sind eins, gewissermaßen gleichursprünglich«, schreibt Anna in ihrer Dissertation. So war ihr das eigene Ende immer Thema und zutiefst bewusst. Dennoch traf sie ihre schwere Krankheit und die Gewissheit des eigenen Todes mit voller Härte und nahm ihr zeitweilig alle Hoffnung. Sie wollte so viel, sie wollte leben. Ihr philosophisches Werk will fortgeführt werden, sie ist zur Professorin berufen worden. Sie hat in der Liebe endlich eine Heimat gefunden und will mit der neuen Liebe ab jetzt gemeinsam das Leben gestalten. Dass all dies nicht mehr möglich sein würde, war für Anna schlimmer als die Tatsache ihrer grausamen Schmerzen, die sie mit Pragmatismus und Disziplin ertragen hat.
Wie Anna ihr Schicksal angenommen hat, wie bodenständig und bis zum letzten Moment konstruktiv sie ihre, wie sie wusste, tödliche Krankheit betrachtet hat, hat uns erneut gezeigt, von welch geistiger Kraft und Disziplin sie war. Hier stehen wir vor der Größe ihres Geistes und der Stärke ihres Willens, die ihr bis zum Schluss eigen war. Wenn es so ist, dass jeder Mensch nicht nur ein ihm eigenes typisches Geborenwerden und Leben, sondern auch einen eigenen spezifischen Tod hat, so haben wir aus Annas Tod gelernt, was wir schon wussten, dass sie ein bewunderungswürdiger Mensch von großen Gaben war.
Lassen wir zum Schluss sie selbst sprechen. Mit Schmitz argumentiert sie, dass wir leiblich immer schon über uns selbst hinausreichen, was die Tatsache relativiert, dass der Körper sterblich ist. »Der Leib bildet die unhintergehbare Perspektive meiner selbst im Ganzen und in all seinen Teilen, jetzt und möglicherweise immerdar, über den körperlichen Tod und das Ende der Zeitlichkeit hinaus«, schreibt sie. So lebt ihr Fühlen und Denken in uns allen weiter, wird uns immerdar begleiten, aufwühlen und trösten. Wir werden nie ohne Anna sein.
Anna sei damit auch recht gegeben, wenn sie bemerkt: »Nur für die anderen ist das Faktum meines Todes erfahrbar. Mich selbst geht es nichts an.«
Hermann Schmitz
Zum Gedenken an Anna Blume
Anna Blumes Dissertation wurde 2003 unter dem Titel »Scham und Selbstbewusstsein. Zur Theorie konkreter Subjektivität bei Hermann Schmitz« als Buch veröffentlicht. Es handelt sich um eine Pionierarbeit, die erste monographische Auseinandersetzung mit meiner Theorie der Subjektivität. Wie die Verfasserin an dieses Thema, ja überhaupt an die Philosophie geriet, sagt sie in der Einleitung: Es war »die irritierende Frage, ob außer mir überhaupt noch ›Welt‹ ist, ja ob ich selbst mit Sicherheit sagen kann, ›ich bin‹? Dieser Frage folge ich vielleicht in dieser Arbeit etwas zu übermäßig, aber sie war und ist wohl überhaupt ein starker Motor, ein starkes Motiv gewesen in meiner Hinwendung zur Philosophie.« (S. 11) Wenn Philosophie, wie ich ihr Wesen oft bestimmt habe, Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung auf Grund einer Beirrung dieses Sichfindens ist, war Anna Blumes Leben im Zeichen dieser Frage eine philosophische Erschütterung; sie bekennt in derselben Einleitung: »Mich hingegen berührt das Solipsismusproblem immer wieder mal heftig (ja, zuweilen erschüttert mich seine tödliche Anmutung).« Mit solcher Ergriffenheit in der Beirrung beschämt Anna Blume die meisten Philosophen, die sich seit Descartes mit mehr oder weniger naiver Begründung über ihr eigenes Sein und das der Umgebung beruhigen. Mit der Frage, woher wir die Kenntnis nehmen, dass es uns gibt, beschäftigt sich auch meine folgende Abhandlung, die ich dem Andenken an Anna Blume widme. Sie trägt den Titel »Die Labilität der Person« und endet mit dem Hinweis auf den »fundamentalen Zwiespalt in der Person. Diesem gewachsen kann die Stabilisierung nur sein mit der elastischen Beweglichkeit des Wellenreiters.« Beides hat Bezug zum Leben von Anna Blume. Für elastisches Wellenreiten war sie wohl zu spröde; Stabilität gewann ihr Kurs durch die leidenschaftliche Konsequenz ihres philosophischen Dranges. Mit dieser Entschiedenheit hat sie gelebt und ist sie gestorben. Dadurch ist ihr Schicksal exemplarisch für unser aller Schicksal: »Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken« (Goethe, »Grenzen der Menschheit«).
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