ist ja hübsch … aber eigentlich ist es doch komisch, daß Menschen einander ansingen«, sagte die junge Dame mit dem Pagenkopf. »Herr Musa nannte kürzlich die Oper einen elenden Ausdruck bourgeoiser Prunksucht und hysterischer Übertreibung. Wie denken Sie darüber, Herr Dr. Wichmann?«
»Meine minder kämpferischen und genußfreudigeren Ansichten, gnädige Frau, gestehen immerhin zu, daß unsere Oper nur die Kunst einer bestimmten Gesellschaftsschicht und einer bestimmten Zeit ist – welche Kunst wäre das nicht mehr oder minder? Aber vielleicht macht sie durch die Zusammenfassung so vieler Ausdrucksformen, des Wortes, des Klanges, der Farben, nach unserem Empfinden besondere Ansprüche und stößt doch weniger tief durch zu den Wahrheiten der Seele und des Alls, als es der grandiosen Fülle und Technik ihrer Ausdrucksmittel entsprechen müßte. Dadurch wird das Aufgebot ihres Sinnenreizes für uns fraglich in seiner Berechtigung. Wir empfinden auch das Mißverhältnis in der scheinbaren Einheit, die Vergewaltigung des Wortes zugunsten der Musik, die Ablenkung vom reinen Ton durch die Schau der Farben und Körper. Was das Vollkommenste sein sollte durch die Vereinigung der Künste, wird auf einmal ein hinkendes Monstrum, das zu verspotten billig ist. Die Wurzel des Versagens ist vielleicht wirklich in der geistig-seelischen Lage der Gesellschaft zu suchen, die die Oper hervorbringt. Bei höchster Ausbildung des Technischen, bei der Herrschaft über alle Mittel fehlt uns doch der große Gegenstand, dem sie dienen könnte, und die Mittel verwirren sich dadurch in unseren Händen.«
»Sie sind also auch ein Gegner der Oper?« Die Dame mit dem Pagenkopf schien von den Ausführungen ihres Diskussionspartners befriedigt zu sein.
»Ich kann mich auch in einen Gegner meiner eigenen Beweisführung verwandeln. Wir Deutsche gehen mit zu viel Philosophie, zu viel schneidender Sachlichkeit an ein schönes Spiel heran. Die italienische Oper, auch einige unserer Mozartopern sind nun einmal dieses Spiel, das nicht mit Begriffen genossen werden kann, das Spiel einer heiteren Menschengesellschaft …«
»Wir wollen uns heute zwei Erstickende im Steingrab ansehen, Herr Doktor.«
»Das doch eigentlich nicht – wir wollen das Duett der Leidenschaft unter den Harfenklängen priesterlicher Strenge hören …«
»Nennen Sie das einen heiteren Gegenstand?«
»Sie haben mich auf einer Ungenauigkeit – einer Unvollständigkeit ertappt, gnädige Frau. Die Gesellschaft spielt nicht nur in Anmut, sie spielt auch mit der Leidenschaft, und das tut der südliche Mensch sicher unbeschwerter, unbefangener, als wir es vermögen. Darum ist die Oper in stärkerem Maße sein Element, der echte Ausdruck seiner Lebensfreude, einer Freude, zu deren Fülle auch die Anschauung vom Kampf und Tod gehört. Auch das noch in dem Spiel gelöst …«
»Also unwahr …«
»Sie werden wieder zu sachlich, gnädige Frau. Das Volk hat seinen Liebesschmerz noch immer auch im Lied hinausgesungen. Die Oper ist keine schlichte Melodie dafür, sie ist ein sehr raffiniertes und wahrscheinlich vergängliches Werk aber sie stammt doch aus demselben bleibenden Triebe.«
»Sie machen Kompromisse …«
Wichmann zuckte. »Es kann sein, daß das mein Fehler ist.«
Frau Anna Maria hatte die Diskussion mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.
»Sie werden von allen diesen Bedenken nicht beschwert, gnädige Frau?« fragte Grevenhagen sie freundlich.
»Ha nei. Ich freu’ mich einfach, weil’s mir so gut g’fällt und weil alles so b’sonders und feschtlich ischt.«
Das frische Geständnis fand allseitiges Wohlwollen und schloß die Debatte.
Die Gruppe begann sich zu bewegen und wieder in den allgemeinen Strom einzuschalten. Wichmann war für eine sehr kleine Spanne Zeit an Marions Seite; er roch den herben Duft ihres Haares und den süßen der Rosen.
»Ich glaube, daß es gleichgültig ist, was man singt oder tut wenn es nur das Ungewöhnliche ist.« Ihre Stimme war leise, ihre Lippen waren voll und schön geschwungen.
»Sie selbst sind das Ungewöhnliche, gnädige Frau, das die Sehnsucht bis zur Verzweiflung an sich zieht …«
»Ja …?« Das war wieder dieses »Ja« mit dem ausschwingenden Klang, der die Notwendigkeit alles Sprechens in Zweifel zog.
Die Klingel schrillte.
Oskar Wichmann beugte sich zum Abschied über die Hand und küßte sie ohne Scheu.
Weiter wußte er von dem Weg bis zu seinem Platze nichts mehr.
Parkett und Ränge füllten sich wieder mit Gemurmel, mit den schön gekleideten Menschen. Köpfe beugten sich, um Nummern zu suchen, zahlreiche Operngläser suchten nach Bekannten und besonderen Toiletten. Das Orchester stimmte die Instrumente für den nächsten Akt. Die Lichter verloschen, grün schimmerte der Nil in der Nacht. Amonasro suchte seine Tochter. Die Luft wehte kühl von der geöffneten Bühne in den heißen Zuschauerraum.
Oskar Wichmann fühlte die Pracht um sich, die Wärme der Menschen, das Geheimnis des Dunkels, das Singen und Klingen, aufrauschende Hochzeit der Töne. Seine Hände lagen auf der sammetbezogenen Brüstung, seine Augen faßten den Zauber der nächtlichen fremden Landschaft, schillernde Wellen, den Ausdruck der Qualen der Liebenden und drüben, fern und doch erreichbar, den Schatten Marions.
Ihre Lippen hatten »ja« gesagt. Was mehr? Was war gewesen, was sollte sein? Nichts. Nichts war als sie und dieser Augenblick. Nie sollte es enden, der Dämmerschein sollte bleiben, die Stille der Menschen, das Fliegen und Schmelzen der Töne, der Traum ohne Zeit und ohne Wirklichkeit, »… in den Schluchten von Napata …«
Verräter geworden, todgeweiht, Radames …
Wichmann verließ in der zweiten Pause seinen Platz nicht mehr. Den Kopf in die Hand gestützt, alles Äußere von sich wegschließend, wartete er, bis die Klingeln die Zuschauer zurückriefen und das Dunkel sie wieder zu Schatten werden ließ. Auch Marion war in der Loge geblieben … Felonie … Felonie.
Die Priester hatten gesprochen. Unter gleichmütigen Säulen, heiß leuchtendem Himmel, unter den Klängen der Harfen lag das Grab dunkel, aber es erstickte nicht den Sieg der Leidenschaft.
Als ein nur schwer Erwachender nahm Wichmann das Ende seines Traumes wahr. Die Stürme des Beifalls brausten, fluteten, ebbten ab und schwollen wieder an. Der Tenor dankte, er rief seine Mitspieler, der Name des Dirigenten hallte durch den Raum, und der schwarz gekleidete Mann mit den zarten Händen erschien zwischen Radames und Aida auf der Bühne und dankte mit ihnen. Die Türen der Ränge und des Parketts waren schon geöffnet. Begeisterte kamen in Hut und Mantel zurück, um sich noch einmal in den Chor des Beifalls einzumischen.
Endlich sank der eiserne Vorhang.
Das Spiel war aus.
Benommen noch von dem Festrausch dieses Abends, schritten Wichmann und seine beiden Gäste die Treppe hinab. In den Vorraum strömten kalte Winde durch die Türen, die auf- und zugingen. Die Kasse hatte verdunkelt. Die Damen nahmen die Pelze fester um sich, die Herren hatten die Handschuhe angezogen. Draußen hupten die Autos und ließen ihre Lichter spielen. Märchenhaft teure und elegante Wagen nahmen ihre Besitzer in sich auf und rollten ab.
Das Mietauto brachte drei Menschen, die noch stumm waren unter ihren Eindrücken, vor das Restaurant Hattig. Wichmann zahlte dem Chauffeur Preis und Trinkgeld. Er geleitete Frau Anna Maria und seinen Freund Casparius durch die Doppeltür, an dem von Repräsentationsbewußtsein getränkten Pförtner vorbei und hinauf in den ersten Stock. Die Eintretenden empfing gedämpfte Musik einer nicht sichtbaren Kapelle. Wenige Tische mit damastglänzenden Decken standen zur Wahl; der Kellner hielt sich in der lässig-dienstbereiten Haltung eines verkleideten Prinzen zur Verfügung. Er erkannte sofort Wichmann als den Dirigierenden und reichte ihm die Speisen- und die Weinkarte. Der Assessor nannte die Gerichte und Marken und verschwieg die Preise. Es kam eine kleine ausgewählte Speisenfolge mit Hummer und Kaviar zustande. Teller, Gabeln, zu seltsamen Blüten geformte Servietten erschienen lautlos, wie unter einem Zauberstab.
»Eugen – da ischt es aber arg fürnehm. Da müssen