Barbara Hartlage-Laufenberg

In Liebe, Muschelkalk


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wie Triebe, Lüste etc. komme daher, dass sie mit sechs Jahren von schlechten frühreifen Kindern aufgeklärt worden sei. Und weiter: Von lesbischer Liebe habe sie vor Kurzem erfahren. Die Dadaisten hätten wohl auch damit zu tun. Die von ihm genannten Autoren und ihre Bücher kenne sie nicht. Ein Kind wäre ihr schönster Traum, es brauche aber gar kein eigenes zu sein. In seiner Antwort nennt Hans sie »Naivica«, weil sie Lesben und Dada zusammenbringt.

      Im Übrigen aber will Lona ihrem Hans das Heim bereiten, das er sich ersehnt. Denn er hatte doch auch geschrieben, im schwülstigen Stil der Zeit und ziemlich unliterarisch: »Wie schön wäre es, hätten wir gemeinsam eine kleine Wohnung, darin Du sorgtest und waltetest mit Deiner schönen Mütterlichkeit und wie würde es mich zu meinem Arbeiten anspornen und liebe Freunde kämen zu uns – und Kunst und Glauben und Redlichkeit wüchsen in unserem Tempel …« Das war eine Vorstellung des gemeinsamen Lebens, die ihr durchaus gefallen hat. Und Hans versichert, er liebe sie und könne mit ihr leben, ohne sie körperlich zu berühren. »Wir würden sein gleich zwei innigsten Freunden, die sich zuwinken und sehen und sprechen von Balkon zu Balkon.« Aber schließlich gibt er ihr auch in einfühlsamer Weise zu verstehen, dass er ihr die Augen für das öffnen möchte, was sie zu der Zeit noch ängstigt. Und sie lässt sich überzeugen, trotz aller Vorbehalte. Sie mag ihn sehr. Und die Zeit ist reif. Er hat gewonnen.

      Nachdem diese grundsätzlichen Dinge jetzt zwischen den beiden geklärt sind, machen sie sich an die Realisierung des Zusammenlebens. Für diesen Zeitpunkt ist noch ganz wichtig zu erwähnen: Hans benutzt seit Dezember 1919 das Pseudonym Joachim Ringelnatz. Er startet jetzt entschlossen durch als Dichter. Nahezu alles, was er erlebt und sieht, verwertet er literarisch, macht er zum Gedicht oder zu Prosa.

       Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts,

       Irgendwo

       Im Muschelkalk.

      Konkretisierungen

      Seit Mitte Januar 1920 hat Ringelnatz im Verlag Scherl in Berlin einen Job für zehn Mark pro Tag. Doch die Demobilisierung verlangt, dass ehemalige Soldaten wieder dort wohnen, wo sie vor dem Krieg gelebt haben. Also darf Ringelnatz nicht in Berlin bleiben, er muss zurück nach München. Lona dagegen hat ab April eine Stelle als Fremdsprachenlehrerin in Godesberg bei Bonn am Rhein angenommen. Ringelnatz ist in Berlin bereits im Aufbruch. Ende April wird er nach München umziehen, wo er im »Simpl« nicht mehr nur einfacher Hausdichter ist, sondern ein richtiges Engagement für den Monat Mai hat. Die Chefin Kathi Kobus übernimmt seine Reisekosten und zahlt 1.200 Mark Gage. Schon will er von Lona wissen, welche Kündigungsfrist sie in der gerade angetretenen Stelle hat. Und sie soll sehen, dass sie die Papiere für die Hochzeit zusammenbekommt, sich also insbesondere ihre Geburtsurkunde und einen Staatsangehörigkeitsnachweis beschafft.

      Aber zuvor ist noch das Unvermeidliche zu erledigen: Der Brief an Wilhelm Pieper in Rastenburg. Auch wenn Lona inzwischen volljährig ist, wollen sie doch nicht ohne den Segen des Vaters heiraten. Da wird die Herkunft der beiden aus bürgerlichen Elternhäusern deutlich. Ringelnatz entwirft ein entsprechendes Schreiben: »Hochverehrter Herr Bürgermeister«. Ziemlich geschickt stellt er darin seine bisherigen Tätigkeiten heraus, weist aber ehrlich auf seine minimalen finanziellen Mittel hin, nennt Zeitschriften, die Texte von ihm gebracht haben, sowie seine Buchveröffentlichungen. Er bespricht den Brief mit einer mütterlichen Berliner Freundin und schickt den Entwurf dann nach Godesberg, damit Lona dazu Stellung nehmen kann. Schließlich wird der Brief an Pieper abgeschickt. Sobald der Vater einverstanden ist, soll Lona in Godesberg kündigen.

      Hans macht seiner Lona im Übrigen klar, dass er eine ganz bestimmte Frau braucht und haben will: »Was ich thue, wenn Muschelkalk in meinen Händen nicht wird, was ich erhoffe? – – Dann knete ich Muschelkalk mal härter mal weicher, mal sanft und mal hitzig und Muschelkalk wird, was ich erhoffe, denn ich pflege meine großen Ziele nicht leicht aufzugeben. Aber freilich muß Muschelkalk auch wollen und eiserne Energie dort haben, wo es von ihr erwartet wird. Muschelkälkchen wird anfangs manchmal traurig zu sich selber sprechen: ›Ach ich bin doch so dumm gewesen und werd ich wohl erreichen, was er meint und was er mir zeigt.‹ Aber wenn Muschelkalk tapfer aushält und auch schiefe Zeiten hindurch treulich bleibt – dann – – (I wo, ich werd mich hüten zu versprechen, was dann lohnen soll). Und dein dichtender ewiger Seemann wird so gern so gern Dich als liebes sorgendes Hausgeistchen wissen, und er wird ruhig werden, da er jemanden weiß, der sein Haus bestellt und ihn bei Mißerfolgen tröstet oder bei einem Stückchen Ruhm sich als Mithelfer freut.« Lona weiß also, was sie erwartet, und sie geht diese Verbindung bewusst ein.

       Der künftige Wohnort

      Schon jetzt aber, so drängt Ringelnatz, sollten sie die Frage klären, wo sie sich niederlassen. Seit dem 30. April hält er sich in München auf und sucht hier nach einer Wohnung, was nach dem Krieg äußerst schwierig ist. Der Wohnungsmarkt wird wegen Raummangels in München – wie in anderen deutschen Städten auch – bewirtschaftet, es werden Wohnungen also nach bestimmten Kriterien von städtischen Behörden vergeben. Selbst wenn die erforderlichen Papiere vorliegen, ist wohl vor Ablauf eines Jahres mit der Zuteilung einer Wohnung nicht zu rechnen.

      Doch Lona kann sich durchaus auch vorstellen, mit Ringelnatz in Rastenburg zu leben. Es fällt ihr offensichtlich schwer, sich vom Vater und den Geschwistern zu trennen. Nachdem ihr Vater zum dritten Mal geheiratet hat, ist vor allem die jetzt zehnjährige Schwester Lisabeth eigentlich gut versorgt, und es besteht keine Notwendigkeit mehr für sie, in Rastenburg zu bleiben. Aber ganz wichtig ist für sie, was ihr Vater dazu sagt, dass sie einen Mann heiraten will, der beruflich mit Mitte dreißig keineswegs den Vorstellungen der bürgerlichen Kreise entspricht, aus denen sie stammt. Für eventuelle Konflikte in dieser Richtung rät Ringelnatz ihr: »Aber wenn es sein müßte, daß Du einmal Dich gegen den Willen Deines Vaters in Deiner eigenen Überzeugung oder aus Treue zu mir behaupten müßtest – Muschelkalk, ich hoffe, nein ich baue fest darauf, daß Du dann Dich bewährst«. Ein weiterer Grund für Lonas zögerliche Haltung ist aber sicher auch, dass sie manchmal leichte Beklemmungen beschleichen, denkt sie an das ganz neue Leben, das sie jetzt erwartet, wenn sie mit einem Mann in eine ihr unbekannte süddeutsche Großstadt zieht. Ringelnatz bemüht sich, sie mit vielen Worten von München zu überzeugen. Er macht ihr klar: München sei »so viel viel schöner, froher als Rastenburg«, er habe dort mehr Anregungen und Verbindungen, und sie wäre dort in einer ganz neuen Umgebung; zur Not könne man auch erst nach Rastenburg ziehen und dann nach München, aber das wäre doch sehr umständlich und sehr teuer! Trotzdem tendiert Lona immer noch nach Rastenburg. Aber Ringelnatz will das nicht. Eine Kleinstadt, wo er nichts ist, kommt für ihn nicht in Betracht. Auch bringt er noch das Argument, dass es nach seiner Ansicht nicht gut sei, wenn ein junges Paar in der Nähe der Eltern wohnt. Ganz klar: Er will aus München nicht mehr weg.

      Aber Lona mahnt zur Geduld. Zudem schreibt sie von Zahnproblemen. Diese mag sie auch etwas übertrieben schildern, um seiner drängenden Frage, an welchem Ort sie denn nun wohnen will, zu entgehen. Letztlich aber hat sie München nichts entgegenzusetzen. Dann ist als Hochzeitstermin der 1. September im Gespräch. Den empfindet Ringelnatz aber als sehr spät. Er hat wohl schon länger den 7. August, seinen Geburtstag, im Auge. Sie warten immer noch auf die Antwort ihres Vaters. Und es gibt weitere praktische Probleme zu lösen. Ringelnatz spricht davon, er habe bei Dunsky in Berlin seine Möbel untergestellt. Der Innenarchitekt hat ihm vermutlich Möbel aus seinem Sortiment überlassen und sie zunächst einmal in seinem Lager untergebracht. Vielleicht handelt es sich auch um in Zahlung genommene Stücke seiner Kunden. Diese Möbel müssen möglichst schnell nach München transportiert werden, sonst knöpfe ihm Dunsky noch das eine oder andere Stück wieder ab, schreibt er an Muschelkalk. Schließlich handelt es sich um Sachen, die sie dringend für ihre gemeinsame Wohnung brauchen: Bett, Diwan, Schreibtisch, Buffet, Schrank, Waschtisch, Truhe, Tisch, Spiegel und zwei Regale.

      Dann kommt endlich Post von Vater