Auf Dienstreisen oder Vergnügungsfahrten versprach so ein Luxuswaggon den bestmöglichen Reisekomfort auf Schienen und den gebotenen Abstand zu neugierigen Normalsterblichen. Das eigene Hinterteil war besser gefedert, das edle Haupt ruhte auf einem richtigen Polster und das Ein- und Aussteigen vor salutierenden Stationsvorstehern war umnebelt von touristischer Theatralik.2
Den Kindern bleibt der Beruf des Vaters verborgen: Sigmund Bosel mit Julie und Alfons. Foto: Franz Thurman, 1929.
Abgeschaut hatte sich Bosel das Reisen mit dem Salonwagen von den großen Industriebossen der Monarchie, die diese Gewohnheit wiederum von den hochherrschaftlichen Mitgliedern der Adelshäuser abgekupfert hatten. Auch der Philosoph Ludwig Wittgenstein wollte das Privileg eines Salonwagens auf Reisen nicht missen, obwohl der exzentrische Industriellensohn ansonsten ein Aussteigerleben als armer Dorfschullehrer führte.3 Vilmos Kestranek, als Generaldirektor der Prager Eisenindustrie-Gesellschaft ein Freund von Wittgensteins Vater, hatte vor seiner Villa am Wolfgangsee sogar eine eigene Zugshaltestelle. Als Zeichen der besonderen Ehre durfte Kestranek überdies für die Fahrt von Bad Ischl nach St. Gilgen den blauen Salonwagen von Kaiser Franz Joseph benützen.4 Nach dem Untergang der Monarchie kam dieser Waggon auf den Markt. Der Inflationsritter Camillo Castiglioni packte die Gelegenheit beim Schopf und kaufte sich das elitäre Fortbewegungsmittel. Sigmund Bosel wollte in dieser Hinsicht seinem großen Rivalen Castiglioni um nichts nachstehen. Der Moment war günstig, auch in der Weimarer Republik standen geschichtsträchtige Waggons zum Verkauf. Bosel besorgte sich einen Wagen aus dem Hofzug des deutschen Kaisers – womit sich die Frage erledigt, warum Bosels Salonwagen goldverzierte Wände hatte.5
Der Salonwagen war freilich nicht die einzige Erwerbung, mit der Bosel in Deutschland aufhorchen ließ. Er kaufte sich hier auch mehrere Häuser und die Privatbank Fester & Co., bevor er 1923 in Berlin die Wochenzeitung Der Montag Morgen aus der Taufe hob. Wien war Sigmund Bosel zu klein geworden.6
Daheim in Österreich war der Senkrechtstarter ohnehin schon eine legendäre Figur. Alle Geschäfte, die der geheimnisumwitterte Jungspund in die Hand nahm, schienen von Erfolg gesegnet zu sein. Bosel hatte sich zum Leithammel und „Kurs-Orakel“ der Wiener Börse entwickelt. Wenn der neureiche Finanzmagnat bestimmte Wertpapiere kaufte, dann kauften andere sie auch. Geschickt spekulierte Bosel mit Aktien und Fremdwährungen, um aus der anfangs schleichenden und später galoppierenden Geldentwertung Kapital zu schlagen. Eine junge Generation von Geschäftsleuten, die kühn und respektlos war, schien der alten zu erklären, wie der Kapitalismus künftig funktionieren würde. In der „Naturgeschichte des Reichtums“ sei die Epoche der „Geldentwertungskünstler“ angebrochen, jubelten Finanzjournalisten. Der Traum vom schnellen Geld hatte ein jugendliches Gesicht – das von Sigmund Bosel, dem „neuen österreichischen Vanderbilt“.7
Wenn Julie Marks an ihren Vater und dessen märchenhafte Karriere denkt, dann fallen ihr spontan die schwarzen Anzüge ein, die aus der Erinnerung nicht wegzublenden sind. „Schon als ich klein war, hab‘ ich mir gedacht, dass mein Vater gut aussieht. Er trug bis auf wenige Ausnahmen immer schwarze Anzüge mit weißen Hemden. Sogar im Winter beim Schlittschuhlaufen. Das war bei ihm wie eine Uniform.“8
Die Villa auf der Millionärsmeile
Eine standesgemäße Bleibe hatte sich Sigmund Bosel schon gesucht, als er noch nicht der verwegene Spekulant war, der mit seinen Übernahmeplänen die mitteleuropäischen Finanzmärkte aufscheuchte. Bosel fand das Objekt seiner Begierde – eine prunkvolle Herrschaftsvilla – im Wiener Nobelbezirk Hietzing. Und zwar in der gleichermaßen stillen wie vornehmen Gloriettegasse nahe der Schlossmauer von Schönbrunn.
Auch Kaiser Franz Joseph hatte seinerzeit eine besondere Beziehung zur Gloriettegasse. Denn auf Nummer 9 hatte der Monarch in einer Eckhausvilla sein Liebesnest mit der um 23 Jahre jüngeren Schauspielerin Katharina Schratt. Wenn Franz Joseph aus Schönbrunn auf Besuch kam zur „Gnädigen Frau“, wie er in Briefen seinen „heiß geliebten Engel“ bisweilen titulierte, so konnte er durch eine kleine Seitenpforte in der Schlossmauer den Palastgarten diskret verlassen. Er musste dann nur mehr die (heutige) Maxingstraße überqueren und konnte nach ein paar hundert Schritten an Schratts Tür klopfen. War man in Hietzing ein Frühaufsteher, so konnte man gegen halb sieben Seiner Apostolischen Majestät über den Weg laufen.9
Die besagte Tür in der Gartenmauer dürfte der Monarch schon früher für seine sexuellen Eskapaden mit der Wienerin Anna Nahowski verwendet haben, die in der Nähe der Gloriettegasse wohnte. 1889 machte Franz Joseph mit Nahowski Schluss, um sich gänzlich Katharina Schratt zuzuwenden, die einige Jahre später die Villa in der Gloriettegasse – die sie bis dahin nur gemietet hatte – mit Franz Josephs Hilfe kaufen konnte. Dem Kaiser gab das Domizil die Möglichkeit, aus der „Gefangenschaft seiner verwitterten Erhabenheit auszubrechen“, wie es Frederic Morton formuliert hat.10
Eine illustre Wohnadresse war die Gloriettegasse vor dem Ersten Weltkrieg aber nicht nur wegen der kaiserlichen Herzdame. Auch der Seidenfabrikant August Schopp, der Industrielle Robert Primavesi und der Bankdirektor Theodor Ritter von Taussig, der Verwalter des kaiserlichen Familienfonds, hatten ihre Residenzen ein paar Häuser weiter. Die Gloriettegasse konnte man getrost eine Millionärsmeile nennen.11
Als 1919 in der Gasse die Villa mit der Hausnummer 17 zum Verkauf stand, wird Sigmund Bosel nicht lange gezögert haben. Denn das zweistöckige Anwesen hatte alles, was man sich nur wünschen konnte: ein schlossartiges Wohngebäude in bester Lage mit einem parkähnlichen Garten auf einem Gesamtareal mit über 13.000 Quadratmetern. Reizvoll war die feudale Residenz auch deswegen, weil sie mit illustren Vorbesitzern glänzen konnte. Der erste Eigentümer war der hannoveranische Bankier Israel Simon gewesen, der in Wien als Vizekonsul der Vereinigten Staaten auftrat und die Villa 1871 errichten hatte lassen. Sechs Jahre später zog ein anderer diplomatischer Würdenträger ein: Simon Zechany, Ritter von Racovizza. Er fungierte in Wien als Konsul für Griechenland, wie der Illustrierte Führer durch Wien und Umgebungen aus dem Jahr 1885 zu berichten wusste.12
1895 kam die Residenz in den Besitz des österreichischen Bankdirektors Julius Herz. Wie die gut erhaltenen und hübsch kolorierten Baupläne zeigen, die noch im Archiv der Wiener Baupolizei liegen, ließ Herz das imposante Gebäude 1897 erweitern. Seine Tochter Margarethe von Sonnenthal – die Schwiegertochter des berühmten Burgschauspielers Adolf von Sonnenthal, der auch mit Katharina Schratt auf der Bühne gestanden war – erbte das Anwesen im September 1914. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte es Therese Terry von Ortlieb, deren Ehemann einer der größten Holzindustriellen der Monarchie war. Laut Grundbuch hat Terry ihre Villa in der Gloriettegasse im Dezember 1919 an Sigmund Bosel verkauft. Bosel hatte damit ein wahrlich repräsentatives Domizil gefunden, um seine großbürgerlichen Ambitionen zu untermauern.13
Katharina Schratt und Sigmund Bosel dürften sich übrigens gekannt haben. Es ist zwar nicht überliefert, wann der zugezogene Multimillionär der berühmten Nachbarin vier Häuser weiter seine Aufwartung gemacht hat. 1922 war es aber jedenfalls so weit, dass die gute Frau Schratt wieder Geld gebraucht hat – so wie