Raimund August

Auf der anderen Seite der Schwelle


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Kunzmann.“

      Der Schließer sah die beiden kurz an, hakte deren Anwesenheit in der Kladde ab und der Kalfaktor warf die Türe zu. Schloss und Riegel krachten fast gleichzeitig und beide atmeten erleichtert auf .

      „Das nächste Mal meldest du“, wandte Totila sich an den Freund.

      Der nickte. „Aber das war jetzt wohl ’ne Zählung. Mich interessiert, ob die uns irgendwas zu essen geben …“ Und wieder hörten sie nach einiger Zeit auf dem Gang draußen Schritte die sich näherten. Beide standen horchend in der Zelle, als wieder Schloss und Riegel krachten.

      Was woll’n die denn jetzt noch von uns, dachte Sebastian und begann angesichts eines Wachtmeisters auch gleich mit der Meldung: „Zelle 25 belegt mit zwei Strafgefangenen …“ Der Wachmeister winkte ab. „Hab’n Se alle Sachen bei sich?“

      „Welche Sachen?“

      „Na was Se am Leibe tragen“, gab der Wachmeister in nicht gerade freundlicher Stimmung den beiden zu verstehen.

      „Ja klar, haben wir alles.“

      Auch Totila blickte kurz an sich hinab und nickte. „Alles da.“

      „Dann kommen Se“, und der Wachmeister winkte dazu mit dem Schlüssel.

      Die beiden Neuzugänge traten durch die Tür auf den Gang.

      „Bleiben Se stehen.“, vernahmen sie hinter sich die Stimme des Wachmeisters, der noch die leere Zelle abschloss. Und dann wieder: „Gehen Se!“

      „Hierher kommen wir nicht mehr zurück“, murmelte Totila, als beide nebeneinander den langen Gang entlang und an den Zellentüren vorbei liefen.

      Dann ging’s durch Gittertüren hinaus auf den Hof.

      „Nach links“, hörten sie die Stimme hinter sich und folgten der Richtung über den weiten Hof, in dessen Mitte in einem Rechteck Rasen wuchs. Dahinter und rechts daneben flache weißgetünchte Werkstattgebäude mit hohen Fabrikfenstern und ein Stück weißer Zuchthausmauer mit Glasscherben oben auf der Schräge. Darüber erhob sich noch ein mit einem Posten besetzter Wachturm.

      „Weiter nach links“, hörten sie wieder die Stimme des Wachtmeisters. Sie steuerten auf ein zweistöckiges auch wieder weißgetünchtes Gebäude zu.

      „Dort durch die Tür“, vernahmen sie die leicht mürrische Stimme hinter sich, „da geben Se dann Ihre Sachen ab und werden eingekleidet.“

      Eingekleidet. Was für ein Wort, ging es Sebastian durch den Kopf. Auch Tote werden eingekleidet. Es ist zwar kein Totenhemd das man uns hier verpassen wird, sondern bloß eine Zuchthauskluft, in die wir für viele Jahre gesteckt werden. Man kleidet sich nicht, man wird gekleidet. Es ist das der Begriff für eine Uniform …

      Sebastian und Totila traten durch eine halb offen stehende Tür: Dort empfing sie ein langgestreckter Raum mit hohen Regalen an den Wänden, vollgestapelt mit diesen blassblauen zerschlissenen Anstaltsklamotten, die sie schon an anderen Häftlingen gestern Abend am Fenster und auch am Kalfaktor gesehen hatten. Durch den Raum reichte ein langer mit Eisenblech beschlagener Tresen, hinter denen Gefangene, in eben dieser uniformen aber nicht ganz so abgewetzten Zuchthauskleidung, anderen Neuzugängen oft arg zerschlissene Sachen zuwarfen: Jacken, Hosen mit diesen eingenähten breiten gelben Streifen an Ärmeln, am Rücken und an den Hosenbeinen. Dazu Hemden ohne Kragen, lange Unterhosen, klobige Holzschuhe, total zerstopfte Strümpfe, eine runde Stoffmütze, auch mit eingenähtem gelben Streifen. Je eine graue speckige Decke wie sie die von der Spreestraße her schon kannten. Essschüsseln aus Aluminium, ebensolche Becher sowie Löffel. Hölzerne Zahnbürsten, Zahnseife, Seife, dazu Seifenschachteln aus Zelluloid und nicht zuletzt auch je ein Paar Schlappen für den Aufenthalt in der Zelle …

      „Na zumindest gibt’s hier Seife und Zahnbürste“, murmelte Totila.

      „Und Handtücher“, ergänzte Sebastian.

      ´Die beiden Freunde mussten noch warten und sahen so der Verteilung dieser anstaltseigenen Habseligkeiten zu. Ein richtiger kleiner Berg den ein Gefangener da zusammenraffen und dann eine hölzerne Treppe hoch ins Obergeschoß schleppen musste. Von dort kamen Neuzugänge, im Gegenzug bereits in Zuchthausuniformen, dazu diese schweren Holzschuhe an den Füßen, runde Stoffmützen auf dem Kopf, die Treppe heruntergepoltert, mit dem Deckenbündel in den Armen in das Schüssel, Trinkbecher und die anderen Utensilien gewickelt waren.

      Schließlich kamen auch sie an die Reihe. Die hinter’m Tresen taxierten die beiden kurz und warfen ihnen dann aus den Regalen Jacken, Hosen, Hemden Unterhosen und Decken zu.

      „Schuhgröße?“

      „Dreiundvierzig“, sagte Sebastian.

      „Einundvierzig“, antwortete Totila.

      Dann bumsten auch schon zwei Paar ziemlich abgelaufene Holzschuhe auf den Tresen.

      „Abgelatscht ist doch gut“, sagte Sebastian, dem es besonders vor diesen unförmigen Botten grauste, „dann sind die nicht mehr so schwer wie ganz neue.“ Zum Schluss klatschten noch zwei Paar ziemlich abgelederte Schlappen auf den Tresen.

      Dann gingen auch die beiden mit ihren Bündeln hintereinander über die Holzstufen nach oben.

      Und wieder polterten ihnen von dort neu ausstaffierte Leidensgenossen entgegen. Neben Totila rutschte einer mit den Holzsohlen von den Stufen, konnte sich aber wieder fangen. Nur eine Aluminiumschüssel fiel aus der Decke und kollerte scheppernd von Stufe zu Stufe nach unten.

      „Passen Se doch auf, Sie Stiesel!“, wurde er prompt vom Wachtmeister angeraunzt, der diesen Dreimanntrupp nach unten geleitete. Sebastian musterte die wie zu einem Mummenschanz verkleideten Gestalten im Vorübergehen.

      „Hast doch Oogen im Kopp“, bullerte dann auch der Wachtmeister, der die beiden Freunde nach oben führte.

      „Die seh’n alle wie Vogelscheuchen aus“, raunte Totila Sebastian zu.

      „Wo haben die das zerschlissene Zeugs bloß her?“, murmelte der.

      Oben angekommen empfing sie ein ebenso großer Raum wie unten im Parterre, mit einem ähnlichen Tresen wie dort. Regale an den Wänden voller Kartons und Schachteln.

      „Los, los umzieh’n“, wurden sie auch hier wieder von Gefangenen angetrieben.

      „Legt Eure Sachen hier hin“, sagte einer und schlug mit der flachen Hand auf eine Stelle des Tresens.

      „Wir haben doch nichts mehr“, warf Sebastian ein, „das hat man uns in der Spreestraße schon abgenommen.“

      „Na Eure Klamotten zumindest.“

      Und beide begannen sich auszuziehen.

      Der Kammerbulle zog sich indes zwei Schachteln über den Tresen.

      „Also hier“, fragte er, als die beiden halb ausgezogen vor den geöffneten Schachteln standen, „ist noch alles vorhanden?“ Dazu schob er Totila und Sebastian je eine dieser Pappschachteln zu.

      Beide bestätigten die Vollständigkeit der dort gelagerten Sachen, einschließlich Armbanduhren und Geldbörsen, deren Inhalt auf entsprechend eingerichtete Konten überwiesen worden sei, wie man ihnen mitgeteilt hatte. Auf einer Liste unterschrieben sie die festgestellte Vollständigkeit.

      Kurz danach standen sie schließlich splitternackt im Raum und kletterten nach kurzer Überwindung in die verschlissenen Anstaltsklamotten.

      Spiegel gab es natürlich nirgends, so aber konnte Sebastian sich, wenn er Totila betrachtete, gut vorstellen welch kläglichen Anblick er selbst abgab und umgekehrt: Die Hosen zu lang, die Jackenärmel zu kurz. „Ich seh’ ja um die Beine unten herum wie ’ne Friedenstaube aus“, erklärte er, indem er an sich hinabsah.

      „Friedenstaube?“, fragte Totila verächtlich und krempelte sich dabei gebückt die auch ihm zu langen Hosenbeine um. „Bist doch gerade als Kriegsverbrecher verurteilt worden.“

      „Quasseln Se nich und machen Se hin!“, trieb