Heidemarie Pläschke

Eines Tages hol’ ich sie mir!


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gut.«

      »Du auch.«

      Heute ist Donnerstag; und der Fußmarsch nach Ertinghausen in männlicher Begleitung steht auf dem Plan. Pünktlich klingeln die jungen Männer; und die Vier machen sich auf den Weg. Zunächst einmal gehen sie durch den Wildpark. Das große Gehege mit den Wildschweinen, die gerade Junge haben, ist einfach toll anzusehen. »Ach, die süßen Kleinen, die sind noch ganz gestreift, freut sich Lara, »und schaut doch mal, wie die drängeln, um bei der Mutter-Sau Milch zu bekommen.«

      Nun über den Bach mit den Forellen. »Die können mit der Hand gefangen werden«, sagt Stine. Die beiden jungen Männer stecken doch tatsächlich ihre Hände ins fließende Wasser und versuchen, einen Fisch zu schnappen. »Geht heute wohl nicht«, meint Stine, »sehen Euren Schatten. Kommt, lasst uns weitergehen.«

      Nun entdeckt Lara ein Wasserbecken in der Landschaft und ist ganz erstaunt, als Stine erklärt, dass es ein Fußtretbecken sei. Nee, so etwas hatte sie noch nie gesehen. Ist schon verlockend, aber niemand hat Lust, nach dem Wassertreten mit nassen Füßen in Socken und Schuhen zu laufen.

      »Da hinten der Wald«, sagt Stine, »das ist ein Märchenwald mit ganz vielen nachgebauten Märchen.«

      »Wirklich«, staunt Lara, »dann lass uns doch gleich hingehen.«

      »Okay«, antwortet Stine, »nach Ertinghausen sind es ‘eh nur zwei Kilometer, das schaffen wir noch.«

      Nur etwa 200 Meter in den Wald hinein und schon ist das erste aufgebaute Märchen zu sehen. »Tatsächlich«, staunt Lara«, das ist Schneewittchen mit den sieben Zwergen.«

      »Das ist aber zauberhaft.«

      Nach wenigen Schritten bestaunen sie das Märchen »Hänsel und Gretel«. Lara ist ganz entzückt und kann sich kaum trennen von diesem Anblick.

      »Ach, schaut doch mal«, ruft sie, als sie das Märchen vom »Rotkäppchen« entdeckt, »und da ist ja noch eines versteckt; das sind doch die ›Sieben Geißlein‹. Das ist so süß dargestellt.«

      Die beiden jungen Männer hatten diesen Anlagen zwar schon einmal gesehen, aber sind genau wie Stine erneut entzückt.

      Nachdem sie alles wieder und wieder bestaunt haben, verlassen die Vier den Wald, erreichen zügig die Straße und passieren nach wenigen Metern den Tunnel unter der Eisenbahn. Rechts und links wird ihr Weg von Tannenwäldern begleitet, was wieder etwas Märchenhaftes hat. Ein paar Kurven weiter liegt das Dorf Ertinghausen vor ihnen mitten im Wald und an einen Hang gekuschelt. Die wenigen Häuser sind leicht zu zählen.

      »Ach was«, lässt Lara verlauten, »die haben doch tatsächlich eine Gaststätte hier. Und das soll sich lohnen?«

      Stine erwidert, dass dort auch Zimmer vermietet werden. Dieser Ort in der Sackgasse ist ein Geheimtipp für Gestresste und Verliebte, weil sie hier ihre absolute Ruhe haben.

      Irgendwie macht der Gasthof einen urigen Eindruck. Da alle durstig sind, öffnen sie die schwere quietschende Eichentür und betreten die etwas dunkel wirkende Gaststube. Gleich rechts kommen sie an eine Theke mit Zapfhähnen vorbei und steuern auf die wenigen Tische mit Stühlen zu, die alle leer sind. »Komisch, dass keiner zu sehen ist«, wundert sich Lara.

      Aber Stine meint, dass es auf den Dörfern nicht ungewöhnlich ist, dass alle Türen offen sind und niemand in Sicht. »Hallo, ist da denn niemand?«, ruft Stine in den Raum hinein.

      Nach einer Weile schlurzt ein schon älterer Mann, der offensichtlich die Füße nicht mehr richtig heben kann, von hinter der Theke kommend in die Gaststube und grüßt mit: »Gooden Dach, wat kann ick för sei dohn (Guten Tag, was kann ich für sie tuen?)?«

      Stine fragt: »Könnt we wat to drinken hem (Können wir etwas zu Trinken bekommen?)?«

      »Wat sall dat denn sinn (Was darf es denn sein?)?«, will der merkwürdig ausschauende Gastwirt wissen.

      Stine fragt ihn, ob er Cola hätte. »Dat hebt wi (Das haben wir)«, entgegnet der Wirt brummig; und Stine bestellt vier Cola mit Strohhalmen, denn sie hat Bedenken, dass die Gläser nicht besonders sauber sein könnten und sie dann Gefahr laufen würde, Herpes zu bekommen, da sie dafür sehr empfänglich ist. »Dor möt ick mal kieken, ob dor noch Halms tou finden sünd (Da muss ich mal sehen, ob ich noch Strohhalme finde).«

      Lara, die sich sichtlich unwohl fühlt, steht das Entsetzen im Gesicht geschrieben, sagt aber nichts. Die Vier setzen sich an einen dunklen Holztisch mit Plastikblumen in einer nicht mehr ganz heilen Vase. Sie blicken etwas irritiert umher und beobachten gespannt den Wirt. Dieser trägt eine dunkle Manchester-Arbeitshose, die schon etwas mitgenommen aussieht und ein kariertes halb offenes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Seine Füße stecken in alten löchrigen Pantoffeln. Mit schlurzigen Beinbewegungen und einem Tablett mit vier Gläsern Cola drauf nähert sich dieser dem Tisch. Er stellt die Gläser, sogar mit Strohhalmen drin, auf den Tisch und fragt: »Sünd jou ut Hardegsen or anderswo her? (Seid ihr aus Hardegsen oder woanders her)«, was dieses Mal sogar die anderen Drei verstehen bzw. vermuten.

      Es entwickelt sich eine lockere Unterhaltung, die dem Wirt zu gefallen scheint.

      Stine fragt ihn, ob er denn seine Zimmer alle vermietet hätte. »Nee, vun Tog nich, för Sünabend hebt sick aber Lüe anmeld (Nein, heute nicht, aber für Samstag haben sich Leute angemeldet)«, brummelt er aus seinem unrasierten Gesicht, auf dem die Haare wie gerade aufgestanden wirken. Mit seiner befleckten alten Hose, über die sein Bauch, wie ihn fast alle Gastwirte haben, etwas rüberhängt, dem karierten Hemd, das leicht geöffnet ist und den alten durchlöcherten Hausschuhen sieht er wirklich gewöhnungsbedürftig aus. Er scheint ihre Blicke zu spüren und erklärt, dass er in erster Linie Landwirt sei und das kleine Wirtshaus nebenbei betreibt, um besser über die Runden zu kommen. Gerade wäre er noch im Stall gewesen, denn eine seiner fünf Kühe ist am Kalben. Da muss er hin und wieder schauen, ob alles okay ist. »De Stadtlü kömmt gern tou mi, denn bi mi hebt sei dat Gefeul, in ne all lang trüchleigende Tied to kummen (Die Stadtleute kommen gerne zu mir, denn bei mir haben sie das Gefühl, in eine schon lange zurück liegende Zeit zu kommen). Hier hebt se ok Rou, hört den Hahn kreien und ock mal de Kou muhen.«

      »Hier haben sie auch Ruhe, hören den Hahn krähen und auch mal die Kuh muhen«, übersetzt Stine.

      »Könnt jie dat denken, wat mi mal passeert is (Könnt ihr euch denken, was mir mal passiert ist?)?« Das hört sich spannend an; und alle wollen es wissen.

      »Dor har ick da boben een Timmer an sont junged Poor gäben. Dat Finster geiht toon Höhnerhoff. Ick go an Morgen na buten un wul na de Eees kieken förn Freustück. Da glöv ick, dat ick wier em Dröm. De Höhners harn ja Gummigaloschen an. As ich dichter bi wer heb ick seen, dat dat Eubertrekker wiern un woll von dat Leevespaar da boben, die de Eubertrekkers jümmers ut Finster rut schmetten hebt.«

      Stine lacht so sehr, dass es etwas länger dauert bis sie imstande ist, das Gehörte ihren Freunden zu übersetzen.

      »Also, er sagt, dass er mal oben ein Zimmer an ein junges Paar vermietet hätte. Das Fenster geht zum Hühnerhof. Morgens ging er in den Hühnerhof und wollte nach Eiern fürs Frühstück sehen. Da glaubte er zu träumen, denn die Hühner hatten Gummistiefel an. Als er näher gekommen war, sah er, dass es Überzieher waren und wohl vom Liebespaar da oben kämen, die die Überzieher immer aus dem Fenster geworfen hätten.«

      Schallendes Gelächter durchdringt die Gaststube; und Stine prustet immer wieder los, dass ihr schon der Bauch weh tut vom Lachen. Nun wollen die jungen Leute aber wieder zurück nach Hardegsen und verabschieden sich freundlich mit den Wünschen für viel Erfolg weiterhin.

      Aus dem Stall dringen laute Geräusche. Sie sind gerade hundert Meter gegangen, als hinter ihnen jemand ruft: »Dat Kalv, nu is dat dor und alls is gout (Das Kalb, nun ist es da und alles ist gut).«

      »Dat freit us un allet Goude (Das freut uns und alles Gute)!«, ruft Stine zurück.

      Auf dem Rückweg amüsieren sich die Vier immer wieder über den urigen Gastwirt, der irgendwie ganz speziell ist.