Seite stand, konnte ich nicht anders, als ihm mit Trotz zu begegnen, weil ich mit meinem Zustand irgendwie nicht zurechtkam. Es war ja auch sonst niemand da, an dem ich hätte meinen Frust ablassen können.
Ich glaube, ihr versteht mich, denn ihr werdet als Lebende die gleichen Fragen und Bedenken haben. Damit es euch nicht langweilig wird, erzähle ich euch am besten mal wieder eine Episode aus meinem irdischen Leben.
Ihr erinnert euch gewiss noch an Röschen, meine gutherzige Sekretärin, die auf meiner Beerdigung aufrechte Tränen der Trauer vergoss. Ich sage euch, es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden, wie abscheulich ich mit Röschen umgegangen bin, so dass ich mich noch als Jenseitiger dafür schämen muss. Wahrscheinlich habe ich damals den größten Fehler meines Lebens begangen, weil ich viel zu sehr auf mich selbst ausgerichtet war.
Na ja, ihr wisst ja bereits, dass ich zu meinen Lebzeiten kein Sängerknabe war, so dass ich euch wahrscheinlich mit nichts mehr schocken kann. Es ist wichtig, dass ihr aus meinen Geschichten lernt, damit ihr nicht die gleichen Fehler begeht.
Nun bin ich der Letzte, der euch belehren kann. Hierzu eigne ich mich wirklich nicht. Aber als leuchtendes Beispiel, wie man es besser nicht machen sollte, bin ich perfekt.
Unsere Weihnachtsfeier im Jahr 2011 sollte der krönende Abschluss eines äußerst erfolgreichen Jahres werden. Werner und ich hatten hierfür ein Restaurant der Extraklasse ausgewählt. Die gesamte Belegschaft hatte sich schwer in Schale geworfen, zumal nach dem Speisen noch der Besuch einer Edeldisco auf dem Programm stand. Aber Röschen übertraf sie an diesem Abend alle. Bei ihrem Erscheinen blieb uns allen die Spucke weg. Sie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Röschen musste wohl offensichtlich bei einem Stylisten gewesen sein. Ihr Outfit war atemberaubend. Sie trug ein schlichtes kleines Schwarzes, das ihre mollige Figur fast schlank erscheinen ließ. Ihre bequemen Leisetreter, die kein Männerherz höherschlagen ließen, hatte sie treffsicher, passend zum Kleid, gegen aufregende Highheels eingetauscht, die das kleine Persönchen mindestens zehn Zentimeter größer erscheinen ließen. Ihr liebes Gesicht strahlte jetzt eine vornehme Schönheit aus. Es war raffiniert, aber dennoch dezent geschminkt. Auch das lange blonde Haar, das Röschen im Alltag stets einfallslos zusammengebunden trug, fiel ihr heute in weichen Wellen über die Schultern. Ich konnte meinen Blick gar nicht von ihr wenden und überschüttete sie mit Komplimenten, die sie einerseits sehr genoss, ihr aber andererseits auch sichtlich peinlich waren, so dass sie hierbei öfter errötete und verschämt zur Seite blickte.
Röschen war nun einmal ein sehr bescheidener, zurückhaltender Mensch, der nicht gern im Mittelpunkt stand. Jedenfalls wich ich an diesem Abend nicht von ihrer Seite. Für mich stand fest, dass ich mit diesem scheuen Aschenputtel die Nacht verbringen würde. Hierzu musste ich meine Beute erst einmal enthemmen. In der Disco flößte ich Röschen dann einen Cocktail nach dem anderen ein. Nachdem sie schon ziemlich angeheitert war, ging ich über zum Balztanz. Das war so meine Vorgehensweise, die eigentlich immer zum Erfolg führte. Eng umschlungen schwebte ich nun mit Röschen zu schwülstiger Schmusemusik über die Tanzfläche und flüsterte ihr Worte meiner Begierde ins Ohr. Ich sage euch, das haut die standfesteste Maid aus den Schuhen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich spürte, dass Röschen am ganzen Körper vor Erregung zitterte und zu Wachs in meinen Händen wurde. Jetzt wurde es höchste Zeit, die Örtlichkeit zu verlassen, damit mir mein Opfer letztendlich nicht noch entwischte, weil es nach dem reichlichen Alkoholgenuss von plötzlicher Müdigkeit übermannt wurde. Das konnte alles passieren und mir einen Strich durch die Rechnung machen.
Werner schüttelte den Kopf, als ich mit Röschen verschwinden wollte. „Du wirst doch wohl nicht mit Röschen!“
„Halte dich da gefälligst raus, mein Alter, schließlich ist sie meine Sekretärin“, entgegnete ich genervt.
Ziemlich empört rief er mir nach: „Du gehst über Leichen, Rainer, das ist wirklich zum Kotzen!“
Werners Moralpredigten waren mir völlig egal. Er war nun einmal der Bessere, aber auch der Langweiligere von uns beiden. „Kein Wunder, dass er sich so schwer tut mit den Frauen“, dachte ich im Hinausgehen.
Jedenfalls verbrachte ich eine heiße Liebesnacht mit Röschen und kam hierbei voll auf meine Kosten. Ihr mit reizvollen Rundungen gesegneter Körper war weich und anschmiegsam. Ich muss es zugeben, es war mit Abstand das Beste, was ich je erlebt hatte. Röschen war sehr sinnlich. Sie gab mir das Gefühl der absoluten Überlegenheit. Ihr zitternder Körper drängte sich dem meinen verlangend entgegen. Jede ihrer Bewegungen erschien mir wie eine Bitte um eine sofortige Erlösung der süßen lustvollen Qual. Ich genoss ihr großes Verlangen nach der Vereinigung und fand es wunderbar, dass sie hierbei nicht fordernd wurde, sondern mir die Alleinherrschaft des reizvollen Spiels übertrug. So ließ ich sie so lange unter mir zappeln, bis ich selbst vor lauter Lust kurz vorm Explodieren war. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je ein Vorspiel derart lang hinausgezögert zu haben. Aber mit Röschen war es für mich ein Riesengenuss.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, schlief Röschen noch tief und fest. Sie sah aus wie ein Engel, unschuldig und verletzbar. Ich erwischte mich dabei, dass ich es schön fand, neben ihr aufzuwachen. Es war das erste Mal, dass es mich nicht nervte, eine Frau, mit der ich die Nacht verbracht hatte, am nächsten Morgen noch um mich zu haben. Jetzt freute ich mich sogar auf ein gemeinsames Frühstück.
Ich ging gut gelaunt in die Küche, kochte Kaffee und deckte den Frühstückstisch. Aber plötzlich wurde ich vom Teufel geritten. In meinem Kopf wüteten Attacken der bösesten Vorwürfe, die jenes zart aufkeimende Pflänzchen von Liebe auf der Stelle töteten: „Jetzt reicht es aber - höre sofort mit dieser Gefühlsduselei auf - du hast dich nicht mehr im Griff! Was ist mit deinen guten Vorsätzen? Eine feste Bindung ist nichts für dich - sie macht dich unfrei!“
Ich gehorchte dem bösen Geist und räumte den Frühstückstisch wieder ab. Der Höflichkeit wegen brachte ich Röschen lediglich einen Kaffee ans Bett und erklärte ihr hierbei ziemlich förmlich, dass ich jetzt schnellstens zu einem Termin aufbrechen müsste.
Röschen schluckte und ich bemerkte, dass es ihr schwer fiel, ihre Enttäuschung zu verbergen. Aber sie hatte sofort begriffen. Ich war ihr dankbar dafür, dass sie kein großes Trara darum machte und der vergangenen Nacht offensichtlich nicht allzu viel Bedeutung beimaß. Während ich ihr ein Taxi bestellte, zog sie sich rasch an und begegnete mir ebenso förmlich, wie ich es ihr gegenüber tat. An der Haustür drehte sie sich noch einmal um, sah mit ihren großen blauen Augen direkt in die meinen und erwähnte abschließend: „Ich möchte Sie noch um eines bitten, Rainer.“ Sie siezte mich wieder. „Das Mädchen lernt schnell“, dachte ich voller Erleichterung, nicht ahnend, was jetzt kam.
„Nennen Sie mich bitte nicht immer Röschen, das klingt einfach respektlos. Mein Name ist Rosemarie!“
Bums - das hatte gesessen. „Röschen“ klang für mich ganz und gar nicht respektlos, sondern eher liebevoll. Mir war schon klar, dass sie mit ihrer diesbezüglichen Entscheidung künftig jegliche Vertrautheit, die über unsere Arbeit hinausging, ausschließen wollte. Nun, ich war gekränkt und wusste nichts zu erwidern. An diesem Tag plagte mich wirklich das schlechte Gewissen. Ich schämte mich für meine Verantwortungslosigkeit. Aber letztendlich war ich davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Alles andere hätte zu einer tieferen Beziehung geführt - und das wollte ich nicht.
Nie wieder erwähnten Röschen und ich ein Wort über die besagte Nacht. Wir verbannten sie einfach aus unserem Gedächtnis und machten arbeitsmäßig weiter wie bisher, allerdings mit einer sich hieraus ergebenden Konsequenz - aus dem naiven „Röschen“ wurde „Rosemarie“, die Respektperson.
*
„Bereust du dein Vorgehen?“
„Ach, du schon wieder!“
„Ja, ich schon wieder. Bereust du nun dein Vorgehen?“
„Irgendwie schon! Mit Röschen hätte ich wohl einen guten Fang gemacht. Ich glaube, mit ihr wäre ich glücklich geworden. Aber ich hatte Angst, mich zu binden und hierdurch unfrei zu werden.“
„Wer Angst vor Bindung hat, der ist unfrei!“
„Das kann ich so nicht sehen. Ich konnte