in jeder Fabrik, in jedem Krankenhaus, in jedem Kino wurden Heizer benötigt – ein Heer von Heizern war in der DDR beschäftigt. Natürlich musste nicht überall acht Stunden lang geheizt werden, sodass es für manchen Heizer auch gemütliche Lesestunden im warmen Kabuff gab. So gab es keine Arbeitslosen in der DDR, aber die Wirtschaft musste daran bankrott gehen.
Schneemänner, die wir Kinder im Winter im Garten bauten, erhielten als Nase eine Möhre ins Gesicht gesteckt, ihre Augen, Zähne und Jackettknöpfe jedoch bestanden aus Kohlestückchen, die als Abfall in jedem Haus vorhanden waren. Womit dekorieren heute die Kinder ihre Schneemänner? Wir nutzten Kohlestückchen auch gelegentlich zum Zeichnen auf hellen Mauern. „Kohle“ wurde auch im Volksmund zum Inbegriff von Geld. Holzkohle war in der DDR noch Mangelware, aber das Grillen im Garten war damals noch kein so weit verbreiteter Sommersport wie heute, weil es erstens manchmal am Grillgut, zweitens am Grillgerät und drittens am Grillstoff mangelte.
C WIE CHEMIE
Stolz war die DDR auf ihre Chemieindustrie! „Plaste und Elaste aus Schkopau“ war ein bekannter Werbespruch oder „Chemie bringt Brot, Wohlstand und Schönheit“. Das Chemiedreieck zwischen Leuna/Merseburg, Bitterfeld und Wolfen war die Region, in der sich diese Industrie konzentrierte. Es war jene Gegend, in die sich kein Tourist verirrte. Sie galt als hässlich und vergiftet.
Die Grundlagen für diese Industrieregion waren bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelegt worden, aber die DDR baute erfolgreich darauf auf. In den 1960er Jahren begann der Siegeszug von Plasteprodukten, der traditionelle Materialien verdrängte und die DDR-Wirtschaft unabhängiger vom Ausland machen sollte. Haushaltsgeschirr bestand aus Plaste statt aus Keramik, Blech, Aluminium, Leder oder Glas. Holzgriffe an Bestecken wurden durch Plastegriffe ersetzt. Schüsseln und Trinkbecher aus Plaste kamen in Mode. Küchenmaschinen wie Käsereibe erhielten wenigstens das Gehäuse aus Plaste. Am Anfang oder lange noch fanden das viele schön, weil es leichter und pflegeleichter war. Andere empfanden es mit der Zeit als unästhetisch, und die Haltbarkeit war geringer. Auch Spielzeug wurde auf Plaste umgestellt. Niemand fragte damals nach den giftigen Weichmachern, die es vielleicht enthielt. Der Niedergang des traditionellen Holzspielzeugs ging damit Hand in Hand. Wir suchten für unsere Kinder bald mühsam nach guten Holzspielwaren. Auch an Werkzeugen und Maschinen machten sich Plasteteile breit. Die Griffe von Schraubendrehern wie die Lenkervorbaue an Fahrrädern waren jetzt aus Plaste. Ebenso verdrängten Kunstfasern die klassische Baumwolle. „Dederon“ (aus den Buchstaben DDR gebildet) gehörte dazu oder „Präsent 20“. Einkaufsbeutel, Küchenschürzen, Oberhemden aus Dederon oder Polyesterfasern – auch hier galt: anfangs praktisch und begehrt, weil pflegeleicht, doch bald suchten viele Menschen wieder die alten Materialien, weil die Kunstfasern für die Haut des Menschen unangenehm waren oder als unästhetisch empfunden wurden. Auch in der Bauwirtschaft fanden Plasteprodukte Einzug: Plastefliesen statt Keramikfliesen, PVC-Fußbodenbeläge statt Holzdielen, Fensterjalousien und Wandverkleidungen aus Plaste statt aus Holz, Boote aus Plaste statt aus Holz und anderes.
Dieser Siegeszug der Chemie über die Natur war kein auf die DDR beschränktes Phänomen. Es besteht weltweit noch heute und hat inzwischen etwas mit dem Weltmarkt zu tun, hat sich sogar noch verstärkt. Aber in der DDR wurde er politisiert und ideologisiert und als „Fortschritt des Sozialismus“ instrumentalisiert. Das Staatsmonopol über die gesamte Warenwirtschaft hatte zur Folge, dass sich der Kunde nicht zwischen Produkten aus Natur oder Chemie entscheiden, sondern nur das kaufen konnte, was die Mangelwirtschaft überhaupt anbot. Natürlich gab es gute, preiswerte und wirksame Arzneimittel aus Chemie, und nicht alles ist schlecht, was aus Plaste besteht. Aber typisch für die DDR war der Ersatz des guten alten handwerklich Gefertigten durch das industriell minderwertig Hergestellte, die Verdrängung von Qualität durch ständiges Einsparen und nicht zuletzt der Verlust des Schönen. Die politische Ursache dafür war die wirtschaftliche Zerstörung des Mittelstandes.
Den Namen „Chemie“ trugen etliche Fußballmannschaften der DDR. „BSG Chemie Böhlen“ klang ja noch erträglich, vergleichbar wären Namen wie „Braunkohle Borna“ oder „Glas Jena“ gewesen.
Eine spezielle Form der Chemisierung erlebte die DDR-Landwirtschaft. Neben synthetischen Düngemitteln wurden in den Chemielabors der DDR zahlreiche Gifte entwickelt, die in großen Mengen in die Natur gebracht wurden. Felder und Obstplantagen wurden großflächig, zum Teil von Flugzeugen aus, besprüht, manchmal bis zu dreißig Mal im Jahr. Dabei gab es weder ein Maßhalten noch unabhängige Kontrollen noch eine Öffentlichkeit, die auf entsprechende Gefährdungen für Mensch und Tier hinwiesen. In der Schlussphase der DDR fand auch dieses Thema Eingang in die regimekritischen Beiträge zum Umweltschutz. Bekannt ist das Holzschutzmittel „Hylotox“, das jahrelang bedenkenlos im Handel zur Bekämpfung von Holzwürmern verkauft worden war und später heimlich aus dem Verkehr gezogen wurde.
Zu den Schwächen der DDR-Chemie gehörte das Kapitel „Farbe“. Es gab zwar Farben zu kaufen, aber ihre Farbkraft und Qualität konnten mit dem Weltniveau anderer Länder, vor allem der BRD, nicht mithalten. DDR-Farben wurden deshalb bald zum Schimpfwort, die Farblosigkeit (das Grau) der DDR wurde eines ihrer Hauptkennzeichen, und die Entwicklung der Farbfotografie in der DDR blieb hinter jenem Weltniveau chancenlos zurück. Farbfotos wie überhaupt Farbe brachte erst die Wende in unser Leben.
Im Übrigen wurde der DDR-Kunststoff wirklich „Plaste“ genannt, während er im Kapitalismus „Plastik“ hieß!
D WIE DEMONSTRATIONEN
Zwei Staatsfeiertage in der DDR waren für Demonstrationen vorgesehen: der 1. Mai – der „Internationale Kampftag der Arbeiterklasse“ für die gesamte Bevölkerung – und der 7. Oktober – der „Republikgeburtstag“ für die Paradetruppen der NVA. An diesen beiden Tagen und nur an diesen beiden Tagen demonstrierte das gesamte Land seine ideologische Geschlossenheit.
Zum Maiumzug war ein Großteil der Bevölkerung auf den Beinen. Es gab kein Gesetz, das die Teilnahme an den Demonstrationen vorschrieb, aber es herrschte entsprechender Psychoterror. Wer nicht an der Demonstration teilnahm, stellte sich als Staatsfeind bloß. Die Teilnahme wurde gruppenweise organisiert und kontrolliert – Schulklassen, Arbeitskollektive, gesellschaftliche Organisationen traten möglichst geschlossen an. Vornan zog die Blasmusik zu Fuß und auf einem Pferdewagen, es folgten die politischen Notabeln, dann die Werktätigen der Betriebe, die Verkäuferinnen von Konsum und HO, dann die LPG-Bauern, schließlich die Schulklassen, letztere in Pionierkleidung. Natürlich wurden rote Fahnen und DDR-Fahnen vorangetragen, die Kinder schwenkten kleine Papierfähnchen. Die Häuser mussten geschmückt werden, vor allem an der Demonstrationsroute. Dafür wurden kostenlos Fähnchen verteilt, auch junge Birken, mit denen das Hoftor geschmückt werden konnte. Die offiziellen Gebäude trugen Transparente, wie sie auch im Demonstrationszug mitgeführt wurden. Ihre Losungen waren von der Partei vorgeschrieben, eigene Formulierungen wurden nicht geduldet: „Es lebe die DDR und die unverbrüchliche Freundschaft mit der Sowjetunion!“, „Für Frieden und internationale Solidarität!“, „Es lebe die Waffenbrüderschaft mit der ruhmreichen Sowjetarmee!“, „Für eine glückliche Zukunft der Menschheit in Frieden und Sozialismus!“, „Nieder mit den Kapitalisten!“, „Es lebe der Fünfjahrplan!“, „Alle Macht der SED!“, „Für höchste Erträge und vorzeitige Planerfüllung!“ Die Betriebe und die LPG schmückten Lastwagen mit ihren Produkten: Maschinen, Früchte, Produkte. Aufstellung war um neun Uhr auf dem Aufstellplatz, der Zug setzte sich um zehn Uhr in Bewegung, erreichte um elf Uhr sein Ziel im Zentrum, wo eine Kundgebung stattfand. Die Rede dort war für Klein und Groß zum Erbrechen langweilig – die politischen Phrasen der Partei wurden Jahr für Jahr rituell wiederholt. Nach dem Ende dieses offiziellen Teils gab es im Gasthof Freibier und Bockwurst auf Gutschein für die, die an der Demonstration teilgenommen hatten. Allgemein endete der Tag mit kollektivem Besäufnis. Es war das einzige Mal im Jahr, dass ich meinen Vater besoffen nach Hause heimkehren und seinen Rausch ausschlafen sah.
Die Teilnahme an der Demonstration machte den Kindern der niedrigeren Klassen Spaß, denen der größeren Klassen nicht mehr. Den Erwachsenen machte es insofern Spaß, da es ein arbeitsfreier Tag mit Freibier war und der Möglichkeit, Freunde zu treffen.