Ruth Reuter

Weihnachtlich glänzet der Wald


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glaub’ ans Christkind.

      Und erregt ist er auch schon. So erregt, dass er nicht auf das Kabel der Lichterkette achtet. Mit dem rechten Fuß bleibt er am Kabel hängen. Während er nach Halt sucht, macht er eine Vierteldrehung. Ihn entkommt ein überraschtes Oh. Schließlich kriegt er den Baum zu fassen, der ihm natürlich keinen Halt bietet. Mit einer weiteren Vierteldrehung und einem kleinen Schmerzens- und Schreckensschrei stürzt er zu Boden. Da liegt er nun auf dem Rücken, den Baum auf der Brust. Ein Strampeln und Fuchteln bis der Baum zur Seite rollt. Ein Griff an den Hals. Dort steckt der Weihnachtsstern. Erschrocken reißt er den Stern aus dem Hals. Blut sprudelt aus dem Loch im Hals. Was für ein Treffer! Genau in die Halsschlagader. Röchelnd versucht er die Wunde mit seinen Fingern zu verschließen.

      Liebling … Schatz … Rettung …

      Ich geh’ die Kexerln verteilen.

      Rasch schlüpfe ich in meine Kuschelweste und in die Holzschlapfen, schnappe die Wohnungsschlüssel und drücke mir den Wäschekorb mit den Kexerltellern an die Hüfte. Schon fällt die Tür ins Schloss. Vom Gang her ist nichts zu hören. Ich mag ihn nicht leiden sehen.

      Es dauert ein bisserl bis Frau Schwartz öffnet. Nun ja, die gute Frau ist immerhin 87 und nicht mehr so gut zu Fuß. Schöne Weihnachten, Frau Schwartz. Ein paar Kexerl für Sie. Ich bitt’ Sie, ist doch eine Kleinigkeit. Die Lebkuchen müssen S’ gleich probieren. Extra mit Maiwipferlsirup gemacht. Das ist gut gegen Ihren Husten. Ach leider, Frau Schwartz, keine Zeit, ich muss ja noch mehr verteilen, und mein Mann wartet ja auf mich. Morgen komm’ ich gern auf ein Tratscherl vorbei. Natürlich.

      Frau Donnerbauer öffnet schneller. Hinter ihr ducken sich die beiden Kinder. Erleichterung in den Gesichtern. Es ist nicht der Vater. Frohe Weihnachten, Frau Donnerbauer, Ihnen und Ihren Kindern. Und hier ein extra Packerl mit Rumkugeln für den Gatten. Ich weiß, ich weiß. Wäre gern etwas geblieben, aber der Branntweiner sperrt heut’ früher zu. Auf die Rumkugerln schlaft er sicher bald ein. Und für Sie extra eine Salbe, die hilft bei Blutergüssen. Nochmals schöne, ruhige Weihnachten.

      Herr Wittich, Sie alter Grantscherben. Wie geht’s denn heut’? Heut’ tut alles weh? Oje. Na, trotzdem schöne Weihnachten. Lassen Sie sich die Vanillekipferln schmecken. Macht gar nichts, dass Sie mich nicht reinbitten, mein Mann wartet eh auf mich.

      Doktor Lander, heuer gar nicht in Thailand? Ach, wegen den Unruhen. Da werden die Kinder im Waisenhaus traurig sein, wenn’s heuer keine Geschenke bringen. Ja, richtig, dafür gibt’s ja die Post. Und skypen tun S’ mit ihnen. Schön. Zum Trost wegen des fehlenden direkten Kontakts bring’ ich ein paar Zitronensternderl. Übrigens die Punkterln im Guss sind Brennnesselsamen. Die bringen so richtig Kraft in die Lenden. Nein, nein, Sie müssen sich nicht revanchieren. Würd’ mich schon freuen, wenn Ihnen die Kexerln schmecken. Selige Weihnacht’, Herr Doktor.

      Alle Kexerln losgeworden – und eventuell auch mehr. Fühl’ mich gleich gar nicht mehr so marod. Jetzt muss ich zu meinem Schatz. Was ist denn das für ein Lärm? Sanitäter?

      Wo wollen S’ denn hin?

      Tür Nummer 15. Ein Unfall.

      Aber, aber, das ist meine Wohnung!

      Mit zitternden Fingern sperre ich auf, stürze ins Wohnzimmer. Wo ist er, der zache Hund! Schafft der es glatt zum Handy und ruft selbst die Rettung. Da liegt er.

      Jessasmariaundjosef!

      Jetzt ist auch das Schlafzimmer mit Blut vollgeschmiert. Meine Beine knicken ein. Ein Sanitäter stützt mich, führt mich in die Küche, setzt mich hin. Der andere Sanitäter beugt sich über meinen Mann, um den Puls zu fühlen. Während mich ein hysterischer Lach-Wein-Krampf überfällt, kommt der andere Sanitäter in die Küche, schüttelt fast unmerklich den Kopf.

      Geschafft! Ich bin erleichtert.

      Eine Stunde später sitze ich Chefinspektor Garner gegenüber. Routinesache, muss leider sein. Eindeutig ein Unfall, ein seltsamer. Dass ein Feuerwehrler so unvorsichtig ist. Sollte wohl eine besondere Bescherung werden. Tränen laufen über meine Wangen, meine Lungen schmerzen vom unterdrückten Lachkrampf. Meine Finger sind krampfhaft ineinander verschränkt. Der Chefinspektor reicht mir ein Taschentuch. Ich krieg’ den blöden Ehering nicht vom Finger.

      Wolln S’ net lieba woanders übernachtn? Wegen da Sauerei. Ist ja net grad g’schmackig. Ganz im Gegenteil zu Ihrn Kexerln. Wirkli köstlich. Wenn er den Baum a Stückerl weiter links gstellt hätt’, des Kabel ordentlich am Boden fixiert hätt’. So woa des a Stolpafall par excellence. Jojo, waun des Hirn obee rutscht. Wolln S’ net vielleicht do bei einer Nochbarin? Versteh, versteh, denen wolln S’ net de Weihnacht’ vaderbn. So guate Kexerln oba a.

      Endlich alleine. Ganz hinten in der Schublade müssten sie sein. Ganz bestimmt. Ah, da!

      Chefinspektor Garner wirft einen letzten Blick zurück, bevor er im Zivilstreifenwagen zum nächsten Weihnachtsunglück braust. Leichtes Schneetreiben für die perfekten Weihnachten. Schnee am Weihnachtsabend in Wien. Ein Wunder. Sieht hübsch aus. So friedlich.

      Schau, a Glitzern im Fenster do obn. Wia von an Sternspucka. De oarme Frau. Hoffentli draht S’ net durch. I glaub’, i schau murgn noch iha. So guate Kexerln oba a.

Bermudadreieck:Bereich in der Inneren Stadt mit zahlreichen Lokalen
Branntweiner:kleines Lokal, in dem man Schnaps, Wein etc. kaufen kann
brocken:pflücken
dastess’n:stolpern, oft mit tödlichem Ausgang
Grantscherben:Mensch, der ständig und grundlos schlecht gelaunt ist und alles negativ sieht
Haberer:Freund, Kumpel
Holzschlapfen:Holzpantoffeln
Luster:Deckenleuchte
Maiwipferlsirup:Sirup aus frischen, jungen Tannen- oder Fichtenspitzen, der im Mai angesetzt wird und gegen Husten hilft
marod:niedergeschlagen, erschöpft, krank
Öffi:öffentliche Verkehrsmittel
Quiqui:der Tod
Schanigarten:Gastgarten vor einem Lokal
Sternderl:kleiner Stern
Sternspucka:Sternspucker, Wunderkerze
Tratscherl:Plauderei
zach:zäh, widerstandsfähig

       3. PLATZ

      Detlef Seydel

       Krawall im Bösendorfersaal

      … ihr später Hilfeschrei wurde als

      erwartbarer Schlachtruf abgetan.

      Es hatte geschneit in der Nacht. Dann waren die satten Winterwolken nach Westen abgezogen und Wien leuchtete an diesem Montagmorgen des 21. Dezember 1908 wie zwischen einem blauen und einem weißen Spiegel.

      Arthur spazierte die Herrengasse hinunter, ließ seinen Stock nach Dandyart rotieren und schlug mit Schwung den Schneemännern, die am Gassenrand Spalier standen, die Karottennasen weg. Aus den Schornsteinen stiegen dünne Rauchsäulen. Der Geruch von Kaminbrand verfing sich in Arthurs Schnauzbart zwischen den Eisperlen. »Abends, 8 Uhr, wird das Rosé-Quartett im Bösendorfersaal ein Abonnentenkonzert geben«, hatte auf gelben Plakaten an den Litfaßsäulen gestanden. Von Schönberg sollte das neue Streichquartett mit Gesang zur Uraufführung kommen. Arthur war kein Abonnent; aber lächelte er dem Kassenmädchen zwischen die Grübchen, bekam er trotzdem einen Platz. Arthur war nicht einmal Musikliebhaber, schon gar kein Musikkenner. Arnold Schönberg war für ihn aus ganz anderem, als einem kunstgenießerischen Grund wichtig. Arthur spekulierte wieder auf einen Tumult. Auf einen, bei dem die adligen Damen von ihren Sitzen springen, sodass ihre Perlenketten am Dekolleté hüpfen. Und sich das Kreischen ununterscheidbar zwischen die skandalös schrägen Töne, dem Quietschen und Wimmern von Geigen, Bratsche und Cello mischt. Das Skandalkonzert im vorigen Februar hatte ihm, dank Schönbergs Erster Kammersymphonie, immerhin eine schwere Gold- und fünf Perlenketten sowie zwei Diademe eingebracht.

      An der Vormittagskasse des Palais Liechtenstein