Frank Baranowski

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945


Скачать книгу

ließ sich nicht ermitteln. Bekannt ist nur, dass die Chemiefabrik mehr als 500 ausländische Arbeitskräfte beschäftigte.

       Im Bau befindliche Heizzentrale des Rhumspringer Schickert-Werkes, April 1945

       (CIOS-Bericht)

       Links: Blick in das Innere, Fraktionssäulen des Schickert-Werkes Lauterberg (Foto Lindenberg)

       Rechts: Batteriezellen im Schickert-Werk Rhumspringe (CIOS-Bericht)

       Halle 3 des Schickert-Werkes Rhumspringe; die Halle 4 im Vordergrund ist im Aufbau begriffen, April 1945 (CIOS-Bericht)

      Unter ihnen 94 französische Kriegsgefangene, die unter unvorstellbaren Bedingungen im Werk arbeiteten. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es über diese unmenschlichen Arbeitsbedingungen: „Bei Ankunft des mineralhaltigen Gesteins laden fünf oder sechs Gefangene es ab. Eine harte, aber nicht gefährliche Arbeit. Dieses Erz kommt in die Halle, wo die Hochöfen stehen. Drei Kameraden, die in dieser Halle arbeiten, sind damit beschäftigt, die Hochöfen mit dem Erz und anderen nicht gesundheitsschädlichen chemischen Produkten zu beladen. Eine sehr anstrengende Arbeit bei großer Hitze. Zwei bis drei Meter lange Flammen kommen aus den Hochöfen, die auf 800 bis 900 Grad aufgeheizt werden. Das Produkt aus diesem Schmelzvorgang wird aus den Hochöfen gekippt und von unseren Kameraden mit dem Vorschlaghammer zerstückelt, wenn es erkaltet ist. Diese Stücke werden dann weiter zerkleinert und zu einem feinen Staub zermahlen. Bei jedem Abstich holen die Kameraden neun Schubladen voll dieses feinen Staubes auf Arsenbasis, der ätzend ist, die Schleimhäute verbrennt, die Augen tränen lässt und von dem man niest. Die Gefangenen arbeiten ohne Schutzmaske, erhalten weder Milch noch eine Zusatzration, während die Zivilarbeiter über all diese notwendigen Schutzmaßnahmen verfügen. Der aus dieser Bearbeitung entstandene Staub wird mit Säuren gemischt. Die Mischung kommt dann unter Hochdruck in Pressen. Die Gefangenen müssen die Pressen leeren, aus denen übel riechende Gase und ätzende Dämpfe hervortreten“.33 Eine Chronik, in der die heute noch bestehende und „verantwortlichen Handelns“ rühmende Firma sich ihrer Verantwortung stellt, steht nach wie vor aus.

       Der aufrüstungsbedingte Wandel der metallverarbeitenden Industrie

      Neben der chemischen war die metallverarbeitende Industrie im heutigen südniedersächsischen Raum stark vertreten. Eine Vorreiterrolle nahm dabei der Magdeburger Rüstungsproduzent Polte ein, der schon 1934 die Anfang der 1920er Jahre von der Stokelbusch Holzrohr AG in Bad Lauterberg im Odertal errichtete Fabrikanlage erworben hatte, um an dem Standort wiederum mit staatlichen Mitteln ein Zweigwerk zu eröffnen. Der Röhrenhersteller Stokelbusch war kurz nach der Fertigstellung der Gebäude in Zahlungsschwierigkeiten geraten und musste deshalb 1925 Konkurs anmelden.34 Das Werksgelände ging danach zu gleichen Teilen in das Eigentum der Reichsbankhauptstelle Hannover und der Magdeburger Firma Gerecke über. Bis zur Übernahme durch Polte hatten die neuen Eigentümer das Werk an die Deutsche Holzröhren AG (Deuhrag) verpachtet. Bereits 1934 begann der Magdeburger Rüstungslieferant mit dem Umbau des Fabrikgebäudes, um fortan 7,92-mm-Gewehrmunition zu produzieren. Der Betrieb, der unter dem Namen Metallwerk Odertal GmbH firmierte, nahm 1935 seine Lieferungen auf.35 Anfang Januar 1943 waren 935 Personen für den Rüstungsproduzenten tätig, und die Zahl schnellte im Laufe des Jahres drastisch in die Höhe. Ab Januar 1944 sind Belegschaftszahlen von mehr als 2.000 Personen nachgewiesen. Ende Dezember 1944 waren sogar 2.349 Arbeitskräfte mit der Herstellung von Gewehrmunition beschäftigt.36

       Arbeiter der Stockelbusch Holzrohr AG auf dem Betriebsgelände

       (Foto Lindenberg)

       Die Holzröhrenfabrik Stockelbusch, später Metallwerk Odertal (Foto Lindenberg)

       Zufahrt zum Duderstädter Polte-Werk, im Hintergrund die Feuerwache, 1992 (Sammlung Baranowski)

      Im Herbst 1938 bekundete Polte Interesse an der Ansiedlung eines weiteren Rüstungsbetriebes in der Umgebung und hatte sich dabei für Duderstadt entschieden, nachdem Verhandlungen mit der Stadt Clausthal-Zellerfeld im Harz gescheitert waren.37 Anfang Januar 1939 verlangte das RLM die Einreichung prüfungsfähiger Bauunterlagen für das Duderstädter Werk.38 Anfang April 1939 kam der Rüstungslieferant der Forderung nach und legte seinen Planungsentwurf vor. Für die Auftragserteilung setzte Polte dem RLM eine Frist bis zum 1. Juli 1939.39 Die Konzeption überzeugte und der Magdeburger Rüstungsproduzent erhielt am 23. Juni 1939 die Genehmigung, mit dem Bau der Fabrik auf Staatskosten zu beginnen.40 Noch bevor diese Entscheidung gefallen war, hatte die Stadt Duderstadt auf ihre Kosten die Stichstraße „Am Euzenberg“ zum vorgesehenen Fabrikgelände anlegen lassen.41 Im Januar 1940, als die Bauarbeiten bereits im vollen Gange waren, kam die Idee einer Erweiterung des Werkes auf. Der überarbeitete Planungsentwurf vom April 1940 sah den Bau einer weiteren Füllstelle und einer zweiten Produktionseinheit für Geschosse, Hülsen sowie Zünder vor.42 Nur wenige Wochen später verwarf die Luftwaffe die Ausbaupläne und Polte erhielt die Weisung, die Arbeiten im ursprünglich vorgesehenen Umfang zum Abschluss zu bringen.43 Im Frühjahr 1941 verließen die ersten Chargen 2-cm-Geschosse das Duderstädter Werk, doch bald kam es wegen fehlender Arbeitskräfte immer wieder zu Produktionsengpässen. Der Betrieb brachte es nur selten auf die vom Rüstungskommando geforderten Mengen.44

       Luftbild der teilzerstörten Abfüllstation des Polte-Werkes, 1950er Jahre

       (Sammlung Baranowski)

       Vor den Toren des Polte-Werkes, das „Wohnlager Am Euzenberg“, 1941

       (Sammlung Baranowski)

      Ab 1941 griff Polte Duderstadt vermehrt und im stetig steigendem Umfang auf zwangsrekrutierte Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zurück, die zunächst in acht Holzbaracken unmittelbar vor den Werkstoren einquartiert waren.45 Im Frühsommer 1942 setzte der Rüstungsproduzent sich mit seiner Forderung nach dem Bau eines Barackenlagers für 600 bis 800 Fremdarbeiter und Kriegsgefangene auf dem Fußballplatz „Am Westerborn“ durch.46 Am 27. Juli 1942 unterrichtete das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion die Stadt, „dass in den nächsten Tagen mit den Arbeiten zur Errichtung des Lagers für ausländische Arbeitskräfte der Firma Polte auf dem Fußballspielplatz in Duderstadt begonnen wird. […] Das ganze Lager, abgesehen von den Teilen, die mit Kriegsgefangenen belegt werden, wird durch einen 1,50 m hohen Lattenzaun mit darüber waagerecht gezogenen Stacheldraht, insgesamt 2 m hoch, umgeben“.47 Nach Bezugsfähigkeit der Baracken löste Polte die bisherigen Unterkünfte vor dem Werksgelände auf und verlegte die Insassen in das neu geschaffene Lager. Zusätzlich hatte Polte Räumlichkeiten im Gebäude der Möbelfabrik Steinhoff angemietet und darin weitere ausländische Arbeitskräfte, offenbar nur Frauen, untergebracht.48 Ende Dezember 1943 standen 2.424 Personen im Dienst des Rüstungsproduzenten, am 31. Januar 1944 waren es 2.487, dann sank die Zahl zum 30. Juni 1944 geringfügig auf 2.277.49 Im Frühjahr 1944 lag der Ausländeranteil bei etwa 40 %.50

       Blick auf das KZ-Außenkommando,