Susanne Zeitz

Sturmzeit auf Island


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würden“, lacht Julia.

      „Deine Mutter ist mit ihren siebenundfünfzig jung und wunderschön“, betont Michael, nimmt seine Frau in den Arm und gibt ihr einen zärtlichen Kuss auf den Mund.

      Julia lenkt ihre Aufmerksamkeit rasch auf eine Amsel, die einen fetten Wurm im Schnabel hält. Hätte sie ihrer Beziehung mit Rainer vielleicht doch noch eine Chance geben sollen?

      „Wo liegt denn der Reiterhof?“ Elin nippt an ihrem Kaffee. Vielleicht hat sie gestern tatsächlich überreagiert. Was soll schon passieren? Julia weiß von nichts und Island ist groß. „So groß auch wieder nicht, vor allem die besiedelten Gebiete nicht“, kontert ihre Angststimme.

      Julia schaut ihre Mutter leicht unwillig an. Es geht doch hoffentlich nicht schon wieder los?

      „Ich fliege bis Keflavik. Unser Hotel ist in Hafnarfjördur. Von dort aus unternehmen wir Tagesausflüge. Nach einer Woche fahre ich mit dem Bus in den Norden. Akureyri und andere Orte, die ich mir nicht merken kann. Isländisch scheint eine schwere Sprache zu sein. Warte ich lese es vor.“ Julia kruschtelt in ihrem Rucksack und zieht die zerknitterte Reisebeschreibung des Veranstalters heraus.

      Städtenamen und Orte plötzlich ausgesprochen, lassen Szenen aus Elins Vergangenheit lebendig werden. Das Kaleidoskop eines verdrängten Lebens.

      Sie entführen Elin auf die Vulkaninsel ihrer Kindheit.

      Eine kleine Elin auf dem Pferdehof ihres Stiefvaters in der Nähe von Akureyri, meistens allein und unbeachtet. Einkaufsfahrten mit der Mutter in das nahe Städtchen mit seinen farbenfrohen Holzhäusern, für sie immer ein Ausflug in die moderne, weite Welt. In diesen Stunden hatte sie ihre Mutter für sich allein. Keine eifersüchtige Kristin und keine missbilligenden Blicke der Großmutter. Sie fieberte diesen monatlichen Ausfahrten regelrecht entgegen.

      Dann eine ältere Elin, schon fast erwachsen, in einem Café in Reykjavik. Ihr gegenüber Einar, ihr Geliebter, den sie bald heiraten wird.

      Elin zieht hörbar die Luft ein.

      „Mam, hörst du mir überhaupt zu?“

      Elin fällt aus ihrer Erinnerungsreise. „Ja, ich habe zugehört. Du fährst nach Nordisland.“ Ihre Stimme klingt sehnsuchtsvoll. „Nach Akureyri“, setzt sie leise hinzu und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

      „Ach Mam.“ Julia greift über den Tisch nach den Händen ihrer Mutter und drückt sie fest. Was soll sie sagen?

      Elin schüttelt den Kopf und wischt sich mit einem Taschentuch über die Augen. „Ist schon gut. Mach dir keine Gedanken. Wer möchte noch eine Tasse Kaffee?“ Sie setzt ein Lächeln auf und versucht, Gelassenheit zu vermitteln, doch ihr dunkler, weiter Blick und ihre zitternden Hände, mit denen sie die Kaffeekanne hält, sprechen eine andere Sprache.

      „Geht Rainer eigentlich mit?“, fragt Michael.

      „Ja, habt ihr euch wieder versöhnt?“, will Elin wissen.

      Julia schluckt und zupft an ihrem Zopf, der ihr über die linke Schulter hängt.

      „Nein, wir haben uns vor kurzem endgültig getrennt“, gibt sie zu und spürt, wie ihr die Röte ins Gesicht steigt.

      „Ach Julia, das tut mir aber leid. Was ist denn passiert?“ Elin blickt ihre Tochter mitleidig an.

      „Ich möchte jetzt nicht darüber reden“, erwidert Julia barsch und schenkt sich einen Kaffee ein. Allerdings mit zu viel Schwung, denn die Hälfte landet auf dem weißen Tischtuch.

      „Oh, sorry.“ Julia, erleichtert, der lästigen Fragerei zu entkommen, eilt ins Haus und kommt mit einem nassen Lappen zurück. Hektisch beginnt sie, den Fleck zu bearbeiten.

      „Lass sein. Du machst es nur noch schlimmer. Ich steck sie später in die Waschmaschine. Sag mal, wie lange bleibst du eigentlich weg?“

      „Zwei Wochen, habe ich doch gesagt. Aber wer weiß? Vielleicht gefällt es mir ja so gut auf Island, dass ich gar nicht mehr zurückkomme.“

      Elin blickt ihre Tochter entsetzt an.

      „Mam, das war nur ein Scherz.“

      „Ich kann mich aber schon darauf verlassen, dass du in vier Wochen bei uns im Büro anfängst?“ Auch Michael klingt leicht beunruhigt.

      „Klar doch, wollte nur Mam ein bisschen ärgern. Drei Wochen sind geplant. Schade übrigens, dass du keine Verwandten auf Island hast“, lenkt Julia vom Thema ab, „die hätte ich besuchen können.“

      Elin zuckt zusammen, als hätte sie einen Schlag bekommen. Sie senkt rasch den Kopf und nestelt an einem herunterhängenden Zipfel des Tischtuchs. Michael wirft ihr einen prüfenden Blick zu. „Schatz, alles in Ordnung?“

      „Oder gibt’s doch Verwandte dort oben, die ich besuchen könnte?“

      Elin schüttelt verneinend den Kopf. Ihre Augen glänzen verräterisch, ihr Blick irrt unstet zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter hin und her.

      Michael bemerkt es mit Staunen. Was sie wohl vor uns, vor mir verbirgt? Er schluckt einen bitteren Geschmack hinunter. Nicht einmal ihm vertraut sie. Das schmerzt.

      „Naja, wie du meinst. Ich sollte jetzt langsam aufbrechen. Morgen geht’s in aller Frühe los und ich muss noch meine Sachen packen.“ Julia nimmt ihre Mutter in den Arm. „Wenn ich wieder zurück bin, dann müssen wir reden“, sagt sie leise.

      „Wir werden sehen. Aber bitte versprich mir, dass du auf dich aufpasst. Wenn was ist, dann ruf sofort an.“

      Julia blickt ihre Mutter irritiert an. „Was soll denn sein? Denkst du an was Bestimmtes?“

      Michael streicht Julia über die Haare. „Deine Mutter hat das nur so gesagt. Wir wünschen dir eine schöne Zeit“, betont er und legt beschützend den Arm um seine kleine Frau.

      „Ich habe das nicht nur so daher gesagt“, murmelt Elin.

      Julia dreht sich am Gartentor noch einmal um, winkt ihren Eltern zu, dann steigt sie in ihr Auto. Im Rückspiegel sieht sie ihre Mutter, die auf die Straße getreten ist und winkt. Ein verzweifeltes Winken, so als wäre es ein Abschied für immer. Julia schluckt. Sie ist froh, wegzukommen.

      Ihr ist, als würde sie plötzlich einen schweren Mantel tragen, gewebt aus Schicksal und Leid. Auf ihrer Brust lastet ein Gewicht und ihr Herz pocht dumpf. So kann sie nicht nach Hause fahren. Kurz entschlossen biegt sie in die Straße ein, die zum See hinunterführt. Wenig später schlendert sie die Seestraße entlang. Langsam entspannt sie sich und es gelingt ihr, den schweren Mantel wieder abzustreifen.

      Die Terrasse des Seehotels Riva wirkt so einladend, dass sie sich entschließt, dort einzukehren. Sie findet einen freien Tisch unter einem cremefarbenen Sonnenschirm. Während sie genüsslich an ihrem Eiskaffee nippt, lässt sie ihren Blick über die blühenden Rhododendrenhecken des Hotelgartens und über die dahinter vorbeiführende Seestraße schweifen. Es herrscht ein buntes, sonntägliches Treiben. Spaziergänger, Hunde, Kinder, Badende mischen sich mit Radfahrern und Joggern.

      Der blaue See, auf dem Segelboote dahingleiten, im Hintergrund die Schweizer Alpen, die sich in einen leichten Dunst hüllen, das alles erfüllt Julias Seele mit Frieden und gibt ihr nach und nach die Leichtigkeit zurück, die ihr die Mutter genommen hat.

      Beschwingt kehrt sie nach Hause zurück.

      Elin greift nach Michaels Hand. „Komm mit mir, ich möchte dir etwas zeigen.“

      Sie zieht ihn mit sich die Treppe hinauf und öffnet die Tür zu ihrem Atelier.

      Ein großer, ausgebauter Raum unter dem Dach ihres Einfamilienhauses mit einer breiten Fensterfront. Das späte Morgenlicht fällt in schräger Bahn durch das Glas und zeichnet helle Streifen auf den dunklen Holzboden.

      Elin blickt zum Fenster hinaus. Ein traumhafter Blick über den See, bis hin zu den Schweizer Alpen.

      Michael überreichte ihr zu ihrem dreißigsten Geburtstag ein Kuvert. Als sie es aufriss, fand sie eine Skizze