Gebäude nicht gegeben.110
Erst eine Serie verlustreicher Bombenangriffe auf Magdeburg vom 29. Dezember 1943 bis zum 22. Februar 1944 ließ die Firmenleitung umdenken. Es setzte ein hastiges Verlagern ein, bei dem auch Bertholds Vorschläge wieder zu Ehren kamen.111 Die Würfel fielen zu Gunsten seiner Heimatstadt Göttingen; die Forschungsabteilung sollte dort seinem Vorschlag entsprechend als eigenständige Konzerntochter fortgeführt werden. Schon Anfang März 1944 reichte die Mutterfirma Umbaupläne für das Gebäude der Göttinger Strick- und Wirkwarenfabrik Willy Schöneis in der Groner Landstr. 55 „zur Lagerung von Entwicklungsstellenwerk“ ein – gemeint wohl „Verlagerung“.112 Am 13. April 1944 wurde der Mietvertrag rückwirkend zum Monatsersten mit einer Befristung bis zum Ende der Kriegsdauer abgeschlossen. Gegen einen monatlichen Mietzins von 2.000 RM standen der ausgelagerten Forschungsabteilung dort etwa 1.400 qm zur Verfügung.113 Am 9. Mai 1944 bestätigte Klein gegenüber Berthold die Ausgliederung: „Es ist – wie Ihnen bekannt – die Verlagerung unseres gesamten Meßgerätebaus beschlossen“. Einschränkend fügte er allerdings hinzu, dass das Tempo von der Unterstützung der Behörden abhänge; die sei noch völlig ungenügend. Er könne daher nicht beurteilen, ob der „von uns mit dem 31. 12. 1944 angesetzte Termin für die restlose Verlagerung des Meßgerätebaus“ eingehalten werden könne.114
Am 7. August meldete die Grona GmbH das Gewerbe als „Metallverarbeitungsbetrieb“ in Göttingen an, doch schon am 13. Juni 1944 hatte sie ihre Arbeit in der Universitätsstadt aufgenommen.115 Am 14. November berichtete der S & B-Generaldirektor Otto Klein geflissentlich dem Leiter der „Entwicklungsabteilung Munition“, Dr. Sommer, den Vollzug der Ausgründung: „die Verlagerung unserer Entwicklungsstellen auf dem Gebiet des Höchstdrucks und Messgerätewesens nach Göttingen [ist] nahezu abgeschlossen“. Und „entsprechend den Tarnungsbestimmungen“ habe man „diese unserer Firma gehörenden Abteilungen mit dem Namen ‚Grona GmbH‘ bezeichnet, um den Vorschriften Genüge zu leisten“.116 So verbarg sich der im Rahmen der letzten Rettung tätige Rüstungsbetrieb hinter dem Ortsnamen einer sächsischen Kaiserpfalz bei Göttingen. Klein für die Magdeburger Zentrale fährt in dem Schreiben fort, „um die Kontinuität zu wahren“, solle „unser Herr Direktor Dr. Berthold, […] der Leiter der ausgelagerten Stelle“, Auftragsarbeiten vom Präsidium der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bzw. dem Reichsforschungsrat übernehmen. Das Schreiben berief sich auf „erste Geräte“, die „unsere [Magdeburger] Hochdruckabteilung an das Oberkommando der Marine und der Physikalisch-technischen Reichsanstalt abgeliefert hat“.117
Auch daran dürfte Berthold schon beteiligt gewesen sein. Die Göttinger Niederlassung erfreute sich umfassender Protektion verschiedener Instanzen der Rüstungsentwicklung. Berthold, umtriebiger und auf Eigenständigkeit bedachter Direktor der Grona GmbH, konnte sich überall auf Unterstützung des Rüstungsministeriums und die Befürwortung des Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, des Stahlindustriellen Dr. Albert Vögler, wie auch des KWG-Generalsekretärs Dr. Ernst Telschow berufen.118 Für Personal, das „u. K.“ gestellt, das heißt vom Kriegsdienst befreit oder aus dem Felde zurückgeholt werden musste, sorgte das von Werner Osenberg119 geleitete Planungsamt des Reichsforschungsrates, evakuiert nach Lindau bei Northeim, nicht weit von Göttingen entfernt.
Doch was forschte und produzierte die Grona GmbH in Göttingen mit ihren 20 bis 40 Betriebsangehörigen? Offenbar hatte die Magdeburger Firmenzentrale nicht die ganze Forschungs- und Entwicklungsabteilung mit Berthold an der Spitze und von diesem im November 1943 gewünschten Umfang nach Göttingen ziehen lassen.120 Der Grona-Direktor konzentrierte seine Firmentätigkeit – wie von Generaldirektor Kern am 14. November eingeräumt – auf die Hochdruckforschung und die Abwicklung von Aufträgen des Präsidiums der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und des Reichsforschungsrates. Fest eingebunden waren Berthold und seine Firma in das Netzwerk, das der Münchener Ordinarius für Experimentalphysik Walther Gerlach (1889 – 1979) als Leiter der Physiksparte des Reichsforschungsrats und „Bevollmächtigter des Reichsmarschalls für Kernphysik“121 aufgebaut hatte. Gerlachs zentrale Rolle bei der Entwicklung der Kernenergie in der letzten Kriegsphase zur Waffenfähigkeit, besonders als nukleare Hohlladungs-Explosivwaffe, tritt immer deutlicher zutage.122 Gerlach hatte am 1. Januar 1944 die Leitung der Fachsparte Physik des Reichsforschungsrates übernommen, nachdem sein Vorgänger Abraham Esau – nicht ohne Zutun Heisenbergs und Vöglers – bei Speer in Ungnade gefallen und 1943 abgelöst worden war.
Der im März 1937 beim Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust eingerichtete erste Reichsforschungsrat (RFR) hatte die Aufgabe, unter Zugrundelegung des „Führerprinzips“ kriegsvorbereitend die Rüstungsforschung in enger Zusammenarbeit mit der Vierjahresplan-Behörde zu fördern, zu koordinieren und ihr Wege in die ‚Bewaffnungspraxis‘ zu ebnen. Seit dem Selbstmord seines ersten Präsidenten Karl Becker 1940 war der RFR Gegenstand von Auseinandersetzungen. 1942 genügte er nicht mehr den veränderten Anforderungen des sich wendenden Krieges, wurde neu gegründet und an das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition angebunden; sein nomineller Präsident war Hermann Göring. Eine Schlüsselfunktion erhielt die vom Chemiker Georg Graue geleitete „Kriegswirtschaftsstelle“, die ab Juli 1943 „Dringlichkeitsstufen“ der Forschungsförderung vergab und so die Rüstungsentwicklung der letzten Kriegsphase steuerte. Der RFR war keine juristische Person; Verwaltung, Finanzen und Einstellungen erledigte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unter dem in Göttingen promovierten Chemiker und SS-Brigadeführer Rudolf Mentzel, ab 1930 in Göttingen NSDAP-Kreisleiter. Gerlach machte sich sofort daran, die in zahlreiche, konkurrierende Forschungszentren aufgesplitterte Kernforschung zu koordinieren und auf das Waffenziel auszurichten. Otto Hahns Entdeckung der immensen Energieausbeute durch Kernspaltung war in der Forschung sofort auf ihre Waffentauglichkeit erkannt und diversen Regierungsstellen gemeldet worden.123 1939, noch vor Kriegsausbruch, berief Reichswissenschaftsminister Rust die führenden deutschen Kernphysiker in ein Expertengremium, den „Uranverein“, der als Ziel die Herstellung eines „Uranmaschine“ oder „Uranbrenner“ genannten Kernreaktors vereinbarte. An diesem „Uranprojekt“ beteiligten sich im ganzen Reich – parallel und zugleich konkurrierend – Universitäts- und Forschungsinstitute, die drei Wehrmachtsteile mit eigens eingerichteten Laboren, aber auch das Reichspostministerium, private Institute wie das von Manfred von Ardenne und Privat- sowie SS-Firmen mit ihren Entwicklungsabteilungen.
Die Beteiligung von Hochschulen und Forschungsinstituten bot beteiligten Forschern nach 1945 die Möglichkeit, eine angeblich unverfängliche Grundlagenforschung von der Waffenentwicklung beim Militär zu trennen. Allerdings herrschte Durchlässigkeit sowohl für Informationen über Ergebnisse als auch für Karrieren. An zentraler Stelle saß der Physiker Kurt Diebner. 1934 in den Dienst Forschungsabteilung des Heereswaffenamt (HWA) getreten, war er dort im Sommer 1939 mit der Leitung des neu gegründeten Referats für Atomphysik bei der Gruppe Wa F I (Physik) betraut worden und baute eine Forschungsstelle in Gottow auf. Gleich nach Kriegsbeginn übernahm das HWA das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Physik und setzte Diebner an die Spitze des Instituts. Gegen diese aufgezwungene Besetzung mit einem Außenstehenden erhob sich Widerstand der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), nicht allerdings gegen die Neuausrichtung des Instituts auf die Kernenergie- und -waffenforschung.124 Diebner gelang es durch Berufung des renommierten Kernphysikers Werner Heisenberg zum Berater, sich als geschäftsführender KWI-Direktor zu behaupten; Heisenberg hielt allerdings in Leipzig Ordinariat und Reaktorforschung aufrecht.125 Walker fasst seine Erkenntnisse zum Berliner KWI-Team zusammen: „Heisenberg und seine Kollegen, allen voran Karl-Heinz Höcker, Carl Friedrich von Weizsäcker und Karl Wirtz, waren sich fraglos der Tatsache bewusst, dass sie sich mit der Reaktorforschung und Isotopentrennung auf dem Weg zur Atombombe befanden“.126
So wusste Heisenberg schon im Dezember 1939 geheim zu berichten, sollte es gelingen reines oder fast reines U-235 herzustellen, sei dies „ferner die einzige Methode, um Explosivstoffe herzustellen, die die Explosivstoffe um mehrere Zehnerpotenzen übertreffen“.127 Allerdings, während des ‚Blitzkrieges‘ und bis Mitte 1941 „brauchten die deutsche Wehrmacht und die nationalsozialistische Führung keine Kernwaffen. Das Interesse daran war bestenfalls zukunftsorientiert“,128 analysiert Walker. „Der Angriffskrieg schien gewonnen, das ‚Dritte Reich‘ erfolgreich auf dem Wege, dem eroberten