der baulich immer noch vorwiegend mittelalterlich geprägten Stadt.
Blick vom Brüelberg auf die noch geschlossene Stadtanlage inmitten von Wiesen und Feldern. Darstellung von Georg Adam (1784–1823), um 1820.
Einschneidende Veränderungen brachte die Wahl von Johann Jakob Sulzer-Ott (1821–1897), einem der engagiertesten Liberalen und (später) Demokraten, zum Stadtpräsidenten. In den fünfzehn Jahren seiner Amtszeit (1858–1873) leitete er durch seine Verkehrspolitik, bauliche Massnahmen, Erneuerung der Infrastruktur und Unterstützung von Handel und Industrie eine durchgreifende Modernisierung Winterthurs ein. Neu schuf er die Stelle eines Stadtbaumeisters, die an den aus Tübingen berufenen Wilhelm Bareiss (1819–1885) vergeben wurde. Auf Sulzer geht auch die Anlage neuer Quartiere und die Erstellung einer zentralen Wasserversorgung, des ersten Gaswerks, der Kaserne, des Altstadt-Schulhauses, des Casinos, des Postgebäudes, eines Einwohnerspitals und eines modernen Friedhofs Im Lee zurück – sowie, als Krönung, der Bau des vom berühmten Architekten Gottfried Semper (1803–1879) entworfenen Stadthauses. Zudem beteiligte er sich höchst persönlich an der Gründung der Gasgesellschaft, der Bank in Winterthur, der Hypothekarbank Winterthur, der Tösstal- sowie der Winterthur-Singen-Kreuzlingen-Bahn, und wirkte als Mitglied der entsprechenden Verwaltungsräte mit. So wandelte sich die Stadt vom Provinznest zum durchdachten Organismus, der die Basis zu einer neuen, von der Familie Bühler-Egg beispielhaft gepflegten Lebensweise legte.
Das imposante Sempersche Stadthaus Winterthur an der Kreuzung von Lind- und Stadthausstrasse. Postkarte von 1908.
Blick vom Rychenberg auf die sich ausdehnende Stadt: vorne der Friedhof Im Lee, rechts davon, im Bahnbogen, das neu entstandene, locker bebaute Quartier Äusseres Lind. Darstellung von Jörgen Hendrik Müller (1822–1884), 1870.
Gemütliche Momente am Fuss der Verandatreppe: Fanny beim Kinderwagen stehend, rechts von ihr Bruder Edy. Foto um 1900.
Die Familie Bühler-Egg
Vater Eduard Bühler-Egg (1833–1909)
Eduards Grossvater, Zimmermann Johann Jakob Bühler (1776–1834) von Freudwil bei Uster, hatte in der Frühzeit der Industrialisierung die Bühler-Spinnereien gegründet und mit seinen beiden Söhnen, Heinrich Bühler-Guyer (1802–1856) und Johann Heinrich Bühler-Guyer (1804–1866), zur Blüte gebracht. Der ältere, Eduards Vater, zog mit seiner Familie 1839 nach Kollbrunn, wo zwei Fabriken der Firma standen. Nach Absolvierung der Industrieschule in Winterthur folgte ein mehrjähriger Auslandaufenthalt in Le Havre, in den Zentren der britischen Baumwollindustrie sowie in zwei Baumwoll-Produktionsländern, Nordamerika und Kuba, um den jungen Mann auf den Eintritt in den Familienbetrieb vorzubereiten. Doch schon im Alter von 23 Jahren verlor Eduard seinen Vater, und der umfangreiche Familienbesitz wurde in einem drei Jahre lang dauernden Verfahren zwischen seinem Onkel Johann Heinrich und ihm aufgeteilt. Im Wesentlichen ging an Johann die obere, an Eduard die untere Spinnerei in Kollbrunn, wobei Eduard verpflichtet war, aus dem Gewinn der Produktion seinen beiden Schwestern und seiner Mutter ihr Erbe auszubezahlen. Schon vor vollendeter Erbteilung, 1857, kaufte er in Winterthur das Haus «zum Grundstein» an der Marktgasse 50, wo er im Erdgeschoss sein Büro, im Hinterhaus ein Garn- und Tuchlager einrichtete, während er selbst das zweite und seine Mutter das dritte Obergeschoss bewohnte. Gleichzeitig erwarb er, einer äusserst innovativen und klugen Idee folgend, Land in Weinfelden, auf dem er 1859 eine Weberei erstellen liess, um der nun ihm gehörenden Spinnerei in Kollbrunn einen gleichmässigen Absatz ihrer Produkte zu gewährleisten. Mit dem Ausbruch des Sezessionskriegs in Nordamerika brachen schwierige Zeiten an, weil die Südstaaten keine Baumwolle mehr nach Europa lieferten, um England und Frankreich dazu zu zwingen, sie im Krieg gegen den Norden zu unterstützen, und der begehrte Rohstoff nun neu in Ägypten oder Indien zu beschaffen war. Trotzdem heiratete Bühler 1861 Fanny Egg, und schon 1862 kam noch im Grundstein an der Marktgasse Sohn Edy, 1865 Tochter Fanny zur Welt.
Vater Eduard Bühler-Egg. Ölgemälde des Luganeser Künstlers Antonio Barzaghi-Cattaneo (1834–1922). Die Porträts des Ehepaars hingen an der Südwand des grossen Salons (siehe S. 23).
Bühler-Egg scheint ein ausgezeichneter Geschäftsmann gewesen zu sein, denn trotz aller Krisen, unter denen die für Winterthur so wichtige Baumwollindustrie immer wieder litt, erwarb er 1886 oder 1887 von seinem Schwager, Theodor Ziegler-Bühler, das imposante Haus Warteck an der Stadthausstrasse 39, um hier seinen Firmensitz einzurichten.
Das vom Zürcher Architekten Leonhard Zeugheer erstellte Geschäftshaus Warteck am Eingang zum Graben, der durch die Anlage der Lindstrasse Teil einer Hauptverkehrsachse wurde. Links die Baubaracke des im Bau befindlichen Stadthauses. Foto von 1867.
Gut fünfzig Jahre lang wirkte Bühler erfolgreich in der Baumwollindustrie, die damals ein für Winterthur wichtiger Wirtschaftszweig war. Nur einmal liess er sich dazu bewegen, in einer anderen Firma mitzuwirken, als sein Freund Charles Brown (1827–1905) ihn dazu bewog, mit ihm zusammen die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik SLM zu gründen. Doch kurz bevor sich Brown aus der Firma zurückzog, trat Bühler aus dem Verwaltungsrat aus, weil er mit der Geschäftsführung nicht einverstanden war.
Obwohl «nur» Zuzüger, etablierte er sich bestens in der Winterthurer Gesellschaft und war allgemein als solider und innovativer Geschäftsmann mit Weitblick und von grosser Geistesschärfe bekannt, den man gern um Rat fragte. Er scheint sehr belesen und kunstsinnig gewesen zu sein und hatte eine Vorliebe für Pferde. Trotz seines für die damaligen Winterthurer Verhältnisse grosszügigen Lebensstils, wird er in allen Nekrologen als bescheidener Mann dargestellt.
Mutter Fanny Bühler-Egg (1839–1919)
Mutter Fanny wuchs als Tochter von Johann Ulrich Egg (1801–1878) und Stephanie Greuter (1811–1894) im 1937 abgebrochenen Egg’schen Gut an der Ecke von Technikum- und Zeughausstrasse auf. Der vornehme Wohnbau war 1841–1843 durch einen der damals bedeutendsten Zürcher Architekten, Leonhard Zeugheer (1812–1866), erstellt worden und wies, wie die Villa Bühler-Egg, auf der Gartenseite eine über die ganze Fassadenbreite verlaufende Veranda mit verglastem Wintergarten auf.
Mutter Fanny Bühler-Egg. Wie ihr Ehemann wurde sie von Antonio Barzaghi-Cattaneo porträtiert.
Die Eggs und die Greuters waren – wie die Bühlers – in der Baumwollindustrie tätig und stellten im Thurgau die sogenannten Blaudruck-Tücher her, wie sie Landleute in den Kantonen Zürich und Thurgau zur täglichen Arbeit trugen. Auf dem Gebiet des Überseehandels scheiterten sie in Konkurrenz zur äusserst erfolgreichen Winterthurer Firma Volkart. Die Familie Egg scheint sich für etwas Besseres gehalten zu haben, denn Enkelin Fanny berichtet vom «Eggen-Chrattel», der jedoch nicht auf ihre Mutter zutraf. Offenbar empfand man doch einen gewissen sozialen oder gesellschaftlichen Unterschied zum «zugezogenen» Schwiegersohn Eduard, der ihrer Ehe aus Fannys Sicht aber nicht geschadet zu haben scheint: «Mama bildete zu Papa die richtige Ergänzung. Sie war noch aus der alten Schule und sah in ihrem Eheherrn den Gebieter. Im grossen Ganzen fiel ihr das Gehorchen nicht schwer, denn Papa war grosszügig und gewährte ihr z. B. in allen Dingen der Haushaltung und gegenüber der Dienerschaft freie Hand. Auch in Etikettensachen bei gesellschaftlichen Anlässen folgte