Dominique Manotti

Einschlägig bekannt


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Traum. Die Stadionwächter hatten über seine Geschichte gelacht. Da lief er einfach drauflos, bis nach Sainteny, auf der Suche nach Notunterkünften für Malier, die er nicht fand. Klammerte sich an den Gitterzaun des Sporting Club, denn der gehörte noch zur Welt des Fußballs, genau da, wo Ivan ihn dann auflas. Er war vierzehn Jahre alt.

      Balou nähert sich mit wiegendem Schritt, er hat die Kopfhörer abgenommen, beugt sich runter zum Wagenfenster, tiefdunkle Haut, feine Gesichtszüge, sehr lebendige Mimik, gerade Nase und jede Menge Haar, total glatt, mit Topfschnitt, der ihm eine Art bis zu den Ohren reichenden Heiligenschein verleiht. Er klatscht Ivan ab, zwei Mal, geht dann um den Wagen herum und setzt sich dahin, wo eben noch Paturel gesessen hat. Ivan lässt den Motor sanft kommen, fährt langsam durch den einen Gang, dann durch den anderen, zwischen den reglos dastehenden Autos hindurch. Hier ist niemand. Um diese Zeit ist auf den oberen Decks nie jemand.

      Paturel kehrt in den Parkbereich zurück. Der Wagen ist nach oben gefahren. Noch ein bisschen Zeit, bis er wieder runterkommt. Weiter hinten kümmert sich Marty um das Mädchen auf dem Volvo, das keiner kennt, und versucht angestrengt, Bekanntschaft zu schließen. Die anderen sind hier, stehen immer noch dicht zusammen, blond oder dunkelhaarig, Mädchen aus Osteuropa, Bulgarinnen, Rumäninnen, Zigeunerinnen, solidarisch, aber resigniert, sie erwarten ihn, das gehört zum Geschäft. Keine einzige Schwarze. Die will Paturel nicht im Parkhaus. Will keine Scherereien mit den afrikanischen Kupplerinnen riskieren, mit denen kann er nicht umgehen. Bei Männern weiß man, woran man ist.

      Rasch geht er die Mädchen durch. Greift in einen Büstenhalter, fördert zwischen zwei Fingern einen Zwanziger zutage.

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      Entschuldigendes Lächeln: »Hab klebrige Finger.« Er durchwühlt eine Tasche, kassiert eine Portion Heroin.

      »Das nicht«, sagt das Mädchen, »das brauche ich …«

      Er haut ihr eine runter, nicht allzu fest, nur damit sie still ist. Eine Hand am Hintern, zwei, drei Ohrfeigen.

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      Alles in allem sammelt er kaum mehr als hundert Euro ein. Nicht teuer, denken die Mädchen, dafür, dass wir in Ruhe arbeiten können, geschützt vor schlechtem Wetter und Polizeirazzien, wo sie gerade die Gesetze gegen uns Huren verschärfen. Aber Paturel ist ja auch kein Zuhälter, die Mädchen sorgen nicht für seinen Lebensunterhalt. Nur für schöne Träume. Ein Mann im Rausch seiner Allmacht.

      Carla ist nicht wieder aufgetaucht.

      Balou hat sich den Player auf die flache Hand gelegt und strahlt. »Siehst du dieses kleine Wunderding? Superflach, superleicht, supergut. Berühmte Marke: VLG (Vom Laster Gefallen). Hab in drei Tagen tausend Stück davon vertickt. Der Wahnsinn, Bruder.«

      »Willst du dich aufspielen? Vor mir?«

      Balou lächelt nicht mehr. »Was hast du gestern gemacht? Beim Mannschaftstraining im Sporting Club warst du nicht. Sieht dir gar nicht ähnlich.«

      »Warst du denn da?«

      »Klar, Mann, ich hab dich gesucht. Hab was mit dir zu bereden, und dazu brauchen wir einen Moment Ruhe.«

      »Ich hatte woanders zu tun.«

      »Das ist keine Antwort. Mit dem Fußball ist es dir normalerweise ernst. Erzähl. Warst du mit einer Tussi zusammen?«

      Zweite Etage. Nur noch wenige Autos. Ivan blickt schweigend in die Ferne, Balou fährt fort: »Hatte der Boss also recht. Er hat mir gesagt, du hast da ’ne Tussi kennengelernt …«

      Ivan gibt ein Brummen von sich.

      »Muss ja ein Hammerweib sein. Warum hast du mir nie von ihr erzählt? Stimmt’s jetzt oder nicht? Und mir, deinem Bruder, sagst du nichts davon?«

      Ivan senkt den Blick, unterdrückt ein Lächeln. »Nachher bringt das Unglück.«

      »Dann stimmt es also.«

      Balou lehnt sich zurück, stülpt sich wieder die Kopfhörer über die Ohren, ohne Ton, will sich abschotten, Haltung bewahren. Kloß im Hals, salziger Geschmack im Mund. Er grübelt. Jetzt habe ich Gewissheit, ich fühle es, ich weiß es. Ivan will sich heimlich davonmachen, mich hängen lassen. Mein Bruder lässt mich im Stich.

      »Begreif doch, Ivan. Sieben Jahre. Sieben ätzende Jahre. Okay, dir verdanke ich, dass ich noch am Leben bin. Dieses Parkhaus ist nicht das Paradies, aber für mich war es schon nicht leicht, es überhaupt bis hierher zu schaffen.« Er schweigt, lange. »Schön, ich mach regelmäßig Geschäfte mit den Mädchen, das ist eine Absicherung, aber ich hab nicht vor, mich damit zu begnügen und hier zu versauern, ist ja wohl klar. Du auch nicht, okay. Aber so langsam arbeite ich mich hier raus, hab zum ersten Mal das Gefühl, dass ich ’ne Zukunft hab, und darüber will ich in Ruhe mit dir reden. Um es zu schaffen, brauche ich dich noch ein letztes Mal, ich brauch noch einmal deine Hilfe, du darfst mich jetzt nicht hängen lassen.«

      Wieder lächelt Ivan sein sehr schüchternes, sehr stilles Lächeln, hält den Blick gesenkt. »Du siehst ja, ich bin da.«

      Und verstummt. Wie sagen: »Weggehen ist mehr als ein Plan, es ist schon Wirklichkeit. Am 8. September werde ich weit weg sein, anderswo. Ohne dich. Ich will mein Leben hier vergessen, will auch dich vergessen, dich und alles andere.« Wie sagen: »Ich werde dich im Stich lassen, mein Bruder, denn für mich geht es um Leben und Tod«, wenn man die Worte einfach nicht zu fassen kriegt?

      Marty ruft nach Paturel, seine Stimme ist schrill. »Komm mal gucken, was ich gefunden habe.«

      Er hält das Mädchen gegen den Volvo gedrückt, sie hat sich heftig gewehrt, das Make-up ist verschmiert, die blonde Perücke verrutscht, er selbst am Keuchen, hat seine liebe Not gehabt, sie zu bändigen, um sie in Ruhe zu betatschen, einfach nur Bekanntschaft zu schließen. Bei den Silikonbrüsten hat er sich nicht lange aufgehalten, nicht mein Ding, ich mag’s lieber weich, und ist dann auf ein männliches Geschlechtsorgan gestoßen, das jetzt entblößt herunterhängt.

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      »Was jetzt, Pat?«

      »Gebühr festlegen und Finger weg. Lass ihn los.« Paturel packt den Transvestiten am Arm und drückt mit aller Kraft zu. »Bei Missgeburten wie dir sind mein Freund und ich an Naturalienzahlungen nicht interessiert. Aber wir sind liberal. Arbeiten darfst du gern hier. Macht heute Nacht hundert Euro für dich.«

      Er lässt den Transvestiten los, der, mit bläulichen Flecken am Arm, wortlos zahlt und sich wieder anzieht.

      Ohne zu beschleunigen setzt der Wagen seine Runde in der dritten, dann in der vierten Etage fort, sehr wenige Autos, die fünfte ist vollkommen leer, fährt dann wieder runter, immer noch im Schritttempo. Balou hat die Musik wieder angemacht und wiegt sich mit geschlossenen Augen auf seinem Sitz. Ivan ist wirklich auf dem Absprung, denkt er bei sich, jetzt steht es fest. Wenn er nichts unternimmt, wird er ihm entwischen und nichts kann ihn mehr aufhalten. Er muss sich schnell etwas einfallen lassen, etwas finden, womit er Druck ausüben kann, ihn in die Zange nehmen und zwingen kann, ihm diesen letzten Gefallen zu tun. Es geht ums Überleben. Erste Etage, Ivan hält an, Balou zieht einen Packpapierumschlag aus der Gesäßtasche seiner Jeans, schiebt ihn ins Handschuhfach und lässt es wieder zuschnappen.

      »Die Gebühr für deinen Boss. Ist der immer noch so plemplem? Echt ein schwerer Fall. Meine Empfehlung an ihn. Und pass auf dich auf, Bruder.«

      Balou steigt aus und tanzt davon. Ivan sieht ihm nach, bis er im Treppenhaus verschwindet. Traurig, will aber nicht wissen, warum.

      Im Erdgeschoss steigen Paturel und Marty in den Wagen. Paturel öffnet das Handschuhfach, nimmt den braunen Umschlag, prüft nach, ob sich drei Plastikbeutelchen darin befinden, und lächelt. »Auf geht’s, Ivan. Hier ist alles ruhig. Keine besonderen Vorkommnisse.«

      Er beugt sich vor zum Funkgerät, das gerade knisternd verkündet: »Beginn einer Schlägerei in Panteuil, Rue des Lions Nummer 19. Es sollen drei Männer beteiligt sein, möglicherweise mit Messern bewaffnet.«

      Er nimmt das Mikro: »BAC Panteuil, Wagen 7. Wir übernehmen die Rue des Lions. Sind