Ben B. Black

Exodus


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Lemmy sah ihn prüfend an.

      »Natürlich bin ich si… Scheiße! Was …?« Benhards Augen wurden immer größer, er keuchte. »Das gibt es doch ni…«

      »Was ist los?« Marion klang alarmiert.

      Ich griff ebenfalls nach meiner Waffe. Wir alle verließen uns darauf, dass die jungen Leute die Gegenwart von Knirschern rechtzeitig spürten und uns dann warnen konnten. Aber was, wenn dem aus irgendeinem Grund plötzlich nicht mehr so war?

      Wir alle wurden sichtlich nervös – alle bis auf Lemmy. Wusste der etwas, das er uns verschwieg? Oder hatte er gar …? Ein Verdacht keimte in mir.

      »Lass den Quatsch, Lemmy!« Ich sah den großen Zottel mit strafendem Blick an. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für irgendwelche blöden Streiche.«

      »Meinste etwa mich?«

      Lemmy blickte drein, als könne er kein Wässerchen trüben, trotzdem sah ich aus dem Augenwinkel, dass sich Bernhard sichtlich entspannte. Zwar hatte ich nur auf den Busch geklopft, damit jedoch offenbar ins Schwarze getroffen.

      »Die Hütte scheint leer zu sein«, ergriff ich wieder das Wort. »Also lasst uns mal reingehen. Und vergesst nicht, mit euren Schuhen den Schuhabstreifer ordentlich zu malträtieren, schließlich wollen wir unser neues Heim nicht gleich mehr als unbedingt nötig einsauen.«

      Obwohl niemand auf unser Rufen reagiert hatte, gedachten wir trotzdem nicht, leichtsinnig zu sein. Als erstes durchsuchten wir deshalb das gesamte Haus vom Dachboden bis zum Keller, fanden aber tatsächlich alle Räume verlassen vor. Wie es aussah, lebte hier schon seit einiger Zeit niemand mehr, was uns nur recht sein konnte.

      Wie Marion bereits gesagt hatte, war das Haus für unser Vorhaben ideal. Es lag weit genug vom Einkaufszentrum entfernt, damit wir nicht Gefahr liefen, entdeckt zu werden, auf der anderen Seite jedoch auch nahe genug, dass wir die Bewegungen der Armee des Majors beobachten konnten.

      Doch noch gab es keinen Grund zur Freude, denn bisher wussten wir nicht, ob Bane und seine Truppe überhaupt noch dort lagerten, wo wir sie vermuteten.

      »Marion und Lemmy kommen mit mir«, entschied ich deshalb. »Wir schauen beim Einkaufszentrum nach dem Rechten. Die anderen bleiben hier und sehen zu, ob sich hier etwas Essbares oder andere nützliche Dinge finden lassen.«

      Hatte ich mit Widerspruch von Marion oder Lemmy gerechnet, wurde ich enttäuscht. Zumindest im Moment schienen sie mich als Anführer zu akzeptieren, was sich aber jederzeit ändern konnte. Speziell der große Zottel schien mir derzeit wieder äußerst unberechenbar zu sein.

      ***

      Etwa nach einer halben Stunde Fußmarsch hörten wir verdächtige Geräusche. Sofort verharrten wir bewegungslos an Ort und Stelle. Die Geräusche kamen langsam näher, und uns wurde schnell klar, dass wir es mit einer von Banes Patrouillen zu tun haben mussten.

      Ich überlegte gerade, ob wir uns ein Stück zurückziehen sollten, um eine Entdeckung zu vermeiden, als die Männer die Richtung wechselten und sich wieder von uns entfernten.

      »Wir sind offenbar schon dichter dran, als ich dachte«, flüsterte ich.

      »Dann können wir ja umkehren«, gab Marion ebenso leise zurück. »Wir wissen jetzt, dass der Major noch hier ist.«

      »Wie sicher bist du dir, dass das seine Leute waren, und nicht irgendjemand anderes? Bevor ich das Lager nicht mit eigenen Augen gesehen habe, glaube ich gar nichts.«

      Das war nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich wollte ich die Gelegenheit nutzen, um vielleicht einen Blick auf Jörg zu erhaschen oder wenigstens etwas über sein Schicksal in Erfahrung zu bringen. Die anderen ging das jedoch nichts an, schließlich erzählten sie mir auch nicht alles.

      »Wenn’s denn sein muss«, gab sich Lemmy schicksalsergeben. »Dann turnen wir halt noch bissi in der Kälte rum. Aber nich’ mehr lange, hörst du? Es wird nämlich bald dunkel.«

      Ohne ein weiteres Wort setzte ich mich wieder in Bewegung. Die beiden anderen folgten mir mit ein paar Schritten Abstand.

      Ständig auf weitere Patrouillen lauschend näherten wir uns dem Einkaufszentrum immer mehr. Schließlich erreichten wir den Waldrand und blieben stehen.

      »Siehste, alles noch da«, brummte Lemmy. »Jetzt zufrieden?«

      »Ja.« Eine glatte Lüge, und ich erschrak darüber, wie leicht sie mir von den Lippen ging. Aber was sollte ich sagen? Unser heutiges Etappenziel hatten wir erreicht, wir sollten jetzt besser umkehren.

      »Ich hätte gedacht, dass sie sich zumindest schon im Aufbruch befinden«, sagte ich stattdessen, und meinte es auch genau so, wie ich es sagte. »So wie ich den Kerl kennengelernt habe und nach allem, was ihr mir über ihn erzählt habt, bin ich davon ausgegangen, dass er längst nach den Pilgern oder euch suchen würde.«

      »Das ist tatsächlich verwunderlich.« Marion nickte mit nachdenklicher Miene. »Bane hat auf mich den Eindruck eines größenwahnsinnigen Despoten gemacht, und die sind eigentlich zu allen Zeiten auch wahre Kontrollfreaks gewesen. Entweder ist er sich seiner Sache, dass wir ihm nicht entkommen können, äußerst sicher, oder es gibt etwas, was ihn aufgehalten hat.«

      »Nicht etwas, sondern jemanden.« Hoffnung flackerte in mir hoch.

      In Marions Augen sah ich, dass sie sofort dasselbe dachte wie ich: Jörg! Nur Lemmy zeigte sich weiterhin brummig und von allem unbeeindruckt. Sollte er doch, wenn er unbedingt meinte. Ich für meinen Teil hatte auf jeden Fall wieder etwas gefunden, das mich Hoffnung schöpfen ließ.

      ***

      Als wir wieder bei unserem neuen »Heim« eintrafen, war es bereits fast dunkel. Die Armee würde heute sicher nicht mehr aufbrechen. Das Risiko, dass dabei etwas schiefging, war viel zu hoch, außerdem gab es für den Major keinen Grund es einzugehen.

      Erich hatte einmal mehr seine praktische Veranlagung demonstriert und die Heizung zum Funktionieren gebracht. Ihm kam dabei zu Hilfe, dass die Heizung eine unabhängige Energiequelle hatte. Nach und nach wichen die Minusgrade aus den ausgekühlten Wohnräumen und machten behaglicher Wärme Platz. Trotzdem spürte ich deutlich, dass die Stimmung unter uns Wächtern immer noch gedrückt war. Im Moment saßen wir hier herum, waren zum Nichtstun verdammt, und keiner konnte sagen, wie lange dieser Zustand noch andauern würde. Kontakt zu den Pilgern konnten wir ebenfalls keinen aufnehmen. Thilo und die anderen Jugendlichen hatten es ein paarmal versucht, jedoch immer ohne Erfolg. Erste Sorgen machten sich breit, dass Roland, Gregor, Martin und den Kindern doch etwas passiert sein könnte. Vielleicht gab es aber auch einen anderen Grund, warum der Kontakt nicht zustande kam, aber die Hoffnung daran schwand immer mehr.

      Außerdem gab es noch eine ganze Reihe weiterer Dinge, die uns belasteten. Belinda trauerte um Levi, und auch Lemmy zeigte sich einmal mehr als unzugänglicher Griesgram, der sich vor uns allen verschloss. Aber zumindest hatten die Zankereien aufgehört, denn wir besaßen wieder ein gemeinsames Ziel.

      Die einzigen, die sich nach und nach immer mehr mit der Lage zu arrangieren schienen, waren Erich und Marion. Der blonde Hüne bestand darauf, ab morgen gemeinsam mit ihr auf Patrouille zu gehen. Bildete ich es mir nur ein, oder schien sie dieser Idee gegenüber nicht abgeneigt zu sein? Nun, sollten die beiden, das war ihre Angelegenheit, solange ihre Wachsamkeit nicht darunter litt.

      Für uns andere war es im Prinzip auch nur eine Frage der Zeit, bis sich die derzeitige Situation, die ein Stück weit an eine Art Stasis grenzte, wieder auflösen würde. Der Major würde nämlich sicherlich nicht ewig hierbleiben, und sobald klar war, in welche Richtung er aufbrach, wussten auch wir endlich wieder, was wir tun mussten. Mit ein wenig Glück konnten wir dann rasch den Pilgern in Richtung Eden folgen und uns am Ende selbst davon überzeugen, dass es ihnen allen gut ging.

      Kapitel II

      Ginkenbach ist überall

      Das tiefe Brummen wurde immer lauter. Zwei Lichtfinger versuchten, das dichte Schneetreiben zu durchdringen, wenn auch nur