Liselotte Welskopf-Henrich

Nacht über der Prärie


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studierten die Zuschauer die Programmhefte. Es wurde über den Lautsprecher eine Abänderung angekündigt: »Bronc Nr. 7, sattellos, Reiter nicht Dick McNally, sondern Joe King.« Der Ansager wiederholte: »Joe King!«

      Viele klatschten, auch Kate Carson und Superintendent Hawley auf der Tribüne waren unter denen, die Beifall spendeten. Die Kinder kletterten am Zaun hoch und im Hintergrund auf die Bäume. Bei den Verschlägen der Pferde war schon Unruhe. Jedes Tier befand sich in einem besonderen, oben offenen Verschlag. Der Reiter sprang von der Wand des Verschlags auf den Rücken des Tieres hinab, der Verschlag wurde zur Arena hin geöffnet, und das Tier tobte sofort hinaus, bockend und schlagend.

      Die erste Bedingung für einen Sieg war die Zeit: Der Reiter hatte einige Sekunden auf dem Rücken des Tieres zu bleiben, ohne herabzustürzen. Die weiteren Bedingungen, die zu Punktgewinnen führten, hingen mit der Haltung des Reiters zusammen.

      Die bucking horses waren besonders elastische und kräftige Tiere, zumeist auf freier Weide herangezogen, schon geritten, aber für diesen Wettbewerb durch eine besondere Art der Riemenführung um die Lenden in hemmungslose Wut versetzt. Sie stiegen, bockten mit Katzenbuckel, so dass der Reiter immer wieder wie ein Ball hochgeschleudert wurde, sie machten unvorhergesehene Sätze, und wenn sie besonders listig und gewandt waren, gingen sie mit allen vieren in die Luft und ließen sich dann fallen. Es war nach Ablauf der Zeit für den Reiter, der oben geblieben war, kaum möglich, allein abzuspringen. Ein Helfer musste kommen, der den Reiter zu sich auf sein Pferd herübernahm, und auch dieser Moment barg noch große Gefahren in sich. Manche Pferde bockten auch ohne Reiter weiter und mussten mit viel Geschick von zwei Helfern wieder aus der Arena gebracht werden.

      Es war ein waghalsiger Sport, mit und ohne Sattel. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer war aufs äußerste gespannt. Zuerst wurde mit Sattel und Sporen geritten, dann kam die Reihe der Bewerber für den Ritt ohne Sattel, den Joe bevorzugte.

      Die Teilnehmer waren Amateure, Männer, die im Beruf Pferd und Lasso brauchten und damit aufgewachsen waren. Das Provinz-Rodeo konnte nicht Preise bieten, die die Professionals anlockten, jene Cowboys, die an Spezialschulen für die Rodeos trainierten und dann von Wettkampf zu Wettkampf in den großen Zentren zogen.

      Die meisten Zuschauer waren hier in New City wenigstens insofern sachverständig, als sie fast alle noch reiten gelernt hatten, wenn sie auch das Auto zur Fortbewegung bei weitem vorzogen. Die Zuschauer kargten dann auch nicht mit Kritik und Beifall, wenn schlecht oder besonders gut geritten wurde, und die Menschen hinter dem Zaun fühlten noch mit, was ein Reiter empfand, wenn er nach einem guten Kampf eine Sekunde zu früh geworfen wurde und seinen Einsatz verlor. Die Pferde selbst waren verschieden nach Kraft und Temperament, insofern waren die Vorbedingungen für die Reiter nie die gleichen, und mancher verdankte es nur dem größeren Phlegma seines Tieres, wenn er durchkam. Zierliche, gelenkige, blitzschnell reagierende Pferde wurden den Reitern meist gefährlicher als die größeren, stark erscheinenden, aber auch plumperen und langsameren.

      Queenie schaute bei allen diesen Wettkämpfen zwischen Mann und Pferd nur wenig in die Arena. Ohne es sich anmerken zu lassen – diese Taktik hatte sie sich sehr schnell angeeignet –, beobachtete sie das Publikum. Nach dem letzten Ritt auf dem gesattelten Pferd, der mit einem Sturz des Reiters in der siebten Sekunde geendet hatte, entdeckte sie plötzlich den Burschen, der niemand anders als Jenny sein konnte. Er saß gegenüber auf der Tribüne, für sich allein, rechts und links waren noch Plätze frei. Wenn er nicht in Männerkleidern gesteckt hätte, hätte ihn wohl jeder für eine Frau gehalten. Es war etwas Unnatürliches an ihm.

      Nach einer kurzen Pause begann das Reiten auf ungesattelten Broncs. Queenie wusste, dass ihr Mann den letzten Ritt hatte. Die ersten fünf Reiter beachtete sie daher noch kaum. Sie wusste aber, dass Harold und seine Blonde bei der Familie Booth auf der Tribüne saßen, dass Mike noch immer mit Rodeo-Angestellten und jenen Reitern, die ihr Pensum absolviert hatten, am Eingang der Teilnehmer stand und dass Jenny einsam und in gleichgültiger Haltung auf der Tribüne hockte. Sie war auch bei Margret gewesen. Niemand war bisher an das Auto herangekommen. Niemand hatte irgendein verständliches oder unverständliches Interesse dafür gezeigt.

      Ein Mann, auf den die Charakteristika von James passten, war noch nirgends an ihrem Gesichtskreis aufgetaucht.

      Mike hatte gelegentlich geklatscht. Jenny pfiff, als ein Pferd nicht bocken wollte. Es blieb schlicht und gemütsruhig stehen und war zu keinerlei Aktion zu bewegen. Als der Reiter das Tier, nicht eben in guter Laune, selbst wieder aus der Arena hinausführte, begann es plötzlich auszuschlagen. Aber nun war es zu spät. Die Preisrichter erlaubten keinen zweiten Versuch. Der Einsatz war verfallen.

      Queenie konnte nicht entdecken, dass mit Mike jemand gemeinsam geklatscht oder mit Jenny gemeinsam gepfiffen hätte. Was die Polizei anbelangte, so stand sie mit einem bescheidenen Jeep bereit. Der Sanitätsdienst hatte einen Rettungswagen herangefahren, der vor allem für unglücklich gestürzte Reiter gedacht war.

      Die Menschen gaben sich ungestört ihrem Sonntagsvergnügen hin. Die Kinder der verschiedenen Familien hatten schon Bekanntschaft miteinander gemacht und rannten im Zuschauerrevier unbekümmert und unbehindert über den Rasen und zwischen den zahlreichen parkenden Autos hindurch. Da es sehr heiß geworden war, machten die Budenbesitzer vor allem mit Eis und den erfrischenden Getränken ein gutes Geschäft.

      Reiter Nr. 6, der Vorgänger Joe Kings, kam an die Reihe. Queenie richtete ihre Gedanken von nun an ausschließlich auf die Arena. Nr. 6 hatte ein strammes, aber phantasieloses Pferd. Als es mit einem Sprung dem Verschlag entronnen war, verlegte es sich ausschließlich darauf, seinen Rücken auf und ab zu schnellen, und zwar so rasch und spannkräftig, dass der Reiter bei jedem Mal in die Höhe und wieder auf den Pferderücken herunterflog. Es hatte auch ganz offenbar im Sinn, den Reiter an die Wand zu drängen, aber das misslang ihm. Mit dem Auf- und Abschnellen hatte es mehr Erfolg. Der Reiter, dessen Wirbelsäule bei jedem Schnellen mehr in Mitleidenschaft gezogen werden musste und dem es von halber Sekunde zu halber Sekunde schwerer fiel, das Gleichgewicht zu halten, stürzte nach siebeneinhalb Sekunden mit verzogenem Gesicht so schwer, dass er liegenblieb. Das Pferd aber hatte noch nicht genug. Es schnellte sich in seinem unglaublich schnellen Takt weiter, und der Gestürzte kam in Gefahr, auch noch von den Hufen getreten zu werden. Da die beiden Helfer sich um das aufgeregte Tier kümmern mussten, das wegzubringen ein Kunststück für sich blieb, sprang Joe King mit den Sanitätern in die Arena, um dem Gestürzten behilflich zu sein und ihn zu bergen. Als der Verunglückte die Sanitäter und den Rettungswagen sah, der jetzt vorsichtig in die Arena fuhr, winkte er plötzlich ab und erhob sich, äußerst mühsam, von dem Arzt und Joe geschickt gestützt. Queenie erkannte, dass ein kurzer Wortwechsel stattfand, dann wandte sich der nahezu Gelähmte von Arzt und Sanitätern ab und erlaubte nur Joe King, ihn langsam bis zu dem Bretterzaun zu führen. Dort blieb er, halb angelehnt, stehen. Joe sprach ihm offenbar gut zu, denn der hilflose Mann innerhalb der Arena war nicht nur selbst in Gefahr, sondern gefährdete auch noch alle in den folgenden Wettbewerben, die auf ihn Rücksicht nehmen mussten oder wollten. Doch blieb der Verletzte hartnäckig, und der Sanitätswagen fuhr wieder hinaus.

      »Warum will er sich nicht fortbringen lassen?« fragte Queenie einen Mann, der neben ihr am Zaun stand und wie ein alt gewordener Cowboy und Sachverständiger wirkte.

      Der Alte musterte die junge Frau, ob sie einer Antwort würdig sei, und sagte dann: »Weil er ein armer Teufel ist. Wovon soll er die ärztliche Hilfe und das Krankenhaus bezahlen, und von wem soll er noch einmal einen Ritt bekommen, wenn er den Invaliden spielt? Er selbst hat weder Pferd noch Geld. Warum kümmert Sie denn das?«

      »Vielleicht, weil mein Mann der nächste sein wird.«

      »Joe? Na, dann Hals- und Beinbruch. Der Schecke ist eine heimtückische Kreatur und hat im vergangenen Jahr schon zwei Boys zuschanden gemacht. Er gehört jetzt Krader, dem Händler. Es ist ein Hengst!«

      »Sie waren selbst einmal Rodeo-Reiter?« fragte Queenie.

      »Sie haben mit dem Gefängnisaufseher Rex gesprochen, liebe junge Frau. Aber mit sechzehn bin ich Cowboy gewesen; sieht man mir das immer noch an?«

      »Alles blöde Kerle«, sagte eine unangenehme Stimme hinter Queenie und dem Alten. »Ich jedenfalls hätte den Affen nicht dort am Zaun stehenlassen.«