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Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31


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bzw. der Globalgeschichte, der seit einigen Jahren in den Geschichtswissenschaften diskutiert und entwickelt wird, zeichnet sich durch das Unternehmen aus, die Geschichte der Moderne in einer nicht-eurozentrischen Perspektive zu schreiben. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit sind dabei vor allem Prozesse der Verflechtung, also des entanglement, zwischen der europäischen und der außereuropäischen Welt gerückt. Dabei ist, wie Shalini Randeria und Sebastian Conrad betonen, jedoch nicht davon auszugehen, dass im Zuge der modernen Globalisierung »alles und jeder im gleichem Maße, auf die gleiche Weise und zu jeder Zeit miteinander verbunden und entangled war«61. Vielmehr ermöglicht eine globalgeschichtliche Perspektive, wie sie schreiben, »den Blick auf die ungleiche Textur und Beschaffenheit der modernen Welt, die auch als Effekt differentieller Auswirkungen der kolonialen Begegnung auf unterschiedliche Bereiche des sozialen Lebens gelesen werden kann«62. Diese Offenheit für die verschiedenen Ebenen und Formen der Verflechtung macht es möglich, dass auch Philosophiegeschichte wichtige Impulse aus dieser Erweiterung und Dezentrierung der historischen Perspektive gewinnen kann. Auch die spezifischen Abstraktionen des philosophischen Diskurses können und müssen schließlich in den Blick genommen werden, wenn es darum geht zu analysieren, inwiefern »die kulturellen und sozialen Zusammenhänge der kolonialen Epoche […] in den Produkten der europäischen Wissensordnung ihre Spuren hinterlassen«63 haben.

      Noch stets aber herrscht in der Philosophie eine eurozentrische Verengung vor. Insbesondere in der Philosophiegeschichte scheint sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Ausklammerung außereuropäischen Wissens vollzogen zu haben. »Die Idee, Philosophie habe in Griechenland begonnen« und sei ein europäisches Phänomen, kam, so Bernasconi, erst am Ende des 18. Jahrhunderts, in der damals einsetzenden Philosophiegeschichtsschreibung »zu ihrem vollständigen Durchbruch«64. Sie wurde im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zum konstituierenden Mythos des Faches und ähnelt darin den Ausschluss- und Segregationsprozessen in anderen Sozial- und Kulturwissenschaften, wie zum Beispiel der Geschichtswissenschaften, die auf einen methodischen Nationalismus festgelegt wurden.65 Dieser Prozess, so ist zu ergänzen, ging Hand in Hand mit der Disziplinwerdung von Philosophie, für die im Laufe des 19. Jahrhunderts die Abgrenzung von den Naturwissenschaften sowie von den sich formierenden Sozialwissenschaften immer bedeutsamer wurde. Die Einführung einer postkolonialen, globalgeschichtlichen Perspektive auf die Geschichte der Philosophie hängt daher aufs Engste mit der Infragestellung ihrer disziplinären Grenzziehungen zusammen.

      Wie sich am Beispiel der Lektüre von Kants Theorie der Menschenrassen zeigt, lässt sich ein Zugang zu den globalgeschichtlichen Dimensionen nämlich erst gewinnen, wenn philosophische Konzepte historisch situiert und zugleich im Kontext einer Wissensgeschichte im umfassenden Sinne gelesen werden. Erst in der Wiedereinsetzung der Texte in die inter-diskursiven Bezüge, in denen sie entstanden, werden die jeweiligen Konturen der philosophischen Interventionen sichtbar. Die Einbeziehung von Wissenschaftsgeschichte in die Philosophiegeschichte erweist sich dabei als unabdingbar, um dem Textmaterial gerecht zu werden, das sich den disziplinären Zuordnungen des 19. und 20. Jahrhunderts entzieht. Schließlich geht es, um beim Beispiel zu bleiben, nicht darum, Kants Ausführungen zu den Menschenrassen zu skandalisieren – wofür seine Stilisierung der weißen Rasse, seine Bemerkungen über den schlechten Geruch der schwarzen Haut oder die Klassifizierung der Bewohner Nord- und Südamerikas als »unfähig zu aller Kultur«66 manchen Anlass geben mögen. All dies ist Teil des kolonialen Imaginären Europas, an dem auch Kant teilhat. Der Einsatz einer postkolonialen, globalgeschichtlichen Perspektive in der Philosophie liegt demgegenüber jedoch darin, die Texte als Eingriffe bzw. als theoretische Praxen zu begreifen, die Sicht- und Denkweisen auf spezifische Art und Weise hervorbringen. Um also die Reich- und Tragweite von konkreten philosophischen Einlassungen zur Globalität und kolonialen Machtverhältnissen zu bestimmen, muss einerseits gezeigt werden, wie und wodurch diese Texte aktiv an der Formierung und Transformierung einer epistemischen Ordnung und eines kulturellen Horizonts mitwirken. Andererseits muss gezeigt werden, inwiefern diese Einlassungen mit den abstrakteren Passagen und Texten der jeweiligen Autoren systematisch zusammenhängen und sich auch dort Spuren der Verflechtung finden.67

      Dabei handelt es sich nicht um ein immanente, hermeneutisch ausgerichtete Lektüre, die einen ursprünglichen, zu verstehenden Sinn unterstellt. Ebenso wenig geht es um eine aktualisierende Lektüre, die Konflikte der Gegenwart zurückprojiziert oder umgekehrt nach Ansätzen einer besseren, »multipolaren« Moderne sucht, wie es zum Beispiel jüngst der Literaturwissenschaftler Ottmar Ette getan hat, der Alexander von Humboldt zu einem »Denker der Globalität« stilisiert, von dem er Anregungen »für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit«68 erwartet. Stattdessen könnte eine postkolonial-globalgeschichtliche Lektüre methodisch viel von der Geschlechterforschung in der Philosophie lernen, die inzwischen vielfältige Strategien der Rekonstruktion expliziter wie impliziter Bedeutungszusammenhänge entwickelt hat.69 Hier wie dort geht es nämlich nicht darum, eine neue, endgültige und bisher verborgene Wahrheit zu enthüllen, sondern darum, ausgehend von Fragen der Gegenwart philosophische Konzepte und Entwürfe einer kritischen Re-Lektüre zu unterziehen, um sich ihren Fallstricken zu entwinden. – Schließlich muss, mit Walter Benjamin gesprochen: »in jeder Epoche […] versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht sie zu überwältigen«70.

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