Bernd-Michael Hümer

Volkswirtschaft, 4. Auflage


Скачать книгу

1

      ▬ Handlungssituation

      Der Installationsbetrieb von Installationsmeister Röhrl ist in München ansässig. Mit zehn Beschäftigten auf einem Firmengelände von 1000 m2 hat er sich auf die Installation von Pelletheizungen spezialisiert. Zu seinen Kunden zählt er ausschließlich private Haushalte in der Region um München.

      Situationsbezogene Frage 1

      Welche ökonomischen Gründe haben Installationsmeister Röhrl dazu veranlasst, einen Installationsbetrieb zu betreiben?

      Güterknappheit als ökonomisches Grundproblem

      Gegenstand des Wirtschaftens sind knappe Güter, die als materielle Werte neben immateriellen Werten (z. B. Verständnis, Zuneigung, Anerkennung) dem einzelnen Menschen einen Nutzen stiften und daher durch Gebrauch (Nutzung) sein Wohlbefinden positiv beeinflussen. Güter sind daher im wahrsten Sinne des Wortes gut. Ungüter sind schlecht, weil sie das Wohlbefinden negativ beeinflussen, also Leid zufügen und z. B. krank machen. Die Knappheit der Güter beruht darauf, dass die Möglichkeiten der Güterproduktion (z. B. in Form der vorhandenen Arbeitskraft) begrenzt sind (= absolute Knappheit) und die Güterbedürfnisse (Bedarf) außerhalb der Möglichkeiten liegen (= relative Knappheit).

      Das Knappheitsproblem der Güter (Güterversorgungsproblem) ist Ausgangspunkt und steht im Mittelpunkt allen Wirtschaftens.

      Homo oeconomicus

      Das Güterversorgungsproblem oder – nach den Worten von Erich Schneider (1900– 1970), einem der großen Vertreter der deutschen Volkswirtschaftslehre – „der kalte Stern der Knappheit“ ist für uns ein Dauerproblem. Der wirtschaftende Mensch als Wirtschaftssubjekt (lat.: homo oeconomicus) und als allein vernunftbegabtes Lebewesen setzt seine Vernunft (Ratio) ein, um sein Güterversorgungsproblem bestmöglich zu lösen. Eichhörnchen lösen ihre Güterversorgungsprobleme instinktmäßig. „Bestmöglich“ heißt, mit gegebenen Möglichkeiten ein Höchstmaß an Bedarfsbefriedigung (Nutzenmaximierung) oder einen gegebenen Bedarf mit einem Mindestmaß an Möglichkeiten (Kostenminimierung) zu erreichen (ökonomisches Rationalprinzip oder kurz: ökonomisches Prinzip). Knappe Güter sind daher ökonomische Güter. Güter ohne absolutes Knappheitsproblem sind freie Güter. Ungüter sind mit einem Entsorgungsproblem verbunden.

      Situationsbezogene Antwort 1

      Installationsmeister Röhrl betreibt unter ökonomischem Blickwinkel einen Installationsbetrieb, weil er ein Güterversorgungsproblem hat, d. h., er möchte z. B. seiner Familie allgemein einen bestimmten Lebensstandard sichern oder für sich persönlich einen neuen Pkw anschaffen. Seine Unternehmertätigkeit soll ihm dazu die Möglichkeit verschaffen. Er macht sich daher Gedanken, wie er sein Einkommen über den Betriebsgewinn maximieren kann, um seinen Bedarf möglichst leicht decken zu können. Installationsmeister Röhrl hat neben dem Wunsch nach Bedarfsdeckung vielleicht aber auch den Wunsch, sich selbst zu bestätigen oder von seinen Mitmenschen anerkannt zu werden. In diesen Fällen tritt er als Wirtschaftssubjekt in den Hintergrund. Wenn Installationsmeister Röhrl bei dem Versuch, seinen Bedarf zu decken, z. B. gesundheitliche Probleme durch Überanstrengung bekommt, steht er vor einem Entsorgungsproblem, d. h., den Wunsch nach einer ärztlichen Dienstleistung gar nicht erst aufkommen zu lassen.

      Situationsbezogene Frage 2

      Warum hat sich Installationsmeister Röhrl auf die Installation von Pelletheizungen spezialisiert und was folgt daraus für seine Unternehmertätigkeit?

      1.1.2 Lösungsmöglichkeiten des ökonomischen Knappheitsproblems

      Wenn der Mensch als Wirtschaftssubjekt versucht, mit Vernunft (Ratio) sein Güterversorgungsproblem zu lösen, hat er grundsätzlich zwei Lösungsmöglichkeiten: Rationierung oder/und Rationalisierung.

      Rationierung oder/und Rationalisierung

      Von Rationierung wird gesprochen, wenn es um die Einschränkung des Bedarfs geht. Sie ist als Lösungsmöglichkeit des Knappheitsproblems wenig beliebt, allerdings schnell wirkend. Sich von Wünschen zu verabschieden, wird als unangenehm empfunden und gilt als letzter Ausweg, wenn eine Rationalisierung momentan nicht möglich ist. Lieferfristen, Bezugsscheine, aber auch eine Inflation sind z. B. Formen der Rationierung.

      Spezialisierung ist besonders wichtig

      Von Rationalisierung wird gesprochen, wenn es um die Ausschöpfung und Ausdehnung der Produktionsmöglichkeiten geht. Sie ist diejenige Lösungsmöglichkeit des Knappheitsproblems, an die normalerweise zuerst gedacht wird. Sie umfasst die Spezialisierung, die Investierung und die Ökonomisierung. Spezialisierung (auch Arbeitsteilung genannt) bedeutet, die Fähigkeiten zur Produktion, also die Produktionsfaktoren (vgl. Abschnitt 1.1.5), konzentriert und gezielt einzusetzen und dadurch die Gesamtleistung zu erhöhen (Effizienzsteigerung). Investierung ist eine besondere Form der Spezialisierung und bedeutet z. B. den verstärkten Einsatz von Maschinen, die als Sachkapital in vielen Fällen der menschlichen Arbeitskraft überlegen sind. Im täglichen Sprachgebrauch ist vor allem dieser Vorgang gemeint, wenn von Rationalisierung die Rede ist und Arbeitsplätze verloren gehen. Ökonomisierung bedeutet, zunächst einmal zu versuchen, die Produktionsmöglichkeiten voll auszuschöpfen (ökonomisches Prinzip) und nichts zu vergeuden, bevor daran gedacht wird, sie noch weiter auszudehnen. Unter allen Formen der Rationalisierung ist die Spezialisierung von besonderer Bedeutung. Es ist nicht übertrieben festzustellen, dass die Spezialisierung zusammen mit dem Güterversorgungsproblem die Dreh- und Angelpunkte des gesamten Wirtschaftens sind. Wer sie verstanden hat, verfügt über ein ökonomisches Grundverständnis, das als Weichenstellung den Zugang zum Verständnis aller ökonomischen Situationen und Probleme verschafft.

      Spezialisierung auf der Input- und Outputseite

      Spezialisierung findet beim Einsatz (Input) der Produktionsmöglichkeiten (Produktionsfaktoren) und beim Produktionsergebnis (Output) statt. Spezialisierung ist national (z. B. durch die Ausbildung zu einem Handwerksberuf) und international (z. B. in Gestalt der erdölproduzierenden Länder) anzutreffen.

      Spezialisierung führt zwangsläufig zu wirtschaftlichen Tauschbeziehungen (Handelsbeziehungen) zwischen den Spezialisten, die sich in Anbieter und Nachfrager unterteilen lassen.

      Angebot und Nachfrage durch Spezialisierung

      Jeder Spezialist befindet sich gleichzeitig in einer Anbieter- und Nachfragerrolle. Als Spezialist wird er z. B. zum Anbieter derjenigen Güter, auf deren Produktion er sich spezialisiert hat und die er in der Gesamtmenge selbst nicht benötigt. Hier steht er vor einem Absatzproblem eigener Leistung. Andererseits wird jeder Spezialist zum Nachfrager nach denjenigen Gütern, auf deren Produktion er sich nicht spezialisiert hat. Es tritt ein Beschaffungsproblem fremder Leistung auf. Werden das Absatz- und Beschaffungsproblem nicht gelöst, entsteht ein Existenzproblem durch mangelhafte Güterversorgung.

      Vor- und Nachteile der Spezialisierung

      Die Vorteile der Spezialisierung liegen gegenüber der Selbstversorgung vor allem in einer höheren mengenmäßigen (quantitätsmäßigen) Gesamtleistung pro Produktionsfaktor (Produktivität) wie auch in einer höheren Produktqualität. Sie dient damit entscheidend – wie schon beschrieben – der Rationalisierung. Nachteile der Spezialisierung sind vor allem in der größeren Abhängigkeit der Spezialisten untereinander über das Absatz- und Beschaffungsproblem bzw. Existenzproblem, in den möglichen Schwierigkeiten bei ihrer Abstimmung (Koordination) zwecks Problemlösung und in der möglichen Entfremdung von der eigenen Leistung (Problem des inhumanen Arbeitsplatzes) zu sehen. In der wechselseitigen Abhängigkeit der Spezialisten kann jedoch auch insofern ein Vorteil gesehen werden, als sie den menschlichen Gedankenaustausch (Kommunikation) erzwingt bzw. der Isolierung vorbeugt, dadurch soziale Prozesse fördert und das Gemeinwesen stützt. In den Wissenschaften kann eine fortschreitende Spezialisierung zu der Gefahr führen, immer mehr über immer weniger und schließlich alles über nichts zu wissen.

      Situationsbezogene Antwort 2