Pistole. Das Projektil traf Williams in die Brust und fegte ihn von den Beinen.
Shane eilte zu ihm, riss mit einer einzigen Bewegung seinen Overall entzwei und presste ihn auf die Wunde, doch das Blut quoll erbarmungslos darunter hervor. Die Brust des jungen Mannes und das provisorische Verbandszeug färbten sich dunkelrot. Aus den Mundwinkeln liefen ebenfalls kleine rote Rinnsale. Für Williams kam jede Hilfe zu spät. Sein Körper zuckte noch einige Male, dann wurde er ruhig, unnatürlich ruhig.
Shane konnte seine Tränen nicht zurückhalten, der Schock setzte augenblicklich ein. Hysterisch versuchte er, einen nicht existenten Puls zu fühlen, einen nicht existenten Atem zu spüren, doch da war nichts außer dem tiefen Brummen der Aggregate.
Erst als ein zweites Geschoss dicht neben ihm in den Boden fuhr und den Beton aufspritzen ließ, realisierte er, dass die Gefahr noch nicht gebannt war. Wagner lebte und hatte noch immer, wenn nicht sogar noch entschlossener das Ziel, Shane zu töten.
Auf einer der Treppenstufen blitzte etwas auf: die Disc. Sie musste Wagner aus der Tasche gefallen sein, als ihn Williams attackiert hatte. Shane griff danach, sprang auf und rannte los.
Der schnelle Sprint und die Unterversorgung mit Sauerstoff forderten ihren Tribut. Shane begann zu keuchen. Er wurde langsamer. Verzweifelt warf er im Laufen kurze Blicke über die Schulter, doch von seinem Verfolger fehlte jede Spur. Dann sah er unter sich eine Bewegung. Wagner rannte genau unter dem Glastunnel zwischen den Solarkollektoren hindurch.
Kapitel 17
Schwer atmend erreichte Shane die massive Stahltür zum Hotel und hämmerte mit letzter Kraft dagegen. Unverzüglich wurde ihm geöffnet und ein Dutzend Augenpaare musterten ihn besorgt.
»Fritzsch ist verletzt, er braucht Hilfe!«, sagte Shane noch, bevor ihn ein Hustenanfall durchschüttelte.
»Was ist mit Williams?«, fragte ein Sicherheitsmann besorgt. »Er wollte nach Ihnen sehen, geht es ihm gut?«
Shane schüttelte den Kopf. »Holen Sie mir einen der Verantwortlichen, schnell!«, krächzte er. »Wir haben ein Problem.«
Die Betonung seiner Worte war eindeutig und der Sicherheitsmann eilte ohne weitere Nachfrage davon. Shane ließ sich japsend zu Boden sinken, wo ihm Wasser und ein Handtuch gereicht wurden, mit dem er sich den gröbsten Schweiß aus dem Gesicht wischte. Er zitterte. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte und die Schmerzen wurden zusehends intensiver. Das Adrenalin, das bis eben noch durch seine Blutbahnen gerauscht war, verflog und hinterließ nichts außer physischer Qual. Für eine gewisse Zeit konnte der menschliche Körper jegliche äußere Einflüsse ignorieren und Kraftreserven mobilisieren, von denen man sonst nur geträumt hätte. Was danach auf einen wartete, war jedoch umso unangenehmer.
»Wie konnten Sie nur? Sie sind als Gast hier und mischen sich in Angelegenheiten des Unternehmens ein«, fauchte Amaya Ling.
Shane glaubte, nicht richtig zu hören. Ihn überkam kalte Wut. Langsam hob er seinen dröhnenden Kopf und sah ihr tief in die dunklen Augen.
Sie zuckte erschrocken zusammen und setzte augenblicklich zu einer Entschuldigung an. »Ich, äh …!«
»Ihre Anlage fliegt in die Luft, Ihr Sicherheitschef wurde niedergeschlagen und einer der Sicherheitsmänner ist tot«, resümierte Shane mit kalter Sachlichkeit. Bei der letzten Bemerkung stöhnte der Mann, der Ling herbeigeholt hatte, geschockt auf. »Und Sie wollen mir Vorträge halten? Schieben Sie sich Ihre Belehrungen sonst wohin! Ich wollte Sie warnen, Ihnen berichten, was geschehen ist, Sie vor weiteren Dummheiten bewahren, aber ich sehe, meine Unterstützung ist nicht gewollt. Wenn nur Sie davon betroffen wären, würde ich einfach nur abwarten und Tee trinken und mich dann an Ihrem entsetzten Gesichtsausdruck weiden, wenn Sie herausfinden, was passiert ist. Aber nun stehen Menschenleben auf dem Spiel!«
Er hielt nichts zurück, ließ seinem Ärger freien Lauf. Shane wusste, dass er zu hart mit ihr umsprang, doch es war ihm egal. Sollte sie von ihm doch halten, was sie wollte.
»Williams ist tot, wie konnte das geschehen?« Es war der Sicherheitsmann, der Shane von Anfang an ernst genommen hatte. Er trug einen schwarzen Anzug und ein Headset, mit dem er mit der Zentrale verbunden war. Sein Namensschild wies ihn als Martin van Holder aus: Hotelsicherheit und darüber hinaus Niederländer. Shane mochte die Niederländer, hatte sie schon immer gemocht.
»Ich weiß nicht, warum er sterben musste, aber ich weiß, wer ihn umgebracht hat.«
Shane holte tief Luft. Konnte er die Wahrheit sagen? Würde man ihm glauben? Was, wenn Ling darin verwickelt war? Er erzählte es trotzdem, darauf bedacht, nichts von der Disc oder Yusuf Bagdshira zu erwähnen. Das konnte er später noch nachholen, wenn alles vorüber war.
Mehrere der verbliebenen Sicherheitskräfte stoben auf Anweisung Martin van Holders davon, um die verschiedenen Eingänge des Hotels zu überwachen und Wagner umgehend festzusetzen. Niemand konnte wissen, was er als Nächstes vorhatte. Es war nicht auszuschließen, dass er zurückkehrte, um zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte.
»Dann war es wirklich Sabotage, den Brand meine ich«, sinnierte Ling und riss Shane damit aus seinen Gedanken. »Fritzsch hatte die ganze Zeit über recht.«
»Und Sie haben nicht auf ihn gehört«, stellte Shane kühl fest.
»Nein, doch, ja … ich wollte ihm glauben, aber es klang so haltlos. Ich wollte das Zusammentreffen nicht gefährden, weil es doch von so großer Bedeutung ist. Es stimmt, ich hätte mehr darauf eingehen müssen.« Sie ließ resigniert den Kopf hängen.
»Das hätten Sie Miss Ling, das hätten Sie«, brummte Shane.
***
Allmählich erholte sich sein Körper von den Strapazen des Kampfes mit Wagner. Sein Schädel brummte nur noch unterschwellig und das Brennen in seinen Lungen ließ langsam nach. Gemeinsam mit Ling, van Holder und dem Rest des Personals wartete er geduldig auf die Rückkehr der Gruppe um Estella. Es war ihnen gelungen, die Kollektorfläche zu durchqueren und die offene Wüste zu erreichen. Rettungstrupps hatten die völlig verstörten Gäste aufgegriffen und waren nun mit drei Jeeps auf dem Weg zurück zum Hotel.
Das Gesicht der jungen Forschungsleiterin erschien plötzlich vor Shanes innerem Auge. Hoffentlich geht es ihr gut, dachte er. Der Kampf auf Leben und Tod und die Ermordung Williams’ hatten sie vorübergehend aus seinen Gedanken verbannt, doch nun kehrte die Sorge um sie zurück.
Aus der Ferne hörte man Motorengeräusche, die immer näher kamen. Ein bis zwei Minuten noch, dann waren sie da. Sobald Estella versorgt war, wollte er mit ihr sprechen, und dann würde sich hoffentlich alles klären. Wagner würde gefasst und die Sabotage aufgedeckt werden. Um die weiteren Verstrickungen konnten sich die lokalen Behörden kümmern – sofern sich in einem Staat wie der Arabischen Republik Sahara jemand um die Belange eines multinationalen Energiekonzerns scherte.
Von der rätselhaften Disc hatte Shane noch niemandem erzählt. Ihr Inhalt würde hoffentlich Aufschluss über Wagners Ziele geben. Die Daten mussten höchst brisant sein, so brisant, dass Menschen bereit waren, dafür zu morden. Shane verschob alle weiteren Überlegungen, er würde sich später damit befassen, sobald die Verletzten in Sicherheit waren.
Das unverkennbare Rattern von Dieselmotoren drang zu ihnen herüber. Wäre die Situation nicht todernst gewesen, hätte Shanes Zeitungsartikel an dieser Stelle einen ironischen Unterton angenommen. Umweltverpestende Motoren machten sich nicht so gut für ein Unternehmen, dessen vorrangige Ziele dem Umweltschutz verschrieben waren. Indes bezweifelte Shane ernsthaft, dass er überhaupt noch einen Artikel schreiben würde, zumindest solange nicht, bis er alle Einzelheiten kannte.
Schlagartig wurde ihm etwas bewusst, an das er bisher nicht gedacht hatte. Seine Hand fuhr zu van Holders Schulter und rüttelte ihn durch. »Kontaktieren Sie die Männer in den Jeeps, schnell!«
»Was? Wieso?« Van Holder wirkte irritiert und seine Stimme wurde von dem einsetzenden Freudengeschrei der Hotelangestellten übertönt.
»Wagner könnte in einem der Jeeps sein!«, schrie Shane direkt in