Frank Rudolph

Tigersturz und Ringerbrücke


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aus Eiweißbausteinen, Kollagen und Wasser.

      Die Wissenschaft unterscheidet heute drei Arten von Faszien: oberflächliche, tiefe und viszerale Faszien. Oberflächliche Faszien befinden sich im Unterhautgewebe, und sie bestehen hauptsächlich aus lockerem Binde- und Fettgewebe. Diese Art umschließt zum Beispiel Organe und Drüsen. Zudem fungieren sie als Fett und Wasserspeicher. Die tiefen Faszien durchdringen oder umschließen die Muskeln, Knochen, Nervenbahnen und Blutgefäße des Körpers. Je nach Erfordernis verdichtet und organisiert sich dieses Gewebenetzwerk zu Sehnenplatten, großen flächenhaften Faszien, Ligamenten (Bändern), Sehnen, Fesseln, Gelenkkapseln oder Muskelsepten. Der hohe Anteil an Kollagenfasern verleiht diesen Geweben eine hohe Zugbelastbarkeit. Diese Art der Faszien ist für uns im Zusammenhang mit dem optimalen Körpertraining besonders interessant. Die letzte Gruppe, die viszerale Faszien, dienen als Aufhängung und Einbettung der inneren Organe. Wichtig ist auch, dass die Faszien mit Nerven vernetzt sind und somit für die Bewegung des gesamten Körpers von Bedeutung sind.

      Die einzelnen Teile des Körpers werden von den Faszien zu einem Ganzen zusammengefügt und bleiben durch sie sozusagen formstabil. Dieses Bindegewebe unterstützt den Körper, wirkt stoßdämpfend und kraftabsorbierend bei vielen Bewegungen.

      Eine ebenso wichtige Funktion ist der Abtransport von Abfallstoffen aus dem Körper. Das Bindegewebe leitet diesen Abfall zum Lymphsystem, welches neben dem Blutkreislauf das wichtigste Transportsystem im menschlichen Körper ist. Daher haben die Faszien auch eine entscheidende Schutzfunktion gegen Krankheitserreger und Infektionen. Im Fall von Verletzungen sind die Faszien die Grundlage für den Heilungsprozess des Gewebes.

      Bei Augenschmerzen und Sehstörungen, aber auch bei Rückenschmerzen ist häufig verklebtes Bindegewebe verantwortlich. Solche Verklebungen können beispielsweise durch langes Sitzen entstehen. Deshalb müssen Sie Ihr Gewebe immer elastisch halten. Ärzte sind oft nicht in der Lage, die Ursachen für solche Probleme zu finden, da der Ort der Ursache und der der Symptome mitunter weit auseinander liegen. Die heutige Medizin des Westens beginnt erst langsam zu erkennen, dass alle Transportbahnen im Körper, wie Blutkreislauf und Lymphkreislauf, die Atmungsorgane und sämtliche Nerven über die Faszien miteinander vernetzt sind. Schmerzen, die in einer Region des Körpers auftreten, müssen nichts mit dieser zu tun haben, sondern können vom Bindegewebe herrühren. In China sind das Gedanken, die bereits seit 2000 Jahren gang und gäbe sind.18 Bereits im Altertum haben sich Chinesen mit den Faszien als Einheit beschäftigt und ihre Trainingsprogramme entsprechend entwickelt.

      Faszien sind aufgrund ihrer hohen Viskoelastizität recht anpassungsfähig. Oberflächliche Faszien können sich dehnen, um beispielsweise Körperfett aufzunehmen. Das gilt weniger für die tiefen und noch weniger für die viszeralen Faszien. Letztere benötigen aufgrund ihrer verbindenden Funktion für die Organe eine gleichbleibende Spannung.

      Diese Dehnungsfähigkeit der Faszien ist für das Training von enormer Bedeutung, da die wahre Kraft nicht aus den Muskeln kommt. Wirkliche Kraft wird von den elastischen Sehnen und Bändern erzeugt und freigesetzt. Die Muskeln wirken nur als Impulsgeber. Das kann man deutlich bei Tieren mit großer Sprungkraft erkennen. Säugetiere wie das Rote Riesenkänguruh (siehe Abbildung 77) und Gazellen, oder auch diverse Reptilien, Frösche und Kröten sowie verschiedene prähistorische Lebewesen19 erreichen eine enorme Sprungkraft, weil ihr Bindegewebe so elastisch ist und dadurch eine Menge Kraft speichern und freisetzen kann. Einige Gazellen springen drei Meter hoch und zehn Meter weit, während das Riesenkänguruh mit dreizehn Metern Sprungweite der Weltrekordhalter im Weitsprung ist. Hierbei zieht das Känguruh seine Fuß- und Beinsehnen zuerst zusammen, so dass diese maximal gestreckt werden – also wie bei der chinesischen Dehnung –, dann gibt das Tier diese Energie schlagartig frei. Dadurch zieht sich das Bindegewebe in Millisekunden zusammen und erzeugt eine riesige Kraft, welche durch reine Muskelfunktion nicht erreichbar wäre. Der zweite Effekt ist die geringe Ermüdung der Körpers. Würden die Muskeln diese Arbeit allein bewältigen, könnte das Känguruh seine Sprungleistung nicht lange durchhalten. Das gilt prinzipiell für alle Säugetiere, also auch für uns Menschen. Wir schöpfen unser Potential allerdings selten voll aus, so dass wir durch verschiedene Trainingsmethoden nachhelfen müssen.

      Durch die chinesische Dehnung wird dieses wichtige Bindegewebe intensiv beansprucht. Man dehnt und stärkt die Sehnen und Bänder, wodurch sie elastisch und maximal flexibel werden. Durch die hierfür benötigte Energie kräftigt man nicht nur das Bindegewebe, sondern den ganzen Körper. Mit der allgemein üblichen ungenügenden Dehnung ist das nicht zu erreichen. Im Gegenteil, hier presst man das Bindegewebe sogar zusammen, so dass es in seiner Arbeit gehemmt wird. Ohne gut gespanntes Bindegewebe bekommt man Krankheiten aller Art, von Rückenschmerzen bis hin zur Gicht, und man kann keine wirkliche Kraft entwickeln. Das Bindegewebe ist auch dafür zuständig, dass die Muskeln störungsfrei aufeinander gleiten können, was bei nahezu allen Bewegungen des Körpers geschieht. Somit sind Faszien im wahrsten Sinn des Wortes für einen reibungslosen Bewegungsablauf verantwortlich.

      Abb. 78: Kämpfende Rote Riesenkänguruhs.

      Erstaunlicherweise haben unsere Großeltern und Urgroßeltern, die von der Jahrhundertwende bis in die 1950er Jahre ihre Gymnastik ausübten, ein recht gutes Übungsprogramm zur Hand gehabt. Die Bewegungen waren sehr einheitlich und stärkten die Faszien gleichmäßig. Andererseits sind viele Ansichten aus dieser Zeit heute doch eher veraltet. Dehnen hilft nur, wenn man es richtig betreibt, falsches Dehnen hingegen kann Gelenke schädigen.

      Ein weiterer interessanter Punkt, der mit dem Thema Faszien unmittelbar zusammenhängt, ist das Phänomen Muskelkater. Als Muskelkater bezeichnet man einen stechenden oder reißenden Schmerz, welcher nach körperlichen Anstrengungen, besonders bei hoher Muskelbeanspruchung, auftritt. Früher wurde eine Übersäuerung des Muskels durch Milchsäure angenommen. Diese These ist aber inzwischen widerlegt worden. Muskelkater entsteht durch Überlastung. Es bilden sich kleine Risse im Muskelgewebe. Wenn die aus den Rissen hervorgegangenen Abfallprodukte aus dem Gewebe befördert werden und dabei mit den Nervenzellen in Kontakt kommen, spürt man das. Auch die daraus folgenden Entzündungen führen durch Ansammeln von Körperflüssigkeiten zum Anschwellen und zum Dehnungsschmerz.

      Durch viele Studien ist belegt, dass westliche Dehnungsübungen vor oder nach dem Training einen Muskelkater nur in geringem Umfang verhindern. Auch vorheriges Aufwärmen schützt nicht, da die Risse aus einer Überbeanspruchung von Muskelfasern herrühren. Ebenso tragen Massagen nicht zur Besserung bei, sondern verzögern diese, da sie eine zusätzliche mechanische Irritation der Muskulatur darstellen. Als hilfreich erwiesen sich Wärmebehandlungen, Bäder oder Sauna. Diese können wegen ihrer Anregung zur besseren Durchblutung den Schmerz mildern und zu einer schnelleren Genesung der Muskelfasern beitragen.

      Was die Dehnung anbelangt, so untersuchte man in den besagten Studien nur die westliche. Die allumfassende chinesische Bindegewebsdehnung hat einen besseren Effekt, da hier das Gewebe so stark und elastisch wird, dass Risse kaum entstehen können. Vorausgesetzt, dass nach dem Dehnen die Kraft wie oben beschrieben wieder ausgegeben wird, die Dehnung also »verdaut« wird. Auf diese Art löst man die Fasern des gesamten Bindegewebes. Es wird elastisch und stark.

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