das Gehege meiner Zähne.«
»Schad. Hascht du keine weitere Wochenendeinladung in der Tasche?«
»Nur so unverbindliche Redensarten – würden uns freuen, Sie wieder einmal mitzunehmen usw. Damit kann es lange dauern.«
»Das ist ungeschickt. Da müssen wir unsere gute Absicht vorläufig unausgeführt lasse. Vielleicht gibt sich einmal eine überraschende Gelegenheit.«
»Kann sein. Aber nun sag mal, wird im Kino irgend etwas gegeben, was kein totaler Kitsch ist?«
»In der Hitz würd ich die Dieta an deiner Stelle lieber abends einmal in den Vergnügungspark führen – des Mädle auf der Todesschaukel oder im Karussell, wenn ihr mit fliegende Locke schwindlig wird und ihr des Gluckse zwische’s Lache kommt – des müßt’ doch nett sein.«
»Auch eine Idee.«
Als Casparius eine Stunde nach diesem Gespräch gegangen war, setzte sich Oskar Wichmann an den Schreibtisch. Die Fenster standen weit offen. Über den Ahornbaum und das Dach der Gartenvilla gegenüber konnte man nach den Sternen sehen. Der Himmel stand in diesen Sommernächten nicht wie eine abschließende Glocke über der Erde; er war auch im Dunkeln noch von einem Leuchten bis in unabsehbare Tiefen und Weiten erfüllt. Wichmann schaute lange in die Ferne, bis er endlich zu schreiben anfing.
»Sehr verehrte gnädige Frau!«
Marion, du bist in Gefahr. Was weiß dieser Schomburg?
»Sehr verehrte …!«
Nein …
»Sehr verehrte gnädige Frau!
Wenn der Weg, den ich wähle, nicht richtig ist, so bitte ich Ihre Güte, mir zu verzeihen. Meine Absicht ist rein.«
Ich liebe dich ja, Marion. Aber die Worte, die ich hier geschrieben habe, klingen albern. Ich zerreiße den Bogen und beginne von neuem.
»Sehr verehrte gnädige Frau!
Ein Herr Bankdirektor Schomburg scheint, wie ich vertraulich erfahre, bei amtlichen Stellen hinter dem Rücken Ihres Gemahls Erkundigungen über finanzielle Angelegenheiten einzuziehen. Da ich offiziell hiervon nichts weiß, bin ich leider nicht in der Lage, Ihrem Herrn Gemahl offiziell davon Mitteilung zu machen.
Gestatten Sie mir, gnädige Frau, daß ich es Ihnen überlasse, ob und wann Sie Ihren Gatten von dem Inhalt dieser Mitteilung unterrichten oder ihm meinen Brief zur Kenntnis geben wollen.
In aufrichtiger Ergebenheit
Oskar Wichmann«
Ich liebe dich sehr, Marion.
Der Schreiber faltete den weißen Bogen zusammen, verbarg ihn im Umschlag, schloß und adressierte. Ohne Hut und Mantel ging er hinaus in die sommerliche Nachtluft, und nach einem letzten kurzen Zögernwarf er den Brief in den Kasten, aus dem ihn der dicke Ledersack des Postboten am nächsten Morgen früh sechs Uhr abholen würde. Der Brief fiel, mit kaum wahrnehmbarem Laut, Papier auf Papier. Die Zähne des Briefkastens legten sich wieder hinter den Schlitz und verteidigten das einmal übernommene. Langsam wanderte Wichmann zu seinem Haus zurück. In der Villa hinten im Garten leuchteten die Fenster, und der Hauch eines Tangos klang herüber zu dem Einsamen auf die Straße.
Was ist die Stadt in einer heißen Sommernacht? Sinnlos lächerlich erscheinen ihre Steine. Im Park girrten Mädchen, und Jünglinge schwärmten. Es war für einen jungen Mann geschmacklos und erbarmenswert, dort allein zu gehen.
Kehren wir zu dir zurück, alter hölzerner Heiliger im Faltengewand. Hast du auch geliebt, als du jung warst?
Wichmann legte sich auf die Couch und ließ die Fenster offen. Nach Mitternacht strömte endlich etwas von der Kühle herein, die mit dem leisen Wind von Seen und Wäldern kam. Die Gegenstände im Zimmer schimmerten nur in Umrissen durch die Dunkelheit. Noch lag der Brief im Bauche des Briefkastens. Morgen ging er zu ihr. Wichmann versuchte sich vorzustellen, wann er in ihre Hände gelangen könne. Vielleicht schon mit der Zehnuhrpost, wenn die Hausherrin vom Ausritt zurückkam. Oder er lag des Abends auf silberner Schale, auf einem kleinen Tisch in ihrem Boudoir. Der Schreiber hatte eine nur in seinem Gefühl begründete Gewißheit, daß Marion ihre Briefe allein und unkontrolliert empfing. Sie pflegte in ihrer Ehe gewiß nicht eine illusionslose Gemeinschaft, sondern jene letzte Entferntheit, die sie dem Gatten immer wieder als die Dame seiner großen Leidenschaft erscheinen ließ.
Marion war morgen gewarnt. Wichmann empfand eine große Erleichterung bei dem Gedanken, und er haßte Schomburg. Hast du ihm zu viel vertraut, ahnungslose Frau? Obwohl Wichmann die Erinnerung mit Heftigkeit unterdrückte, hörte er. doch immer wieder Marions Worte: »Es ist viel … den größten Teil bringe ich auf … aber es bleiben noch …«
Es waren noch zwanzigtausend Mark geblieben. Wie hoch war der »größte Teil« gewesen? Und wie hast du ihn aufgebracht, arme Marion? Mit Hilfe dieses Schomburg? Wichmann mußte feststellen, an welcher Bank ein solcher Mensch »Direktor« war. Mit einem Gurgeln, wie Wasser unter Moorerde, drang ihn das Wissen an, daß es mit der Konjunktur abwärtszugehen anfing. Vielleicht fürchteten Banken schon um Außenstände? Grevenhagen hatte die Entwicklung kommen sehen. Aber Marion, schöne Tochter aus dem Schloß der verschwenderischen Feste und Schwester eines Mannes, der mit dem Degen und mit dem Würfelbecher schnell war, was weißt du von Börse und Aktienkursen? Was weißt du überhaupt von der Welt? Du bist geschaffen, um beschützt zu werden. Was wirst du mit meinem Brief machen?
Wichmann behauptete vor sich selbst, daß er an keine Antwort, gewiß nicht an eine schriftliche denke. Dennoch durchsuchte er jeden Tag mit Spannung die einlaufende Post. Einmal entdeckte er eine unbekannte Schrift. Der Brief ohne Angabe des Absenders schien von Manneshand adressiert. Die Schrift war auffällig. Es lag ein gewollter Zug darin. Wichmann öffnete sorgfältig mit dem Briefschneider.
»Sehr geehrter Herr Dr. Wichmann!
Meine Frau und ich würden sich freuen, Sie am Freitag, dem 2. Juli, nach dem Abendessen um 8 ½ Uhr zu einem geselligen Zusammensein bei uns zu sehen.
Alfons Musa.«
Musa! Wichmann schrieb sofort die zusagende Antwort. Es reizte ihn, diesen sonderbaren Propheten kennenzulernen.
Bis zum Abend des 2. Juli 1929 hatte sich die Frühsommerhitze gebrochen. Ein lauer Regen wusch die staubigen Blätter und färbte das Straßenpflaster dunkel. Am Himmel standen die Wolken lichtgrau mit rötlichen Sonnenrändern, und die Luft drang frisch und duftgeschwängert aus Park und Gärten. Oskar Wichmann hatte den Ulster über den dunklen Anzug gezogen und bummelte durch die Straßen. Die Abende dehnten sich in der Jahreszeit hell bis zur neunten Stunde. Wichmann strebte dem Viertel zu, in dem sich nach der Aussage seines Stadtplans das ›Lange Ufer‹ und damit die Wohnung des Herrn Alfons Musa befand.
Wichmann hatte noch Zeit. Er ging an Nr. 27, dem Haus, in dem Musa wohnte, vorüber und folgte dem langsamen Dahingleiten eines Schleppkahns auf dem Kanal. Der Hund auf dem Kahn kläffte, die Männer stakten mit den langen Stangen auf den Grund und stemmten die Schulter ein, um den Kahn zu treiben. Eine Frau nahm Wäsche von der Leine ab. Das Schwerblütige und Gemächliche dieses Kahns, der doch ein großer und munterer Wanderer war, beschäftigte Wichmanns Phantasie. Was taten die Luxusjachten und schnellen Boote auf dem See? Sie blähten die Segel und jagten vor dem Wind, und des Abends in der Flaute hingen ihnen die Flügel schlaff, und sie schlichen heim. Der Kahn aber schwamm des Tages und des Nachts über die stehende, stinkende Brühe, bis er an den großen Fluß und über den großen Fluß an den Rand der Meere kam, und die auf ihm fuhren, gehörten dem Kahn ganz im Wachen und Schlafen, beim Essen und Trinken, mit ihrem Leben und Sterben. Er war für sie kein Werkzeug des Sports, er war ein Schicksal, der Schauplatz ihrer Arbeit, und wahrscheinlich lebte und liebte man auf seinen Planken mit weniger Träumen und der Wirklichkeit näher.
Als Wichmann die hallende Haustür von Nr. 27 hinter sich schloß, befand er sich in dem altertümlich großen Raum eines Treppenhauses. Die Holztreppe mit ihren flachen Stufen wand sich im Rund um einen