakobs Vater hatte Jakob geheißen, und dessen Vater hatte auch Jakob geheißen, und so der Großvater und der Urgroßvater, und jeder Hausvater auf dem Reuthofe hatte Jakob geheißen, weil vor Jahrhunderten der Mann, welcher die Ansiedlung gegründet, den Grund urbar gemacht und die Steine ausgereutet, Jakob geheißen hatte. Jakob, der Steinreuter. Von dem frommen Sinn und der kunstreichen Hand dieses ersten Jakob stammte, den Überlieferungen der Familie gemäß, das Bildnis, und so war die Statue und der Name ein besonderes Band, das sich von Geschlecht zu Geschlecht herabflocht und jeden Jakob Steinreuter enge mit seinen Vorfahren und seiner Scholle verknüpfte.
An die innere Wand der Kapelle war in aufrechtstehender Richtung eine Reihe von etwa sechs Schuh langen Brettern genagelt. In jedes dieser Bretter waren gegen den oberen Rand hin die Buchstaben J. S. eingeschnitten, und darunter eine Jahreszahl. Das waren die Leichbretter; auf jedem derselben war ein Jakob Steinreuter ausgestreckt gelegen drin im Hause, bevor sie ihn auf den Kirchhof trugen. Dann sind zum Gedächtnisse diese schmalen Läden hier aufgestellt worden in der Kapelle des heiligen Jakobus.
An diesem Tage sollte der Heilige, gleichsam zur Urständfeier, besonders geschmückt werden. Die kleine Angerl mit den langen schwarzen Haarsträhnen, die eben aus der Schule heimgekehrt war, kam und brachte ein mit Wasser gefülltes Glas, in dem zwei Pfingstrosen staken. Und es kam der kleine Friedel mit den kugelrunden Vergißmeinnichtaugen, der brachte das andere mit Wasser gefüllte Glas, in welchem zwei weitere Pfingstrosen staken.
„Brav seid ihr!“ sagte der Jakob zu seinen Kindern. Dann nahm er ihnen die Gläser aus den kleinen Händen und stellte sie zu beiden Seiten der Statue auf. Er mochte dabei vielleicht weniger an den heiligen Apostel, den das geschnitzte Bild vorstellen sollte, denken, als vielmehr an seine Voreltern, die das Bild gestiftet und bewahrt hatten und die er in ihm verehrte.
Vom Schachen herüber, barfuß, in zerfasertem Höslein, mit struppigem Haar und glühenden Wangen, kam der Jackerl, er zerrte zwei gefällte Lärchenbäumchen herbei und schrie lustig vor sich das Sprüchel hin:
Droben auf dem Kögerle
Sitzen drei Vögerle,
Oans g’hört mein, oans g’hört dein,
Oans g’hört dem Regerle.
Als