Henriette Gerber

Royal Baby


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Ein feiner Zug. Mit dem sollte er öfter zusammenarbeiten. Wenn das Kind in diesem Moment besagtes Licht erblicken würde, dann dauerte es sowieso noch mindestens zwei Stunden oder mehr, bis die Nachricht offiziell den LINDO WING des St. Mary’s Hospital verlassen würde. Tony hätte dann noch Zeit genug, seine Meldung in Johns Kamera zu sprechen, während Jim alles daran setzen würde, den Pegel so zu steuern, dass nicht unbedingt gleichzeitig die Meldungen der anderen Journalisten an deren Nachrichtensender bei der Aufnahme zu hören sein würden. Aber vielleicht brauchte Tony auch länger als zehn Minuten. Seit einer Woche hatte der eine neue Flamme und vielleicht traf er sich gerade mit ihr.

      John dachte daran, was Mary ihm gesagt hatte und für einen Moment war es ihm wieder klar, warum er sich seit zwei Wochen hier die Beine in den Bauch stand. Denn was um alles in der Welt bringt einen dazu, den lieben langen Tag vor einem Krankenhaus herumzulungern, die Kamera permanent im Standby-Modus zu halten, gleichzeitig mit einem Haufen anderer Journalisten. Reportern, Männern und Frauen, manche von ihnen wahrscheinlich selbst Mütter, andere vielleicht nicht, in der Londoner Sonne brutzelnd, die sich extra häufig zu zeigen schien, als wolle auch sie das anscheinend wichtigste Weltereignis live miterleben? Die von THE SUN würden demnächst sogar eine Webcam direkt gegenüber vom Eingang postieren, hielt sich das Gerücht. Damit jeder auf der Welt, der einen Internetzugang hat, dieses Zoo-Spektakel mitmachen durfte. John grübelte, ob die Passanten, die gemütlich vorbeischlenderten oder radelten oder in ihren Autos vorbeifuhren, sich nicht eher als Medienereignis nutzen ließen. Sie drehten auf HD, keine Sorge wegen vergeudetem Filmmaterial. Er liebte seine Arbeit ohne jeden Zweifel. Als Kameramann hatte er für die BBC an zahlreichen Dokumentationen mitgewirkt, für die er immer wieder wochenlang unterwegs war. Wegen Paul hatte er in den letzten Jahren des Öfteren Jobs bei den Nachrichten angenommen. Das war auch okay, er liebte seinen Sohn über alles.

      Tony geriet ihm ins Blickfeld. Zu kurz, um sich … oder vielleicht ein Quickie auf der Bürotoilette. Sie arbeitete bei einer Reiseagentur, hatte er ihm erzählt. Tony blieb eine Weile an der Treppe zum Eingang stehen, winkte dann zu Jim und ihm herüber und vollführte eine Geste, als wiege er ein Baby im Arm, wobei er fast den Kaffee verschüttete.

      Als sie gemeinsam das heiße Getränk schlürften, gab jeder von ihnen eine neue Prognose für diesen Tag ab. Die Kollegen rechts neben ihnen vermuteten ebenfalls, dass es auch heute nicht passieren würde. Der offizielle Geburtstermin des königlichen Babys von Herzog und Herzogin William und Kate war vor zwei Tagen.

      Mary war damals mit Paul eine ganze Woche über dem Termin gewesen. Ob sie ihn wieder einziehen ließe, wenn er die royale Geburt oder wenigstens das Drumherum live für sie filmen würde? Sie war ein Fan der Königin und ihrer ganzen Sippe. Feine Leute, er hatte da nichts zu meckern. Was konnte er denn dafür, dass sich Kate einfach nicht blicken lassen wollte. Sein Blick folgte einem Pärchen, das in einem kleinen Bogen über die Straße an der Absperrung vorbei – hinter der die Horde Journalisten hockte – Hand in Hand an ihnen vorüberlief. Wer weiß, woher sie kommen und wohin sie gehen.

       11 Uhr 37 / London

      Claire trat ans Fenster und blickte hinaus auf die Straße, die vor der Klinik verlief. Für einen Montag war es seelenruhig, kaum mal ein Lieferwagen, kaum Autos, ein paar Fahrradfahrer. Vor dem St. Mary’s Hospital hatten sie schon vor fast zwei Wochen vier Parkbuchten für die Royals gesperrt, dabei ließ Kate sich noch längst nicht blicken. Claire nahm es gelassen, setzte sich zu den anderen und packte ihr Lunchpaket aus.

      Alle waren irgendwie gut drauf. Jennys Sohn war am Wochenende das erste Mal ohne die Hilfe der Eltern geschwommen, Lester hatte einen Ausflug mit seinen Kumpels aus der Armeezeit gemacht, dabei sind sie in einem Tümpel gelandet, wo sie von Blutegeln angefallen worden. Das dachte er sich sicher bloß wieder aus, typisch Lester. Es schien ihm zu gefallen, dass Mia neben ihm angewidert ihr Sandwich beiseitelegte. Claire hatte in der letzten Zeit den Eindruck, er habe sich in Mia verliebt. So ein Kindskopf. Seine Patienten mochten seine lustige Art, ein guter Charakterzug für einen Krankenpfleger. Aber sie war elegant, fast zu zart für eine Krankenschwester. Wenn er sie beeindrucken wollte, musste er sich wohl etwas anderes einfallen lassen.

      Es war ein Murmeln im Raum, das von einer ausgelassenen Stimmung herrührte. Sie hatten jetzt Pause, in ein paar Minuten würde sie alle wieder zur Arbeit antreiben. Auf ihre strenge, aber herzliche Art. Selbst die Patienten wirkten heute so fröhlich, als wären sie hier im Sanatorium. Vielleicht hatte es mit dem Baby zu tun, das alle Welt in diesen Tagen erwartete, wer weiß. Jeden Tag kommen Kinder zur Welt.

      Hoffentlich geht bei dem Mädchen alles gut, mit ihren einunddreißig Jahren ist sie nicht mehr die Jüngste. Was das Kinderkriegen angeht. Und beim ersten – da fehlt diesen Kindern doch die Erfahrung. Oberschwester Claire, richtete die Schwesternschülerin Sophie direkt (so hatte Claire sie kennengelernt, als sie hier im letzten Jahr ihre Ausbildung angetreten hatte) und trotzdem mit Hochachtung das Wort an Sie, Madame, wie geht es Ihrer Enkelin? Ist ihr Kind schon zur Welt gekommen? Was sollte sie sagen, ihre Enkelin lebte oben im Norden, in Edinburgh. Noch hatte ihre Tochter sie nicht informiert. Das wäre das Erste, was (bei ihrer Stellung in der Familie und der langen Familientradition) nach der Geburt ihrer Urenkelin oder ihres Urenkels passieren würde.

       Ich meine, es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Seien wir froh, dass sie ihr Kind dort nicht unter den Augen der Öffentlichkeit bekommen wird. Und schätzen wir uns hier alle glücklich, dass die Herzogin von Cambridge im St. Mary’s entbinden wird und nicht in unseren heiligen Hallen. Ihr würdet euch umschauen, wenn ihr euch plötzlich schriftlich anmelden müsstet, um die Geburtsstation zu betreten oder wieder zu verlassen. Eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben und wer weiß was hier noch so alles auf den Kopf gestellt werden würde.

       12 Uhr 42 / Bucklebury. Vereinigtes Königreich

      Wann wird mein Kind zur Welt kommen? Kate genoss es, hier bei ihren Eltern zu sein. Sie saß in der Küche und schälte Kartoffeln. Weit weg vom Mediengetöse, das in London lärmte. Ende letzten Jahres, als sich ihre Landsleute schon fragten, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, hatte ein Brendan Soundso etwas getwittert, dass ihr bis heute das Herz wärmte, wenn ihr das Medientamtam zu viel wurde. „Gnade euch Gott Journalisten, wenn die Folgen eures Tuns nachteilige Wirkung auf die Schwangerschaft der Herzogin haben sollte.“ Sie kannte ihn nicht, aber er sprach ihr aus der Seele. Wer wünscht sich schon so viel Aufmerksamkeit in dieser Zeit? Als eine Freundin von ihr schwanger wurde, hatte sie es außer ihrem Freund allen verheimlicht, bis ihr Babybauch ab dem 5. Monat deutlich zu sehen war. Zu viel, das passieren konnte, das schief gehen könnte, hatte sie es ihnen erklärt. Und Kate hatte es verstanden. Ihr war dieser Schutz nicht vergönnt. Die Leute erwarteten ein Kind von ihr. Nun würden sie es haben. Das dürfen sie sich zumindest einbilden. Es ist mein Kind, meins und Williams. – Kate, bist du fertig mit den Kartoffeln? Ihre Mutter holte sie in die Gegenwart des Moments zurück. Kate beeilte sich mit der letzten Kartoffel, deren Form sie an eines der ersten Ultraschallbilder erinnerte. Sie reichte ihrer Mutter die Schüssel mit dem Gemüse, das gelb leuchtete, wenn man es ins Wasser legte, nachdem es der braunen Schale entledigt war, nachdem man es aus der Mutter Erde gegraben hatte.

       12 Uhr 42 / Bedford. Vereinigtes Königreich

      Ein Schweißfleck breitete sich auf seinem Rücken aus. Im Nacken und an den Armen lugten seine Tattoos hervor. David Beckham hatte im Mai seine Fußballerkarriere beendet, doch die Kinder holten alles aus ihm raus. Als die Journalistin ihn fragte, warum er das „Sky“ Sport Programm für Kinder unterstütze, lag die Antwort für ihn so nahe wie die Ruhe, die sich seit wenigen Augenblicken über die Turnhalle breitete, in denen eben noch die Jungen und Mädchen der Bedford